Ayla Tesler-Mabe im Interview: „Wir leben nicht mehr in den Sixties!“
Rockmusik und die Generation Z, das verträgt sich bekanntlich nicht so gut. Doch es gibt Ausnahmen: Ayla Tesler-Mabe hat sich schon als Teenager einen Namen als Gitarristin gemacht und spielte mit „Stranger Things“-Star Finn Wolfhard in einer Band. Hier erzählt sie, wie man den Rock retten könnte.
Im Spätsommer 2016 macht ein YouTube-Video von einem 15-jährigen Mädchen aus Vancouver die große Runde. Es sitzt in zerrissenen Jeans und Stickmuster-Top in einem vollgepackten Proberaum, im Hintergrund Hendrix- und Pink-Floyd-Poster, und zupft das charakteristische Gitarren-Intro von Led Zeppelins 45 Jahre altem „Since I’ve Been Loving You“. Bald fliegt Ayla Tesler-Mabe durch die komplexen Riffs, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Das Video steht heute bei deutlich über 5 Millionen Klicks!
Kurz darauf spielt Ayla in zwei unterschiedlichen Bands. In der einen, der Indie-Rock-Formation Calpurnia, singt mit Finn Wolfhard, einem jungen Serien-Star. Der zweiten, einem versierten Fusion-Trio namens Ludic, sind deutliche Jazz-, Funk- und Soul-Einflüsse anzuhören: Fortgeschrittenenmusik. Calpurnia reisen für Konzerte sogar bis nach Europa, lösen sich nach zwei Jahren 2019 aber auf.
Während andere mit 19 Jahren noch versuchen, ihre Schülerband irgendwie in die Welt der kleinen Liveclubs herüberzuretten, hat Ayla bereits eine kleine Musikerkarriere hinter sich. Das liegt sicherlich an ihren handwerklichen Fähigkeiten, aber wohl auch an ihrer zeitgemäßen Interpretation von Rockmusik.
Musikexpress: Wie war das, als du deine erste Gitarre bekommen hast?
Ayla Tesler-Mabe: Mit acht Jahren war ich süchtig nach dem Videospiel „Rock Band“ (hier musste der Spieler passend zu Rhythmus und Melodie verschiedener Songs Knöpfe auf einer Plastik-Gitarre drücken – Anm. d. Red.), und zwar der Beatles-Version. Ab da verliebte ich mich in den Gedanken, mein Leben lang nichts anderes mehr als Musik zu machen. Ich flehte meine Eltern an, mir irgendeine Gitarre zu besorgen – egal in welchem Zustand. Also haben sie mir ein Billig-Imitat von Fender Squier besorgt, die ging gerade so. Bis ich richtig angefangen habe zu spielen, hat es noch eine Weile gedauert – dann aber auch mit einer ordentlichen Gitarre.
Drängten dich deine Eltern dazu, Unterricht zu nehmen?
Nein, gar nicht. Ich war ja sowieso heiß darauf, Musik zu machen. Sie haben mich aber unterstützt. Bis ich richtig mit der Gitarre anfing, gab es auch noch ein paar Umwege. Ich spielte damals auch Cello im Schulorchester, mochte klassische Musik, aber ich mochte eben auch die Beatles – also habe ich irgendwann das Cello auf meinen Schoß gelegt und wie auf einer Gitarre darauf gespielt.
Warum spielten die Beatles für dich als Teenager so eine große Rolle?
Ich komme aus einer Familie voller Beatles-Fans, meine Mutter ließ immer wieder ihre CDs laufen. In dieser Musik wird einfach so viel ausgedrückt, sie vermittelt ein Gefühl von Freiheit und hat so viel Seele, ich habe mich schon beim ersten Hören verliebt.
Wenn du auf die heutige Rockmusik schaust: Wie würdest du ihren Status in den USA beschreiben?
Hm. Es wird immer noch eine Menge Rock veröffentlicht, es ist nur etwas schwieriger, ihn zu finden. Viele Leute sehnen sich nach einer Rückkehr des alten Spirits. Es gibt Bands, die versuchen genau dieses Gefühl zurückzubringen, lassen dabei aber keine neuen Einflüsse zu. Wir leben aber in einer anderen Zeit als in den Sixties! Dafür kommen gerade andere Bands an die Oberfläche, die sich an den besten Rock-Elementen der 60s und 70s bedienen und sich gleichzeitig vom Hier und Jetzt inspirieren lassen. Davon könnte es viel mehr geben.
Wie funktioniert diese Verschmelzung von Alt und Neu?
Ich denke, es geht darum, Genregrenzen zu durchbrechen und aus dem, was es schon alles gibt, auszubrechen. Wie Jimi Hendrix, der kurz vor seinem Tod Rock und Psychedelic-Musik mit Elementen aus Jazz, Funk und Groove vermischte. Man sollte keine Angst davor haben, Rock mit allen Spielarten von Musik zu kombinieren, die man liebt.
2017 ging als das Jahr in der Geschichte ein, in der laut „Music Mid Year Report“ HipHop Rock als meistgehörtes Genre weltweit abgelöst hat. Was meinst du, wird der Stellenwert von Rock weiter sinken oder ist das nur temporär?
Gute Frage. Pop als Ganzes durchläuft ja schon immer verschiedene Phasen. In den 50er- und vor allem 60er-Jahren dachte man auch, dass Jazz von Rockmusik abgelöst wird und nach und nach stirbt. Die Lösung war, einen neuen Blick auf Jazz zu finden und ihn durch die Kombination mit Funk- und Worldmusic neu zu beleben. So ist es gerade auch mit HipHop und Popmusik, die den Platz von Rock einnehmen. Das heißt nicht, dass Rock nicht zurückkommen kann – eine neue Generation muss ihn eben auf kreative Art und Weise neu erfinden.
Ist das auch deine Maßgabe beim Musikmachen?
Ein Teil von mir bemüht sich sehr, Dinge auszuprobieren, die ich vorher noch nie so gemacht habe. Es ist sehr spannend, wenn ich einen Song schreibe und plötzlich merke: Ich habe keine Ahnung, welche Art von Musik das eigentlich ist. Es passiert aber auch einfach so. Der Kern von Rock ist tief in mir verwurzelt, ich höre und liebe aber auch andere Genres wie Funk und Soul. Wenn ich einen Song schreibe, kommen all diese Einflüsse automatisch zusammen.
Fühlst du dich als Exot in deiner Umgebung – als 19-jähriges Mädchen, das Rockmusik spielt?
Es kommt immer darauf an, wo ich mich gerade bewege. Während der High-School hatte ich nicht so viele Freunde, die Musik so gehört haben wie ich. Bei den meisten lief sie einfach nebenbei. Als ich nach meinem Abschluss andere Musiker suchte, wurde es einfacher.
Wie bist du auf die Mitglieder für deine Band Ludic gestoßen?
Ich wollte schon immer eine Gruppe mit jungen Leuten gründen, die Musik auf dieselbe Weise mögen wie ich und das auch für den Rest ihres Lebens beruflich machen wollen – die Mitglieder meiner High-School-Band waren dazu nicht bereit. Max und Rhett Cunningham lernte ich schließlich über einen Facebook-Aufruf kennen. Als wir dann das erste Mal gejammt haben, hat es sofort „Klick“ gemacht.
Parallel wurdest du mit deiner zweiten Band Calpurnia bekannt…
Als mein Facebook-Post im Januar 2017 online ging, gab es von mir nur dieses Video mit dem Led-Zeppelin-Song. Ein oder zwei Monate später wurde dann ein ehemaliger Freund von mir durch eine Serie sehr bekannt (eben Finn Wolfhard mit „Stranger Things“ – Anm. d. Red.) – und parallel dazu entstand mit zwei weiteren Freunden Calpurnia.
Und das hat funktioniert: in zwei Bands gleichzeitig spielen?
Alles eine Frage des Time-Managements. Bei Calpurnia konnten wir ohnehin nicht immer proben und auftreten, wie es uns passte. In dieser Zeit habe ich vor allem Musik mit Ludic gemacht. Ludic wuchs so langsam heran, wie es eine Band normalerweise tut – wir haben uns ein sehr solides Fundament erarbeitet.
Und weshalb zerbrach Calpurnia nach nur zwei Jahren? Wurde es dir doch zu viel?
Das lag nicht an mir. Das ging von Mitgliedern aus, denen andere Dinge eben wichtiger wurden. Ich hatte kein Problem damit, in zwei Bands gleichzeitig zu spielen. Ich würde am liebsten 25 Stunden am Tag Musik machen!
Welche Ziele setzt du dir für deine musikalische Laufbahn?
Ich möchte so viele Songs wie möglich schreiben, Menschen damit erreichen, ihr Leben bereichern – die Welt ein bisschen besser machen, mit Musik.
Keine Ambitionen auf die großen Bühnen?
Ich wäre auch als Musiklehrerin oder Kleinkünstlerin glücklich – Hauptsache, Musik bleibt Teil meines Lebens. Wenn ich allerdings die Möglichkeit hätte, morgen eine Welttournee zu spielen, wäre ich sofort dabei.
Deine Cover-Videos mit Songs von Jimi Hendrix und Led Zeppelin haben eine beeindruckende Reichweite erzielt. Hast du eine Ahnung, wer dir da alles zusieht?
Menschen aus aller Welt und allen Altersschichten, auch jenseits der 60, die mit der Musik aufgewachsen sind, die ich liebe. Ein krasses Gefühl, dass mir auch Leute zugucken, die Pink Floyd oder Led Zeppelin noch live gesehen haben.
Dieser Artikel erschien erstmals im ME 05/20.