Aus alt mach neu


Der beste R’n’B der Gegenwart kommt weder von Justin noch aus dem Netz, sondern von Dawn Richard.

Als im Januar binnen weniger Stunden erst Destiny’s Child und dann Justin Timberlake neue Singles online stellten, geriet für kurze Zeit sogar das Comeback eines gewissen David Bowie in Vergessenheit. Nichts Wichtigeres schien es zu geben als zwei Megastars der Nullerjahre, die sich nun wieder ihrem Kerngeschäft zuwenden. Dabei sind beide Songs eher unspektakulär und weit entfernt von der Sprengkraft früher Großtaten. Ein bisschen Retrobreaks mit Pharrell, ein bisschen Jachtpop mit Timbaland. Entsprechend verhalten fiel die Kritik aus. „After Frank and Miguel and Climax ‚Suit & Tie‘ is dullsville“, twitterte der „New York Times“-Kritiker Sasha Frere Jones. Damit sprach er vielen aus der Seele – und verfehlte dennoch glorreich den Punkt. Denn Timberlake mit Frank Ocean und den anderen Heroen des Internet-R’n’B zu vergleichen, ist nicht nur tief drin im Apfel/Birnen-Sumpf. Sondern verdeckt die Sicht auf all die Musik, die „Suit & Tie“ tatsächlich alt aussehen lässt. Beyoncés Kollegin bei Destiny’s Child etwa, Kelly Rowland, hat mit „Ice“ und dem Remix zu „Neva End“ von Future, dem derzeit besten Hook-Schreiber des HipHop, gleich zwei wundervolle Weltraumballaden aufgenommen. Von den Alt-R’n’B-Adepten der Blogosphäre wird sie ignoriert. Genauso Ciara: Die hat das Image einer vorgestrigen Vortänzerin, aber auch Hits wie „Livin It Up“ und „Wake Up, No Make Up“ mit abermals Future. Die größte Sensation jedoch ist GOLDENHEART, das Debütalbum von Dawn Richard. Sie war einst bei der Castingtruppe Danity Kane und anschließend eine der beiden Musen in Puff Daddys bizarrem, aber wegweisendem EDM-Pop-R’n’B-Projekt Diddy-Dirty Money. Ihr Soloalbum ist prallster Popcornpop, mit großen Emotionen, großen Melodien und einem noch größeren Repertoire an Produktionskniffen, die nie dem schnellen Webruhm dienen, sondern alleine den Songs. Ein perfekter Blockbuster unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Die schöne, neue R’n’B-Welt hat anscheinend auch für solche Kuriositäten Platz.