Auf der Suche nach der verlorenen Party


Westbam

Neues Video, neues Album. Westbam betreibt Geschichtspolitik in eigener Sache.

Das neue Westbam-Video hätte sogar David Bowie gut gestanden. Es spielt in West-Berlin, Anfang der 80er-Jahre, alles grobkörnige Originalaufnahmen. Am Anfang klaut ein Typ ein Taxi, aber nicht einfach so, sondern ultralässig. Er läuft von hinten über den Kofferraum aufs Dach, steigt durch das Schiebedach ein und los geht die Fahrt in den Irrsinn der Nacht.

Da tanzt Blixa Bargeld mit Vogelnestfrisur, daneben raucht DJ Fetisch, Ben Becker spuckt in die Kamera. Schöne Frauen knutschen mit verkommenen Typen, das Bier fließt, die Dosen fliegen. Es funkelt der katzengoldene Glanz der Inselstadt, der gerade so oft besungen wird, im Falle von „You Need The Drugs“ von Richard Butler, der dem Song mit seinem Bariton eine stechende Wehmut verleiht. Großer Song, große Geste. Inmitten dieses Bilderrausches sieht man auch den ganz jungen Westbam, natürlich beim Auflegen. Nur einen Augenblick lang, aber das reicht. Die Botschaft ist klar: Hier geht es um historische Legitimität. Kurz gesagt also: um alles.

Es ist, als wollte Westbam unterstreichen: Da war ich auch schon dabei, vor 30 Jahren, in den 80ern, die gerade das Ding sind. Er scheint da an einem Originator-Komplex zu leiden. Ein Pionier, der um seine Rolle fürchtet. Nötig wäre das nicht. Fast überall, wo es in den 80er-Jahren spannend war, war auch Westbam. Beim Festival Genialer Dilletanten, im Metropol als DJ, auf Tour mit DAF, auf den ersten Housepartys, den frühen Loveparades. Er war zwar nicht der erste deutsche DJ, der mixen konnte, wie der Waschzettel der Plattenfirma tönt, aber er war der erste, der dieser neuen Sache ein Gesicht gab.

Seine Paraderolle fand Westbam nicht in der Musik, sondern in ihrer Deutung und Überhöhung. Sein Aufsatz „Was ist Record Art?“ von 1986 ist eine bis heute hellsichtige Analyse dieses neuen Dings – Platten mischen. Auch der Interview-Band „Mix, Cuts & Scratches“ (1997), den er mit Rainald Goetz veröffentlichte, zeigt bis heute punktgenaue Analysen der hyperventilierenden Rave-Szene. Erstaunlich, wie weit weniger gut dagegen Westbams Platten gealtert sind. Oder hat jemand neulich wieder „Celebration Generation“ in einem DJ-Set gehört? Oder „Beatbox Rocker“?

Als ab 1992 die Rave-Szene explodierte, ging es Westbam primär um das große Popstatement. Wie kann man mit Rave die Charts erobern? Wie kann man am großen Gegenspieler Sven Väth vorbei? Rave oder Trance? Darauf spitzte es sich zu. Aus der Clubbranche, die zum Geschmäcklerischen neigt, hat er sich damit Schritt für Schritt entfernt. Die Kluft wuchs in den Folgejahren. Wer zuletzt ein Westbam-Set hören wollte, musste auf den Großraumrave einer Supermarktkette gehen oder auf Festivals irgendwo in Osteuropa.

Ein Album wie Götterstrasse hätten Westbam viele sicher nicht zugetraut. In den letzten 20 Jahren kollaborierte Westbam schließlich mit anderen, etwa Afrika Islam, einem mäßig talentierten Rapper aus der Zulu Nation, oder mit Dr. Motte, der damals weniger mit seinen DJ-Sets als mit seinen wunderlichen Loveparade-Ansprachen von sich reden machte, und Nena. Wer hätte gedacht, dass unter anderem Iggy Pop, Bernard Sumner und Kanye West mit ihm ins Studio gehen würden? Und vor allem: dass daraus mehr als ein lustloses Stelldichein wird? Für jemanden, der 1986 die erste Houseparty in Deutschland organisiert hat, muss man sagen: hätte auch anders laufen können. Schön, dass das Alterswerk so fulminant ist.

Albumkritik S. 95