Interview

Aphex Twin: „Wenn man mit einem großen Haufen Scheiße anfängt, hat das was“


Richard D. James alias Aphex Twin gibt nur sehr, sehr selten Interviews – und wenn, dann redet er gerne wirr. Anlässlich seiner neuen EP „Collapse“ und des Berlin-Konzerts hat er für uns eine Ausnahme gemacht und zum Hörer gegriffen. Ein Gespräch über U-Boote, Kinder und Obsessionen.

Verfolgen Sie aktuelle Entwicklungen in der Musik?

Ich versuche es. In der Elektronik ist es völlig krank derzeit, alles entwickelt sich so schnell, da verliert man schnell den Anschluss. Vor zehn Jahren war es mit ein wenig Geduld noch möglich, sich ein Bild von wirklich allem zu machen – von der Software über Synthesizer bis eben zu neuen Strömungen und Künstlern. Heute ist es wie im chaotischen Keller eines Plattenladens, wo du nicht weißt, wo die Sachen stehen. Du musst so etwas wie die Force aus „Star Wars“ nutzen, um das Gute zu finden.

Und funktioniert das?

Nein. Ich bin ein obsessiver Charakter. Also war es schwer für mich, mir einzugestehen, dass ich einfach nicht alles checken kann. Einerseits. Anderseits ist der gegenwärtige Zustand der totalen Beschleunigung und Verästelung etwas, von dem ich immer geträumt habe.

Hat der Mensch noch die Kontrolle? Oder haben die Maschinen übernommen?

Wir haben die Kontrolle schon lange verloren. In den 70ern und 80ern dachte man noch: „Hey, dann stellen wir einfach die Computer ab!“ Heute würde, selbst wenn wir sie ausschalten könnten, die komplette Wirtschaft zusammenbrechen. Wir können sie nicht mehr abschalten.

Kann elektronische Musik überhaupt politisch sein?

Definitiv! Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel. Wenn Sie sich auf ein Genre festlegen, legen Sie sich auch auf ein Set an zugehörigen Regeln fest. Man einigt sich darauf, wie dies und das zu klingen hat. Wenn Sie aber die Genres hinter sich lassen, konstruieren Sie immer auch ein neues Genre, mit neuen Regeln. Dieser Musik dann zu lauschen oder dazu zu tanzen, und sei es auch nur im eigenen Kopf, das ist durchaus sehr politisch. Es regt zum freien Denken an.

Weil Sie dann auf jemanden hören, der selbst denkt und seine eigenen Regeln macht?

So ist es. Und das hat mit Sicherheit einen Effekt auf das Publikum. Es ist allerdings unmöglich, die Effekte zu quantifizieren. Kein Analyst wird sagen können: „Ah, dieser Mensch macht diese Art von Musik, das ist neu – was sind denn wohl die sozialen Implikationen?“ Du kannst es nicht herausfinden.

Das macht es subversiv?

Das ist der Grund, warum es subversiv ist. Bei Rock’n’Roll hört man sofort, allein schon anhand der Texte, worum es da geht. Und weshalb das aus der Sicht der Mächtigen vielleicht gefährlich ist. Bei der Elektronik ist das unmöglich. Man weiß einfach nicht, worum es da geht. Das ist noch gefährlicher. Es arbeitet sublim, bleibt unter dem Radar.

Eine Zusammenarbeit mit der mächtigen Madonna haben Sie ausgeschlagen. Warum?

Ich empfand sie als ein wenig vampirisch. Da melden sich dann zuerst die Anwälte mit Verträgen. Tatsächlich arbeite ich viel mit lokalen Musikern hier zusammen, auch mit Sängern, auf einem kleinen Level. Das macht mehr Freude. Wenn Madonna rüberkommen und mit mir abhängen will, soll mir das recht sein. Will sie aber nicht, so läuft das Geschäft. Das ist mir zu kalt.

Madonnas neues Album lässt auf sich warten

Sie sind jetzt 47 Jahre alt. Ist es leichter oder schwerer, in der elektronischen Musik zu altern?

Leichter, und das ist ein weiterer Vorteil. Solange ich noch einen Finger rühren kann, kann ich auch Musik machen. Ich bin auch schon gefragt worden, ob ich in die Lehre gehen will. Das geht ganz fix. Alles, was du tun musst, ist an einer Universität aufzukreuzen und einen Vortrag von einer Viertelstunde zu halten – zack, schon bist du Honorarprofessor. Das interessiert mich nicht.

Gibt es eigentlich „normale Musik“ aus dem Radio, die in Ihren Ohren Gnade findet?

Na ja. Rock oder Pop im weitesten Sinne ist, denke ich, ziemlich teuer. Früher blieb dir nicht viel anderes übrig, als eben Instrumente zu kaufen. Und die waren nie billig. Also hast du gespart oder warst, was oft der Fall war, ein Kind wohlhabender Eltern. Gitarren kosten Geld, Keyboards kosten Geld, die Verstärker kosten Geld, und so weiter. Heute kannst du Musik völlig kostenlos machen, den Rechner deines Vaters benutzen, und jede Software, die du brauchst, kostenlos als Crack runterladen.

Und jenseits der Produktionsbedingungen?

Rockmusik ist immer auch eine Stilentscheidung. Und wenn du dich für einen Stil entscheidest, ist das in meinen Augen schon der erste Fehler.

Warum?

Weil es um die Notwendigkeit gehen sollte. Wenn du Musik machen willst, solltest du es auf die günstigste Weise tun. Andernfalls steht schnell das Image oder ein Genre im Vordergrund, nicht die Musik. Das heißt noch nicht, dass du keine gute Musik machen kannst. Aber da geht es schon schief, weil es nicht um das Wesentliche geht.

Die Musik?

Die Musik. Wenn du cool aussehen willst, gründe eine Band. Wenn du Musik machen willst, besorg dir einen Rechner.

Aphex Twin 2018
WARP