Kritik

„Anon” bei Netflix: Triste Zukunftsvision ohne Biss


Eine Zukunft, in der es keine Verbrechen gibt: Netflix schickt Clive Owen und Amanda Seyfried in eine Dystopie, die die Hoffnung auf ein besseres Morgen unter jeder Menge Grau und einer unausgereiften Geschichte begräbt.

Ein Mittel gegen das Vergessen hält die Zukunft parat: Das Aufzeichnen sämtlicher Erinnerungen im „Ether“ bringt nicht nur den Menschen einen Vorteil, sondern auch den Behörden. Ermittler Sal Friedland (Clive Owen) setzt in seiner Arbeit ausschließlich auf die gespeicherten Daten, die ihm nach Belieben Orte, Taten und Personen liefern – inklusive aller dazugehörigen Informationen. Allerdings scheint sich ein Bug in das angeblich sichere System geschlichen zu haben, denn Erinnerungen verschwinden oder werden manipuliert. Auf der Suche nach dem Fehler begegnet Sal einer unbekannten Frau (Amanda Seyfried), über die es weder Informationen noch Hinweise gibt. Ein Mensch ohne digitale Spur? Sal will hinter das Geheimnis der mysteriösen Dame kommen und verfängt sich im gefährlichen Netz des eigenen Überwachungsstaates.

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Bitte recht düster

Wenn das Kino die Zukunft skizziert, kommt dieser Entwurf selten freundlich und lebensbejahend daher. Im „Minority Report“ scrollte sich Tom Cruise durch zukünftige Verbrechen und in „Total Recall“ ließ sich Colin Farrell – oder Arnold Schwarzenegger im Originalfilm – einen Erinnerungstrip einpflanzen, um der Tristesse zu entfliehen. Mit Spaß oder positiver Grundstimmung hat dies nichts zu tun. In die gleiche Kerbe schlägt auch „Anon“. Regisseur Andrew Niccol setzt dabei auf ein Ideenkonstrukt, dass er schon in seinem Film „Gattaca“ von 1997, dort aber deutlich besser, inszenierte: Sich allein auf die Sicherheit digitaler Entwicklung zu verlassen, ist der erste Schritt zum Scheitern.

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Auch in „Anon“ muss Clive Owen erkennen, dass sich das System, für das er arbeitet, als Spielfeld krimineller Machenschaften entpuppt. Sein Glaube an die sichere Zukunft, in der keine Handlung unentdeckt bleibt, bekommt Risse und zieht ihn selbst in eine tödliche Spirale hinein. Mit diesem Ansatz zu einer spannenden Hetzjagd nach dem Manipulator und Mörder hätte der Film ausreichend Potenzial zu bieten. Allerdings ziehen sich die 100 Minuten Spielzeit aufgrund ausbleibender Twists oder Spannungsbögen hin und wecken bei Zuschauer*innen weder Lust am Miträtseln noch wirkliches Interesse. Die drückende Grundstimmung und sehr ruhige Inszenierung bremsen das Drehbuch zusätzlich aus.

Monotone Gefühlswelten

Abgesehen von der düsteren Umsetzung bleiben auch die beiden Hauptdarsteller Clive Owen („Children of Men“) und Amanda Seyfried („Mamma Mia“) erschreckend farblos. Emotionen finden in ihrem Spiel kaum statt. Der kühlen Welt haben sich ihre Charaktere fraglos angepasst: Gedeckte Farben bestimmen ihre Kleidung, Gebäude reihen sich zu Betonwüsten, auf den oftmals menschenleeren Straßen wehen nicht einmal leere Plastiktüten umher. Steril und unpersönlich: Diesen Zustand einer Gesellschaft in die Figuren zu legen, ist legitim. Aber einen Funken Empathie und Sympathie für die wichtigsten Charaktere hätte Niccol als verantwortlicher Autor zulassen sollen.

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Große Stars machen keinen Hit

Warum der bereits in Deutschland 2018 erschienene Sci-Fi-Thriller als Netflix Original erst jetzt auf der Plattform landet, ist ein genauso großes Rätsel wie die Frage, wie im Film die Erinnerungen eigentlich manipuliert wurden. Eine zufriedenstellende Antwort gibt es auf keine der beiden Fragen. Vor drei Jahren lief Niccols Streifen erstmals auf dem Filmfest München als Abschlussfilm und fand sich danach als Heimkino-Premiere auf dem deutschen Markt wieder. Vielleicht ein Grund, warum Netflix eher unbemerkt und leise den neuen Release in sein deutsches Portfolio aufnimmt.

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„Anon“ ist somit die nächste Produktion mit großen Namen, die in der Mittelmäßigkeit versinkt. Nach „Thunder Force“ mit Melissa McCarthy („Spy – Susan Cooper Undercover”) und Octavia Spencer („The Help”) oder „Fractured” mit Sam Worthington („Avatar”) ist das ein weiteres Beispiel dafür, dass Netflix in Sachen Filmen allzu oft kein sicheres Händchen beweist. Im Ether wird man diesen Film später kaum finden.

 „Anon“ ist seit dem 30. April 2021 bei Netflix im Stream verfügbar.

Netflix/Alan Markfield
Netflix/Alan Markfield