Anne Clark
Eine unscheinbare junge Frau, die einem in jeder U-Bahn gegenübersitzen könnte, steht allein und verloren auf der Bühne, hält sich am Mikroständer fest, ist nervös, verhaspelt sich und hat merklich Mühe, das Publikum annähernd in den Griff zu bekommen, bevor sie den Abend mit einigen selbstverfaßten Gedichten eröffnet.
Die junge Frau heißt Anne Clark, hat gerade eine Mini-Tour durch deutsche Lande hinter sich, und gehört zu den Ausnahmeerscheinungen britischer Pop-Kultur. Zumal in ihrem Falle die Volksweisheit vom Propheten im eigenen Lande diesmal auch auf das Inselvolk anzuwenden ist: Ihr Album CHAN-ING PLACES traf gerade die Stimmung vieler deutscher Fans auf den Punkt und avancierte 2u einer der gesuchtesten Import-LPs.
Wahrscheinlich ist das erneute Aufkommen „ernsthafter“ Pop- und Rock-Texte in der heutigen Situation unvermeidlich. Wenn Legionen gestreßter Stil-Schönheiten krampfhaft versuchen, ihre mehrfach gebrauchten Soul-Bauteile zu neuem Hitparaden-Stoff zusammenzubasteln, dann schreit der Zeitgeist geradezu nach kreativen Individuen.
Anne Clark, seit gut zwei Jahren hauptverantwortliche Redakteurin in Paul Wellers Buch-Verlag „Riot Stones“, liest seit 1980 ihre Gedichte auch live, meist zur musikalischen Begleitung vorproduzierter Studio-Bänder. In ihren Texten geht sie tief in den persönlichen Beziehungsbereich, genauer: in das, was davon unter den übermächtigen politischen und sozialen Verhältnissen dieser Welt übrigbleibt „… in the helpless safety of desires and dreams/we fight our insignificance/the harder we fight/the higher the wall“
(„Sleeper In Metropolis“). Ohne Zweifel harter Stoff, der aber dem Hörer auf sanfte Weise zeigt, wo die Welt im Argen liegt.
Was CHANGING PLACES davor bewahrt, musikalisch hinter der Düsternis dieser Worte zu verschwinden, sind die exzellenten Beiträge der beiden Musiker David Harrow (Synthesizer) und Vini Reilley (Gitarre), von denen Anne Clark sich jeweils auf einer LP-Seite begleiten läßt. Vini Reilley. Eingeweihten bereits als The Durutti Column bekannt, sorgt mit Gitarre. Phase Shifter und Rhythmusbox für die introvertierten Klänge, während Harrows elektronische Soundscapes eher die Anflüge von Schärfe und Sarkasmus in Annes typisch Londoner Stimme unterstützen.
Wenn heute Titel wie „Sleeper In Metropolis“, „Poem For A Nuclear Romance“ oder „Wallies“ bei hellhörigen DJs bereits zum Stammrepertoire gehören, so mag dies darauf hinweisen, daß es doch noch eine Alternative zu dem stumpf gewordenen Einerlei gängiger Disco-Klänge gibt. Und allein dafür wäre Anne Clark zu danken.