Amerikanische Träume


Giant Sand

Valley Of Rain

*****1/2*

Ballad Of A Thin Line Man

*****

Storm

****

Fire/Cargo

Zum 25-jährigen Jubiläum werden die Frühwerke der Americana-Band wieder aufgelegt.

Es war einmal im Wilden Westen. Um genau zu sein: In Tucson, Arizona. Einem, damals vor einem Vierteljahrhundert, lange bevor das globale Dorf gegründet wurde, sehr weit entfernten Ort. Dort leuchtete der Horizont in Technicolor hinter einem abgewrackten Motel im Nirgendwo. Die Sonne ging unter, ein Coyote heulte. Über die staubige Straße wehte ein entwurzelter Busch und die Saiten einer Slide-Gitarre klagten sehnsüchtig.

Es sind Klischees, damals wie heute, die die Musik von Giant Sand heraufbeschwört. Klischees von einem weiten Land unter einem endlosen Himmel. Doch als Howe Gelb seine Band gründete vor einem Vierteljahrhundert, waren diese Klischees noch nicht verpackt und, zusammengefasst unter Genrebezeichnungen wie Americana oder Alternative Country, ins alte Europa verkauft, um dort einen touristischen Blick zu bedienen.

Als 1985, nach einer ersten EP, das Giant-Sand-Debütalbum Valley Of Rain erschien, war die Country Music eben vom Cowpunk aus dem Würgegriff der Konservativen befreit worden. Darauf aufbauend gingen Howe Gelb und seine fortan fröhlich wechselnden Mitstreiter noch einen Schritt weiter. Sie nahmen den Country ernst, aber infizierten ihn mit einer gehörigen Portion rebellischer Attitüde, mit Punk zwar, aber verzichteten auf dessen Willen zum Dilettantismus. Nicht zufällig setzte parallel die Rehabilitation von Johnny Cash ein, aber Giant Sand adaptierten Country nicht nur als aus besseren Tagen überlieferte Ausdrucksform, mit dessen Hilfe sie von einem wahren Amerika berichten konnten. Sie fusionierten Country zudem mit anderer Musik, die ebenfalls für dieses alternative, das Anti-Mainstream-Amerika stand: Mit Jazz und Folk, Blues und mexikanischen Einflüssen, die die langjährigen Giant-Sand-Mitglieder Joey Burns und John Convertino später unter dem Produktnamen Calexico kommerziell ziemlich erfolgreich vermarkten sollten.

Auf Valley Of Rain allerdings waren Burns und Convertino lange noch nicht in Sicht. Dafür aber sind deutlich die Gründungskoordinaten der Band zu hören. Die Idee von Country als Soundtrack der Grenzziehung im Westen, als staubiges Relikt knorriger Gründerzeiten, als wehmütige Erinnerung an die vergessenen Versprechen des amerikanischen Traums. Diese Melancholie durchweht alle Songs dieses nahezu perfekten Albums, das, wie Gelb in den Linernotes dieser Jubiläums-Re-Issues schreibt, in nur anderthalb Tagen für 400 Dollar aufgenommen wurde. Eine Melancholie, die am deutlichsten in „Death, Dying And Channel 5“ zum Ausdruck kommt. Dieser, der vielleicht beste Song, den Gelb je geschrieben hat, ist einerseits entschieden vorwärtstreibend, andererseits unsicher in seiner Stimmungslage, voller wütender Euphorie und zugleich getränkt von verzweifelten Fatalismus. Einen Schwebezustand, den Gelb in lakonischen Zeilen zusammenfasst: „Maybe we are just waking up to die.“

Nur ein Jahr später auf Ballad Of A Thin Line Man beginnt, wenn man so will, bereits der Zerfall dieses Entwurfs, den Howe Gelb das folgende Vierteljahrhundert vorantreiben wird, nur um wie ein Don Quichotte auch immer wieder gegen ihn anzukämpfen. Dieses Zerfasern, die kunstvolle Auflösung gebiert immer wieder die wundervollsten Momente, so den ätherischen Beinahe-Gospel „Graveyard“ mit seinen verwehten Gesängen. Oder „Last Legs“, das auf einem jazzigen Bar-Piano beruht, das immer mehr bröckelt, bis der Song stillzustehen scheint, in seine Einzelteile zerfällt, während Gelb und Falling James von den Leaving Trains, noch einer großartigen, aber heute hoffnungslos vergessenen Band jener Zeit, singen, schreien, besoffen sind. Solche Stücke waren damals, das darf man nicht vergessen, geradezu brutal experimentell. Indie-Rock, wie wir ihn heute kennen, gab es nicht, und Rockmusik erschöpfte sich meist in hohlen Posen. Punk andererseits gewöhnte sich erst langsam daran, solides Musikantenhandwerk nicht völlig scheiße zu finden: In Kalifornien mühte sich der Paisley Underground, in Australien die Erben von Radio Birdman dem Rock seine originäre Kraft zurückzugeben. Dass Giant Sand nun gleich wieder mit der Dekonstruktion dieser neu gewonnenen Erkenntnisse begannen, das war nicht immer leicht verdaulich.

Mit Storm, wiederum ein Jahr später, demonstriert Gelb zum ersten Mal seine Erfolgsstrategie, nach einem Schritt voran zwei zurückzugehen, ohne das als Rückschritt zu verstehen. Hier geht es zurück Richtung Country-Rock, dessen Pioniere The Band mit einer Coverversion von „The Weight“ gewürdigt werden. In „Three6ixes“ klingt Gelb wie der junge Elvis und in mitunter arg simplen Stompern wie „Town Where No Town Belongs“ folgen dann doch wieder atonale Experimente wie „Back To Black And Grey“, das aus kaum mehr als einer quälend schabenden Gitarre besteht. Storm ist zwar das schwächste Album dieser Gründungs-Trilogie von Giant Sand, aber gibt eben auch exemplarisch die Richtung vor für die kommenden Jahrzehnte. Die Richtung eines Weges, der niemals gerade verlief, sondern in Kreisen, die Howe Gelb und Giant Sand immer wieder in die Vergangenheit führen, zu einer Flasche Tequila auf einer speckigen Theke in einer Bar mitten in der Wüste, während draußen ein ewiger Sonnenuntergang glüht.

Name Giant Sand

Ursprünglicher Name Giant Sandworms

Gegründet 1985

Genre Americana, Alt. Country

Aktuelle Besetzung Howe Gelb (voc, g, p), Anders Pedersen (g), Thoger T. Lund (bg), Peter Dombernowsky (dr)

Ehemalige Mitglieder (Auswahl) John Convertino (dr), Joey Burns (bg, g), Chris Cacavas (keyb), Rainer Ptacek (g), Paula Jean Brown (bg, g)

Nebenprojekte Calexico, OP8, Friends Of Dean Martinez, The Band Of Blacky Ranchette

Einfluss auf Grandaddy, Cracker, Okkervil River, My Morning Jacket