Aidas Popkolumne: Falling in Reverse, Rock am Ring & Gendergerechtigkeit
40 Jahre RaR & RiP: Gefeiert wird das mit einem Line-up, bei dem auch ein Künstler dabei sein darf, der vielfach vor Gericht stand.

So kommen wir echt nicht weiter. Dieses Wochenende finden Rock am Ring und Rock im Park statt – congrats to all who celebrate – aber schaut man auf’s Line-Up, wird’s mal wieder frustrierend. Artists, die nicht cis-männlich sind, muss man mit der Lupe suchen. Klar, es sind fantastische Künstler*innen dabei – darunter Christin Nichols, Mia Morgan, The Red Flags und einige weitere – aber nachdem in den letzten Jahren immer wieder wenigstens so getan wurde, als würde man zumindest etwas an der Geschlechterbalance ändern wollen, sind solche frommen Wünsche zur Jubiläumsausgabe total egal! So egal, dass sich auch niemand etwas dabei gedacht hat, einen Typen wie Ronald „Ronnie“ Radke und seine Band Falling in Reverse als Headliner zu buchen.

Wenn man Lust hat, einen schlechten Mix aus Slipknot, Korn, Eminem und dieser einen Hardcoreband aus deinem Heimatdorf, die mal eine Europatour gespielt hat und hätte richtig groß werden können, hätte der Frontmann für sein Grafikstudium nicht alles geschmissen, dann kann Falling in Reverse schon hitten, klar. Wenn man jedenfalls weghört bei random transfeindlichen Songzeilen und weirden neoliberalen Lines über Steuern als Raub, die alle nicht zum Rest des Songs passen, aber wohl unbedingt mal rausmussten. Und wenn man wegschaut bei seinem Gottkomplex, der in der Kampagne zum neuen Album immer offensichtlicher zu Tage tritt. In so gut wie jedem Video ist er Gott, Jesus oder knutscht mit einer weiblichen potentiellen Gottesfigur. Wenn das keine Blasphemie ist, dann weiß ich jetzt auch nicht, aber you do you.
Aber auch wenn man auf all das steht, wage ich zu behaupten, dass es auch da bessere Optionen gibt als einen Typen, der wegen Beteiligung an einem Tötungsdelikt im Knast war, von seiner Ex-Band Escape the Fate gefeuert wurde und wegen mutmaßlicher Partnerschaftsgewalt vor Gericht stand. Ronalds Resozialisierung verlief übrigens auch so erfolgreich, dass er heute mit seinem Mugshot von 2012 Marketing macht. Was war 2012? Ach ja, da wurde er verhaftet, weil er seine damalige Freundin angeblich geschlagen haben soll.
Heute kollaboriert er mit Marilyn Manson – so wie er ein standhafter Kämpfer gegen Cancel Culture, der genauso wie er dazu neigt, alles und alle in Grund und Boden zu klagen, die über Vorwürfe gegen ihn sprechen. Radke hat das vorheriges Jahr etwa beim Musikkritiker Anthony Fantano probiert, der die Vorwürfe gegen ihn in einem seiner Videos aufrollte. Und ist damit immerhin gescheitert.
Dieser Typ jedenfalls steht zwischen Korn und Sleep Token unter den Headlinern für Rock am Ring und Rock im Park, am gleichen Tag wie Beatsteaks und Idles, Brutalismus 3000, The Red Flags und Deine Cousine. Klingt nach einer entspannten Party im Backstage, ich bin mir sicher, die anderen Bands freuen sich über so illustre Gesellschaft, die mit ihnen auf dem Banner steht.
Aber wie gesagt: Alles ist egal. Gestern Abend habe ich die Buchpremiere meiner Freundin Rike van Kleef moderiert. Rike trägt viele Hüte in der Musikindustrie: Bookerin, Stagemanagerin, Tourmanagerin und eben auch Autorin. In den letzten drei Jahren hat sie neben ihrem Dayjob das Buch „Billige Plätze“ geschrieben, in dem es um „Gender, Macht und Diskriminierung“ in der Musikindustrie geht, vor allem eben im Livebusiness. Die letzten Tage habe ich mit diesem Buch verbracht, und eindrücklich zeigt Rike, dass solche Unfälle wie das Booking bei Rock am Ring und Rock im Park, kein Zufall sind, sondern aus den Strukturen erwachsen, die in der Musikindustrie eben herrschen, gerade auch in Deutschland.
Ich möchte niemandem böse Absichten unterstellen, wenige Menschen möchten aktiv eine ungerechtere Welt schaffen. Aber in dem man so tut, als würde man sich nur der Marktmacht oder dem Geschmack des Publikums beugen, versucht man sich aus der Verantwortung zu ziehen. Als wäre nicht jede Bookingentscheidung auch ein Statement. Ein Statement dafür, in was für einer Welt wir leben wollen.
Bei dem Gespräch zwischen Rike und mir gestern Abend zu ihrem Buch ging es immer wieder darüber, dass niemand von uns verlangt hat, von heute auf morgen einen Frauenanteil von 50 Prozent auf Bühnen wie Rock am Ring zu haben, eine Trans- und eine BIPoC-Quote, eine Quote für Artists mit Behinderungen. Aber dass ein wenig Bewegung und ein wenig mehr Mühe beim Booking doch ganz schön wäre. Das heißt nicht, das ich viele der Bands auf dem Line-Up nicht auch feiern würde.
Es ist ein bisschen wie beim Gendern: Nur wenige Menschen verlangen, dass alle gendern. Aber die Behauptung, dass Leute, die gendern, alle anderen zwingen wollen es auch zu tun, sorgt für lautstarken Protest und Ablehnung. Menschen, die gerne einen ernsthaften Diskurs über Line-Ups wie von Rock am Ring und Rock im Park anstoßen möchten, wissen, dass Veränderung Zeit braucht. Aber eine lautstarke Minderheit hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass das Gefühl besteht, man wolle dem Publikum damit etwas wegnehmen. Einen Headlinerslot etwa für einen wie Ronnie Radke. Oder den dritten Auftritt von Bring me the Horizon etwa in nur sechs Jahren, statt auch mal eine andere Band zu buchen. Happy Birthday jedenfalls, Rock am Ring und Rock im Park. Ich hoffe, Ronnie Radke fällt euch nicht in die Torte.