Aidas Popkolumne: Everything I Need I Get From You
Aidas Gedanken zu Fandom, Kinderstars & einen Weg aus der Brutalität der Entertainmentindustrie heraus.
Ich war nie eine Directionerin, ich war ein paar entscheidende Jahre zu alt dafür – aber trotzdem war ich schockiert, als gleich drei News-Apps gleichzeitig per Eilmeldung verkündeten, dass Liam Payne verstorben ist. Auch wenn ich tatsächlich noch nie bewusst einen One-Direction-Song gehört habe (und das ist kein Flex, sondern eher ein trauriger Fakt), weiß ich doch: Ohne Liam kein One Direction, ohne One Direction keine 1D-Fandom. Und ohne 1D-Fandom wäre das Internet heute ein anderes. Die tolle Musikjournalistin Kaitlyn Tiffany schreibt in ihrem Buch „Everything I need I get from you“ darüber, wie insbesondere die „Fangirls“ von One Direction das Internet, wie wir es heute kennen, geprägt haben – wie sich Fandoms organisieren, wie sie Macht ausüben, wie sich Menschen darin gegenseitig Halt geben, aber auch wie sie toxisch werden können.
Es muss eine riesige Verantwortung sein, als ganz, ganz junger Mensch plötzlich zur Projektionsfläche für Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt zu werden – die dann ganz im Nebenbei das Internet neu erfinden. Dass Kinder- und Teenstars nicht immer unbeschadet aus der Sache mit dem Fame rausgehen, ist kein Geheimnis: Man denke nur an Michael Jackson, an Aaron Carter, an Amanda Bynes. An Britney Spears, die in ihren Memoiren über den Graben zwischen ihrem Image als jungfräuliches Sexsymbol und der sehr anders verlaufenden Realität schrieb, an Lindsay Lohan, die hoffentlich gerade so die Kurve bekommen hat, an Jennette McCurdy von der Disneyshow „iCarly“, die von ihrer Mutter und dem Erfinder der Show missbraucht wurde, an Macaulay Culkin. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.
Jahrelang keine Kontrolle übers eigene Leben
Und auch One Direction landen drauf. Der Anfang vom Ende der Band kam auch, weil Zayn Malik irgendwann nicht mehr konnte. In den fünf Jahren ihrer Existenz waren sie quasi ununterbrochen auf Tour – und veröffentlichten trotzdem jedes Jahr ein Album. Jede Minute ihres jungen Lebens war durchgeplant. Damit und vor allem mit dem danach, mit dem recht unterschiedlichen verteilten Erfolg als Solokünstler, klarzukommen war auch eine Herausforderung. Bei Payne führte das wohl zu Suchtproblematik und psychischen Problemen, über die er vor ein paar Jahren auch offen sprach. Er habe in den One-Direction-Jahren keine Kontrolle über sein Leben gehabt, erzählte er in Jessie Wares Podcast, was dazu führte, dass er danach damit Probleme hatte, sein Leben unter Kontrolle zu bekommen.
Vergangenes Jahr wurde Simon Cowell, die britische Version von Dieter Bohlen, der One Direction in der TV-Show „X-Factor“ zusammencastete, danach befragt, ob er irgendetwas im Zusammenhang mit One Direction bereue. Und tatsächlich, er bereute – allerdings nicht, dass Malik ausgebrannt war oder Payne alkohol- und drogensüchtig geworden war, nicht, dass fünf Alben in fünf Jahren und ununterbrochene Tourneen vielleicht ein wenig zu viel waren. Nein: Er bereute, sich die Rechte am Namen „One Direction“ nicht gesichert zu haben, sodass er heute damit machen könnte, was er wolle. Doof, das. In den letzten Tagen allerdings klangen Cowells Statements natürlich anders und die Castings für seine nächsten TV-Shows werden verschoben. Immerhin so viel Pietät oder dessen Performance müssen schon noch sein.
Kein Recht auf Privatsphäre?
Warum Payne in Argentinien zu Tode kam, ist immer noch unklar. Der ziemlich schamlosen Celebrity-News-Plattform „TMZ“ ist das aber egal: Sie veröffentlichte ein Foto seiner mutmaßlichen Leiche (was mittlerweile wieder offline gekommen wurde) und postet fröhlich Fotos, die angeblich aus Paynes Hotelzimmer stammen sollen und Drogenreste auf Tischen und Co verteilt zeigen sollen. Und es funktioniert ja: Solange es immer noch mehr Klicks als Kritik hagelt, geht die Rechnung auf.
Berühmte Menschen haben auch über ihren Tod hinaus kein Recht auf Privatsphäre, scheint es. Auch als Leiche klicken sie noch viel zu gut. Ein wenig erinnert das an Marilyn Monroe, die zwar ein paar Jahre älter war, als ihre Karriere steil nach oben ging, aber die ebenfalls auch im Tod keine Ruhe finden soll – Hugh Hefner kaufte sich die Gruft neben ihrer, der Unternehmer Richard Pocher, der in der Gruft obendrüber liegt, verfügte auf dem Bauch liegend begraben werden zu wollen. Seine Frau kam diesem Wunsch nach. Warum auch immer.
Es wird eklig
Und gerade bei Menschen, die als Kinder und Jugendliche berühmt geworden sind, wird es besonders eklig – die Öffentlichkeit hat ihnen beim Aufwachsen und Erwachsen werden zugeschaut. Und das führt bei vielen wohl zu einer Art Ownership und zu einer besonders tiefen parasozialen Beziehung.
Wir schauen alle zu und sind damit auch irgendwie alle mitschuldig an den brutalen Umständen, mit denen junge Menschen in der Entertainmentindustrie klarkommen müssen. Eine andere Welt ist aber möglich, eine, in der es strengere Regeln und besseren Schutz für junge Menschen in Musik-, Film- und Influencerindustrie gibt. Die neue Macht der Fandoms reicht weit. Nicht weit genug, um im Alleingang die kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen der Industrie zu verändern, aber vielleicht ja weit genug, um den Anstoß dafür zu geben. Wünschenswert wäre es – für Liam Payne und alle, die nach ihm kommen werden.