Aerosmith


Die beiden Aero-Schmiede Steven Tyler und Joe Perry sagten dem Lotterleben mit Sex & Drugs & Rock 'n' Roll kurz vor dem endgültigen Kollaps ade. Seitdem schwören sie auf ihre Fitneß-Programme. Gitti Gülden spürte die neue vitale Kraft der gestandenen Rocker.

Steven Tyler und Joe Perry machen einen überaus gesunden und zufriedenen Eindruck. Perry hat sein Hemd weit genug aufgeknöpft, so daß seine durchtrainierte Brustmuskulatur sichtbar wird, und grinst selbstsicher:

„Ich würde mein Fitneß-Programm auch durchziehen, wenn ich Börsenmakler wäre. Ich will mich wohlfühlen, und trainiere deshalb auch im Urlaub. Das mache ich nicht, um auf der Bühne gut auszusehen, sondern für mich selbst. „

Steven Tyler wirkt zerbrechlicher als Perry, aber er behauptet, dafür sei er zäh: Jeden Morgen renne ich durch den Park. Ich kann mich ja schlecht auf der Bühne mit einer Wampe ans Mikro schleppen. „

Als sich Tyler und Perry im Sommer 1970 im Städtchen Sunapee, US-Bundesstaat New Hampshire, zum ersten Mal trafen, verschwendeten sie noch keinen Gedanken an Fitneß-Programme. Damals kannten sie nur den Traum von der Karriere, den sie zäh in die Realität umsetzten. Später sahen sich die hungrigen Rock-Wölfe den üblichen Versuchungen der Szene ausgesetzt, kriegten aber noch rechtzeitig die Kurve.

„Alle, die nicht ihren Kopf benutzten und sich Gedanken machten“, räsonniert Steven mit kehliger Stimme, „sind entweder tot oder ausgebrannt. Du kannst eben nicht permanent rumsumpfen und dabei von der Langlebigkeit träumen. Live fast and die pretty – lebe schnell und hinterlass ’ne schöne Leiche. So ungefähr fühlte ich mich. Aber du kannst kein Rennen gewinnen, wenn du deinen Rennwagen mit Scheiße vollpumpst. Zum Glück haben wir rechtzeitig aufgehört. Denn ich will noch immer jeden von der Bühne pusten, ich will kein Leben auf Pump, kein blödem Mittelmaß.“

Eine Zeitlang sah es allerdings so aus, als könne das Millionenseller-Quintett Aerosmith, das manche Euphoriker als amerikanische Stones hochgejubelt hatten, noch nicht mal mehr mit Mittelmaß aufwarten. Denn Tyler und Perry gaben sich die größte Mühe, ihrem Ruf zu entsprechen: Sie galten unter Freunden als die legendären „Toxic Twins“, die „Giftzwillinge“.

Da konnte nur noch ein heilsamer Schock helfen: Als der Arzt vor drei Jahren seinem Patienten Tyler eine Lebenserwartung von gerade noch zwölf Monaten attestierte, falls er seinen Lebenswandel nicht radikal andere, saß der Schrecken tief genug. „Es gab nur noch ein Entweder-Oder. Du kannst dich nicht dumm und dusslig saufen und allerlei Drogen einschmeißen und gleichzeitig richtig gute Musik machen. „

Während Steven mit einer Raspelstimme, der man die ziemlich bewegte Vergangenheit anhört, weiter in der Geschichte seiner wunderbaren Bekehrung schwelgt, klappern die Ketten auf seiner maskulinen Brust, lauter symbolträchtige Krallen, Zähne und Steinchen.

Zu den Verlierern wollten die beiden Aero-Schmiede nicht gehören, und deshalb ziehen die einstigen Rock n‘ Roll-Schwerenöternun als Warner und Mahner durch die Lande. Steven Tyler zieht seinen riesigen Mund noch mehr in die Breite, bis sein optimistisches Grinsen von Ohr zu Ohr reicht:

„Vielleicht denken einfach ein paar Leute, wenn die das schaffen, kann ich das auch, und werden clean. Aber ich sag‘ dir, das war das Schwerste, was ich je durchstehen mußte. Und es grenzt für mich an ein Wunder, daß ich jetzt Mitglied einer Band bin, in der alle fünf wieder einen klaren Kopf haben. „

An ein Wunder grenzt es auch, daß die fünf Luftschmiede mit ihrem neuen Album PUMP an ihre Glanzzeiten anknüpfen, nachdem es jahrelang Turbulenzen, etliche Fehden und einige eher mittelmäßige Solo-Ausflüge gegeben hatte. „Wenn wir nüchterner gewesen wären“, meint Perry, „hätte manches sicher besser geklappt. Aber vielleicht mußten wir da durch, um schließlich doch als Gruppe weitermachen zu können.“

Seit 1973 hat diese Gruppe rund 25 Millionen Platten verkauft, und jetzt werden mit PUMP noch ein paar mehr dazu kommen. Denn die Frontmänner Tyler und Perry hatten schon immer ein Faible für Hits und brillante Coverversionen, aber auch ein Gespürfür Themen, die man sonst in der Riege der härteren Langlocken vergeblich sucht. Tyler singt beispielsweise genauso ernsthaft über Kindesmißhandlung wie über Sex im Fahrstuhl. Und es herrscht Leben auf PUMP. Da erklingen indisch angehauchte Passagen und indianische Elemente – sowie Instrumente aus Menschenknochen.

Da drängt sich die Frage auf, was denn nach Meinung Tylers und Perrys das älteste Musikinstrument der Menschheit sei. Für Steven Tyler gab’s zuallererst eine ganz spezielle Flöte, selbstverständlich virtuos geblasen von einer Frau. Wer könnte einem gesunden Mann wie ihm solche Anspielungen übel nehmen?