AC/DC


AC/DC over America - im Tourgepäck die alte Schuluniform, eine dunkelrote Gibson SG und die 'Ballbreaker'-Abrißbirne. Musikexpress/Sounds mischte sich in Memphis unters Volk und sah den Schutzheiligen aller hartrockenden Jeansträger bei der schweißtreibenden Bühnenarbeit zu.

Opfergang in der Pyramide Memphis, Pyramide Arena Geheimnisvoll schimmernd erhebt sich die gigantische Pyramide direkt am Ufer des Mississippi: Der Strom der 19.000, der nach und nach in dem Gebäude verschwindet, wirkt, als befände er sich auf dem Opfergang für eine obskure Gottheit. Aber der Lärm, den eine Band namens Poor im Inneren der fast ausverkauften Arena fabriziert, bestätigt: Hier findet ein Rockkonzert statt. In Memphis, Tennessee, der Heimstatt des Blues, macht die Hardrocklegende AC/DC aus Melbourne, Australien, Station auf ihrer ‚Ballbreaker‘-Welttournee.

Der Auftakt ist spektakulär, strapaziert jedoch die Geduld: Nach einem animierten Video, in dem ein zum Teufel stilisierter Angus Young den MTV-Ober(schw)ätzern Beavis & Butthead das Lästermaul stopft, wird ewig lange zelebriert, wie eine Abrißbirne ein unschuldiges Landhaus in Schutt und Asche legt.

Erst dann startet die Band aus den qualmenden Kulissen heraus mit ‚Back In Black‘ zu einem etwas über zweieinhalbstündigen Greatest Hits-Ausflug durch ihre lange Karriere. Die Exzesse dieser 23 Jahre haben unverkennbar Spuren hinterlassen: Die Gesichter sind faltig, die Körper ausgemergelt. Trotzdem wirken AC/DC frisch und spielfreudig. Vor allem Angus – inzwischen 39 – wütet wie besessen auf seiner Gibson SG und leistet dabei, wie immer in samtschwarzer Schuluniform, Schwerstarbeit: Unermüdlich spurtet der nur 1,57 Meter große Rock‘ n’Roll-Zwerg über die Bühne. Sänger Brian Johnson, immerhin stolze 46 Jahre alt, steht ihm im Laufpensum nur wenig nach, wirkt aber stimmlich gelegentlich angestrengt. Bei Bassist Cliff Williams (46), Rhythmusgitarrist Malcolm Young (43) und Drummer Phil Rudd (41) fallen eventuelle Konditionsmängel nicht auf: Sie rocken routiniert im Hintergrund.

Zugegeben: AC/DC verfügen über eine umfangreiche Sammlung minimalistischer Songs, deren aggressiveingängige Gitarrenriffs beeindrucken. ‚Whole Lotta Rosie‘, ‚TNT‘ und ‚Let There Be Rock‘, die zum Set-Ende direkt aufeinanderfolgen, beweisen, daß AC/DC Ende der Siebziger mit Recht zu den stilprägenden Bands im Heavy-Genre zählten.

Die letzten Alben allerdings boten nicht viel mehr als solides Handwerk in bewährter Manier. Und das kann man ihren Machern kaum vorwerfen:

Wie oft läßt sich die schlichte ihrer Losgeh-Kracher schon variieren? Eine Einschränkung, unter der auch das jüngste Opus ‚Ballbreaker‘ leidet – selbst ein hochkarätiger Produzent wie Rick Rubin konnte das ausgeleierte Starkstrom-Konzept kaum aktualisieren (und wollte das wohl auch nicht). Die Band da oben auf der Bühne scheint sich darüber auch klar zu sein: Nur drei von elf ‚Ballbreaker‘-Songs – ‚Cover You In Oil‘, ‚Hard As A Rock‘ und ‚Hail Caesar‘ – gehören zum Live-Repertoire, der Rest stammt von vor 1980.

AC/DC haben sich überlebt – im günstigsten Fall führt das, wie bei den Australiern, zu massenmobilisierendem Legendenstatus. Der musikalische Anachronismus indes ist nicht zu leugnen: Längst schon gibt die nächste Generation mit Grungern wie Pearl Jam den Ton im Heavy-Sektor an. Den Kult-Klimmzug eines Neil Young haben AC/DC (noch) nicht vollzogen. Ratlose Blicke des Publikumsdrittels aus End-Teens und Anfang-Twens machen das deutlich.

Die Mehrheit in der Arena gehört zur Generation derjenigen, die zur AC/DC-Blütezeit Teenager waren. Scharenweise bevölkern Mittdreißiger mit Vorne-kurz-hinten-lang-Frisur und knallengen Röhrenjeans die Szenerie, sichtlich schwelgt man in Erinnerungen. Trotzdem: Auch die unverdrossen umjubelten Effekte und Einlagen, wie etwa Angus obligater Strip, können die Gleichförmigkeit der Songs nicht verschleiern.

Zudem fehlt dem Soundmix der nötige Biß in den Mitten. Das macht sich besonders bei den Gitarren bemerkbar, die nicht selten im Donner der unerbittlich stampfenden Bassdrum untergehen. Mit fatalen Auswirkungen: So verliert etwa ‚Shook Me All Night Long‘, einer der größten Single-Erfolge der Australier in den Staaten, im undifferenzierten Klangmatsch alle Durchsetzungskraft.

Unter solchen Bedingungen nutzt auch das schweißtreibendste Rackern nichts: Der Funke will nicht recht überspringen, und die Zugabe wirkt, als kämen Angus, Brian & Co. nur noch einmal auf die Bühne, um die Vorführung aller Requisiten zu vervollständigen. Selbst der mächtige Kanonendonner zur Schlußnummer ‚For Those About To Rock‘ verhallt folgenlos – wirklich gerockt hat hier niemand. Wohl doch eine Opfergabe – dargebracht dem Gott des schnöden Mammon.