Common Cocker


Die Pulp-Posen und das Relaxed-Muscle-Versteckspiel sind passe: Jarvis Cocker will Wahrhaftigkeit - und seine Ruhe.

Worhang auf! Dramatischer könnte der Auftritt und angemesser der Rahmen wohl kaum sein. La Cigale, ein Jugendstil-Theater in Paris, hat sich Jarvis Cocker für seinen ersten Liveauftritt als Solokünstler auserkoren. Dass sich der Vorhang jemals wieder für ihn lichten würde, Cocker eines Tages den Schritt zurück ins Rampen und Scheinwerferlicht wagt, war nicht unbedingt zu erwarten. Zu groß war die Enttäuschung über das gefloppte Greatest-Hits-Album von Pulp (das sich in den englischen Charts gerade mal für eine Woche auf Platz 71 platzierte), so anders seine Lebensumstände (Cocker wurde 2003 Vater eines Sohnes, Albert, und zog mit seiner Frau, einer Französin, nach Paris), zu oft hatte der inzwischen 43-Jährige erklärt, nicht als unwürdig alternder Popstar und „Ex-Sexsymbol“ enden zu wollen.

Als Cocker im grün karierten Hemd und beigen Tweed-Sakko und mit gewohnt linkisch zappelnden Bewegungen aus einer Nebelwand hervortritt, rückt dies alles in den Hintergrund. Der Opener, „Fat Children“, der punkig-wütende Protest gegen die Übergewichtsprobleme seines Heimatlandes, macht klar, dass der aufmerksame Chronist britischen Lebens immer noch etwas zu sagen hat. Etwas sagen muss. Laut sagen muss.

Als sich die ersten Erschütterungen des nachgiebigen Bodens, die Begeisterung im Publikum und der Nebel etwas gelegt haben, kann man den Blick schweifen lassen über das Lrveschauspiel „Jarvis Cocker und Band.2006“. Eine sechsköpfige Kapelle und am linken Bühnenrand zwei alte Bekannte von Pulp. Richard Hawley (zeitweiliger Tour-Gitarrist) und Steve Makkey (Bassist) verstärken Cockers neue Band. Die beiden langjährigen Wegbegleiter sind auch auf jarvis, seinem ersten Soloalbum, das in seinen drei HeimatStädten (Sheffield, London, Paris) in nur 13 Tagen aufgenommen wurde, mit von der Partie.

Viel mehr als diese Basisinformationen ist allerdings nicht zu kriegen. Abgesehen von einem NME-Artikel, in dem CockerRazorlightalslangweilige Karrieristen abkanzelt und Lebensratschläge wie ‚Mische niemals Cider und Rotwein! „gibt, und einem Mojo-Interview, in dem er vor allem die Bandgeschichte von Pulp kritisch Revue passieren ließ und der Frage nach einer Reunion ironisch begegnet („Wenn es so weit ist, spielen wir ,The Greatest Britpop Tour In The World… Euer!‘-zusammen mit Echobelly undMenswear“),ist bis zu diesem Konzert in Paris nur wenig nach außen gedrungen. Interviews zu jarvis: Fehlanzeige.

Und auf seiner Myspace-Seite, überdieer seit der dort stattgefundenen Veröffentlichung des Stücks „Running The World“ regelmäßig mit Fans chattet, empfiehlt er lieber den Besuch des Films „Children Of Men“ statt über sein Album zu berichten. Eine der interessantesten Aussagen Cockers findet sich ausgerechnet in einem Pariser Stadtmagzin:

„In meinem Alter kaufen sich manche einen Geländewagen oder nehmen sich eine Geliebte. Ich hingegen habe ein Soloalbum gemacht. Das ist meine Art der Midlife-Crisis.“

Beim Auftritt zeigen sich keine Spuren einer Krise, Jarvis Cocker verweigert sich auch nicht. Er erklärt sich vielmehr explizit durch zahlreiche Ansagen, in denen er sich auch dafür entschuldigt, dass heute Abend nur neue Songs auf dem Programm stehen. „This is an advertisement!“ Punktum. Zum Non-Album-Track „Sooner Or Later“ erzählt Cocker wenigstens, dass er den Song eigentlich für Lee Hazlewood geschrieben hatte, der ihn aber nicht singen wollte: „Sofuck him, l’mgonna sing it!“ Das Leben als Songschreiber und Texter für andere (u.a. für Nancy Sinatra, Charlotte Gainsbourg) ist also auch nicht das Wahre.

Viel interessanter sind jedoch die impliziten Aussagen der Bühnenshow. Die kühnen Verrenkungen, überkandidelten Posen und Mikrofonkabelschwingereien stehen denen früherer Pulp-Tage zwar in fast nichts nach, von der freundschaftlich-vertrauten Nähe zum Publikum, die Cocker an den Tag legt, ist der eingeschworene Fan allerdings ziemlich irritiert. Gerade bei den einfachen, nachdenklicheren, teils sogar misanthropischen Songs wird schließlich klar, dass Cocker keine Kunstfigur mehr sein möchte, keine Projektionsfläche mehr bieten möchte für ach so glamouröse Träume vom Außenseitertum. Und über Sex singt er nur noch als „something you do when you ‚ve run out ofthings to say “ („Big Julie“). Der neue Jarvis ist just like common people – like you. www.myspace.com/jarvspace