Syd Barrett: Ich bin nicht mehr in meinem Kopf
Syd Barrett war das Versprechen des Jahres 1967: ein wilder Erzengel, der die Popmusik einmal zum Mond und wieder zurück schießen sollte. Dann schickten ihn Drogen und der frühe Ruhm in die Depression. Im Juli ist er an den Folgen seines Diabetes gestorben.
Als Pink Floyd im Frühjahr 1975 die Vocal-Tracks für den Song „Shine On You Crazy Diamond“ aufnahmen, erhielten sie Besuch von einem haarlosen, dicken Geist. Zuerst wollte ihn keiner erkannt haben. „Großer Gott, es ist Syd!“, rief plötzlich einer. Es war jener Syd Barrett, dem sie diesen neuen Song gewidmet hatten:
„Shine on you crazy diamond/now there’s a look in youreyes, like black holes in the sky.“ Die Ironie der Geschichte war kaum überhörbar: Seine Ex-Band spielte einen Nachruf auf ihn ein, während er dasaß, aus schwarzen Löchern linste und nichts mehr tun konnte. Alle Gitarrenparts, sagten sie, seien schon aufgenommen.
„Come on you stranger, you legend, you martyr, and shine!“, so geht die Ode an Syd weiter. Ein bitterer Witz nach all den Jahren. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen Barrett und Pink Floyd durch seine Mitstreiter Anfang 1968. Barretts Antwort auf die Frage aus der paralysierten Runde, was denn mit ihm passiert sei, fiel so trocken aus, wie eine Antwort in solch einer Situation sein muss: „Ich habe einen großen Kühlschrank zu Hause, und ich esse jede Menge Schweinekoteletts.“
Verabschiedet hatte Syd Barrett sich schon länger, von seiner Band, vom Rockbetrieb, von einer Welt, die seinem katatonischen Bildersturm nicht gewachsen war. Doch erst Barretts Besuch in den Abbey-Road-Studios 1975 markierte den Anfang eines 30 Jahre andauernden Endes, überlagert von Schizophrenie und Vereinsamung. Er lebte im Haus seiner Mutter in Cambridge, pflegte den Garten und malte dann und wann. Rückfahrticket zum Ruhm ausgeschlossen. Syd Barrett wurde der berühmteste Rock-Aussteiger der letzten Dekaden. Reporter pflegte der Eremit selbst mit den Worten „Syd kann jetzt nicht mit dir sprechen“ heimzuschicken. Im Juli ist Barrett an den Folgen eines Diabetes im Alter von 60 Jahren gestorben.
Was war Barrett nicht alles? Der Bohemia-Boy mit dem Eyeliner und Dylan-Locken, Bilderbuchhipster dieser Tage. Erzählte zu den Beat-Boys, die die Pforten der Wahrnehmung mit den gerade angesagten Drogen einrennen wollten: Cannabis, später LSD, er konsumierte schaufelweise, erzählten Freunde. Und Syd Barrett war der Erfinder des britischen Psychedelic-Pop.
Das Floyd-Debüt Piper At The Gates Of Dawn (1967) hat Barrett fast allein geschrieben, ein wild flatternder Erzengel inmitten einer bizarren Welt aus halluzinierten Gnomen und Vogelscheuchen. Er konnte Songs zum Mond und wieder zurück schießen, verlängerte Gitarren-Trance zum Bo-Diddley-BIues im Echo und baute schrillende Fahrradklingeln in den Song „Bike“ ein. Da schnitt sich der Zeitgeist im Künstler: Überwinde die Oberfläche! Horche in dich rein! Freak out! Syd Barrett war dabei vielleicht ein bisschen zu weit gegangen. Später entdeckten die Bandkollegen, dass er sich nicht mehr in seinem Kopf befand.
„Er war so charismatisch, ein erstaunlich origineller Songwriter“, gab David Bowie zum Tode Barretts zu Protokoll. Wie viel Bowie dem jungen Psycho-Popstar Barrett verdankt, verrät ein Song wie „Moonage Daydream“ auf ZIGGY stardust. Weniger die Vocals („Barrett war der Erste, der Rock und Pop mit einem britischen Akzent sang“) als Songwriting und – Inventar verweisen auf die Art und Weise, wie Barrett mit den Stimmen in seinem Kopf verkehrte.
Syd Barrett war die Lichtgestalt in Reihen von Pink Floyd, er nahm Mikro und Gitarre und teilte sodann das Volk. Die eine Hälfte sagt seitdem: Pink Floyd ohne Barrett ist wie die Doors ohne )im Morrison. Die anderen kriegen feuchte Ohren bei Erwähnung der Supersoundtapeten mit zahlreichen raffinierten Struktur-Effekten, die unter der Führung von Roger Waters (Songtexte, Bass, Gesang) in den folgenden Jahrzehnten entstanden. Die überall klebten, in ihrer Jugend, ihrer ersten Wohnung, im Autohaus ihres Vertrauens. Diese Pink Floyd, hinter Waters waren das David Gilmour (Barretts Gitarrensubstitut und Jugendfreund aus Cambridge), Nick Mason (Drummer der Urbesetzung) und Rick Wright (Keyboards), wurden allerdings auch eins mit dem dringenden Verdacht, dass Rock und Pop keine Gigantomanie vertragen.
Barrett muss das Verdienst zugeschrieben werden, seine Studentenfreunde auf kurzem Wege zu diesen gehassliebten Multimillionären gemacht zu haben. Sein Ausstieg war ihr Einstieg ins Kunstgewerbe, das bis heute in monströsen Live-Veranstaltungen gepflegt wird, so zerstritten die Mitglieder auch sind. Pink Floyd wurde der Sieg der Soundskulptur über den Pop, den Beweis dafür hatte erstmals das Album DARK SIDE OFTHE MOON (1973) mit Über 25 Millionen verkauften Exemplaren angetreten. Die dunkle Seite des Mondes bezeichnete nichts anderes als das psychische Schattenreich Barretts, er blieb Pink Floyd als Kunstfigur mit Tendenz zur Überhöhung erhalten.
196S hatte Waters Barrett vor die Tür gesetzt, weil er nicht mehr im Bandkontext funktionierte. Es gab Konzerte, da spielte Barrett eine Stundelang ein C auf der Gitarre und starrte ins Leere. Dann dieser Charts-Stress: Barrett wollte kein Nachfolger für die Hit-Single „See Emily Play“ gelingen. 1968 hatte er sein inneres Woodstock erlebt, wenn man die moderne Interpretation der Open-Air-Legende zugrunde legt – also das Ende aller Hippie-Träume. Der Rotstift quer durch die Utopien, die in
den 70ern pragmatischen Alternativen Platz machten, blieb Symbol für die psychischen Verletzungen, die die Größten und Fragilsten der Dekade ertragen mussten: Brian Wilson (Beach Boys), Roky Erickson (13th Floor Elevators), Nick Drake (der 1974 starb) und Scott Walker, der im Abseits seinen Rhythmus neu generierte. Bei Barrett suchte das Ende nach einem Akt der Demonstration, viel später strich er den Syd aus seinem Leben und wurde wieder zu Roger Keith Barrett, der 1946 in Cambridge das Licht der Welt erblickt hatte.
1970 nahm Barrett solo The Madcap Laughs und Barrett auf; die Demo-Sammlung Opel mit Beiträgen aus Sessions von 1968 bis 1970 erschien 1988. In der Zwischenzeit war er nicht nur zum Objekt gezielter Bewunderung junger Indie-Songwriter geworden. Es geisterten auch Sydnologen mit teils kuriosen Liebkosungen durch die Szene, angeführt vom durchaus Barrett-würdigen Song der britischen Beat-Exzentriker Television Personalities: „I Know Where Syd Barrett Lives“.
Offiziell größter Barrett-Fan wurde (Ex-)Blur Graham Coxon. Auch dem Vordenker der aktuellen Freakfolk-Schule, Devendra Banhart, konnte „the psychedelic Syd“ nicht lange verborgen bleiben. Es hatte aber nichts zu bedeuten, dass Banhart auf seinem Album Rejoicing In The Hands den Song Nummer zwölf abbrach und noch einmal von vorne spielte – wie Barrett auf The Madcap Laughs, bei Stück Nummer zwölf. „Ich habe viel zu viel Respekt vor Mr. Barrett, um auf ihn in meiner kleinen Musik hinzuweisen. Er sitzt irgendwo in den Sternen, ich bin vielleicht ein Kracher im Taubenarsch „, sagte Banhart 2004.
Beide Barrett-Alben von 1970 bleiben unfertig, sprunghaft, schwer dechiffrierbar. Barrett nimmt das Kinderlied vom sprudelnden Elefanten auf, das er mit 16 geschrieben hat. Er spult einen Technicolor-Film ab, den er selber nicht versteht: „So trip to heave and ho, up down, ‚to and fro‘ you have no word/Please leave us here close our eyes to the octopus ride!“ Dabei stammte der krängende Folk-Blues „Octopus“ noch hörbar aus der Familie von Arnold Layne, der immer Frauenkleider trug. Oder von Emily, dem Mädchen, das Barrett nachts gesehen haben mag, als er im Unterholz schlief. Ob es nicht gut sei, sich im Wald zu verirren, fragt Barrett in diesem Song. Die Antwort hätte am ehesten die Incredible String Band geben können.
Das offensichtliche Missverhältnis zwischen dem Versprechen des Psychedelic-Wunderknaben und seinem kleinen, bruchstückhaften Output musste seinen Mythos in sagenhafte Höhen treiben. Syd Barrett, Superstar des Hätte-Könnte-Wäre! Nein, man kann, man darf sich diese Traumkombinarion mit allen Floyds nicht vorstellen – wäre das nicht das Ende des Noise Pop? Schweine im Weltall wären vielleicht nach Syd Barrens Geschmack gewesen, aber er hätte sie kaum für eine gut geföhnte Präsentation von the wall auf dem ehemaligen Todestreifen am Potsdamer Platz in Betrieb genommen. Fliegende Schweine wären bei Barrett gliefened Hceinswe geworden. Und ihr Grunzen rauschte durch fünf hintereinander geschaltete Akustikgitarren. Es formte sich zur Melodie, rückwärts wohl. Du hast uns das Hirnflimmern gebracht. Thank you, Syd!
www.sydbarrett.net