Schizophren vorwärts
Da fehlte noch was: Nach einer langen Pause erkannten Cursive, dass ihr letztes Album nach einer Fortsetzung verlangte.
Lange war es still um Cursive. Seit the ugly or-Gan sind ganze drei Jahre vergangen, und nach einer Tournee mit monströsen Ausnahmen, hatten sich Tim Kasher und seine Kollegen entschieden, eine Auszeit zu nehmen. Nicht für lange, wie happy hollow nun beweist „Wir konnten einfach nicht mehr“, erinnert sich Kasher. „Wir brauchten eine Pause. Aber es war nie die Rede davon, Cursive aufzulösen. Nachdem wir die Band dann ein Jahr ruhen gelassen hatten, überkam uns ein fast zwanghaftes Gefühl. Da fehlte noch etwas. Das letzte Album verlangte einfach nach einer Weiterführung.“
Und die hat sich nicht nur für diejenigen gelohnt, die sehnsüchtig auf den Nachfolger warteten, sondern bietet auch genug Potenzial, ganz neue Fans zu gewinnen: Melodienreich und beinahe eingängig ist die Produktion von happy hollow gelungen. Bläsersätze treffen auf Gitarrenwände, viele Passagen sind beinahe vergnügt uptempo, und dennoch klingt das Album gerade deshalb so zerrissen, wie Kasher es nicht einmal mit seiner Zweitband The Good Life geschafft hat. “ Uns war zuerst gar nicht bewusst, dass die Diskrepanz zwischen Musik undTexten diesmal so groß ausgefallen ist“, überlegt der Sänger mit der großen Leidensfähigkeit in der Stimme. Jetzt, da das Album fertig ist,fällt es mir auch auf. Es ist seltsam, dass man manche Kon trapunkte so unbewusst setzt, auch wenn sie hinterher die Seele eines Werks ausmachen können.“
Kasher versetzt sich bevorzugt in Figuren, deren Leben – gelinde gesagt -ein wenig trist ist. Er vermag es, unerfüllte Sehnsüchte, angstgetriebene Stimmungen und große Sorge lyrisch auszudrücken wie kaum ein anderer. Dabei wirken seine Texte jedoch immer geradezu erschreckend real und bergen ein Identifikationspotential, das die aktuelle Musikliebhabergeneration seit den Neunzigern selten irgendwo finden konnten. „Ich gehöre ja derselben Generation an“, erklärt erbescheiden. „Und dass happy hollow musikalisch so gut ineinandergreift, haben wir auch vor allem unserem Produzenten Mike Mogiszu verdanken.“
Tatsächlich hat der Saddle-Creek-Stamm-Mischer es geschafft, die Zeriüttethek, die Cursive ausmacht, auf unmerkliche Weise zu lenken. Er hat gegensätzliche Passagen dichtester Dissonanzen durch leichte Keyboard-Transparenzen miteinander verwoben, ohne ihnen die Wucht zu nehmen, hat Höhenflüge und tiefste Gräben zu Landschaften gemacht, hat zerklüfteten Gedankensträngen einen Strohhalm zum Festhalten gereicht. „Es ist gut, wenn man mit alten Freunden arbeitet“, meint Kasher: „Dann fällt alles fast automatisch an seinen Platz.“ Den Stoff dafür hat er selbstredend nur sich selbst und seinen Bandkollegen zu verdanken. Auch wenn er dies nicht zu laut sagen will. „Aber ich bin schon sehr zufrieden“, lenkt er ein. „Stolz“ hätte auch gepasst. Vielleicht beim nächsten Mal. www.cursivearmy.com