Alles geht immer


TV On The Radio schöpfen aus dem vollen und das aus Überzeugung. Denn wer sich selbst limitiert, ist vor allem: selbst schuld. Sagen sie. Und Herr Bowie.

Es sind vor allem die vielzitierten Kritiker und auch zahlreiche Musikerkollegen, die dieses Album sehnsüchtig erwarten – den Nachfolgervon DESPERATE YOUTH, BLOOD THIRSTY

BABES, dem Debüt von TV On The Radio. Mit dem bewies die Band eindrucksvoll, daß Musikstile fast beliebig mischbar sind, wenn nur die Druckverhältnisse stimmen und mit festem Willen und aus Überzeugung kombiniert wird — Soul und Elektro und Independent-Gitarrenwände, Avantgarde und purer Pop, alles aufgesogen wie im Rausch. Die zum Rahmabschöpfen wiedervereinten Pixies baten TV On The Radio, sie auf Tour zu begleiten, und nach ein paar Monaten hatten die New Yorker fast schon vergessen, wie es zu Hause aussah, return TO COOKIE MOUNTAIN heißt ihr neues Album. Rückkehr zum Keksberg. Der steht wohl irgendwo im Schlaraffenland. Und jawohl, bei dieser Band fließen Milch und Honig. Kein Wunder, daß Sänger Tunde Adebimpe und Drummer Jaleel Bunton um die Wette grinsen. Sie schöpfen jederzeit und mit großer Lust aus dem vollen.

„Für mich ist alle Musik gleichberechtigt , erläutert Adebimpe: „Warum also sollte man sich selbst schon im vornherein limitieren? Es geht doch nicht darum, was manperfekt und sauber musikhistorisch einordnen kann, um es dann exakt nachzuspielen. Wichtig ist doch nur, was man fühlen kann.“ Er gibt sich betont blauäugig. .Wenn Musik etwas mit mir anstellt, so wie auch ein bestimmter Moment im alltäglichen Leben auf der Straße meine Sicht aufs Leben verändern kann, dann ist siegut. Das Ganze dann pseudowissenschaftlich zerpflücken zu wollen, würde nur das Gefühl und den Moment zerstören.“ Bunton zählt auf: „Ichfinde die Pixies super. The Smiths: super! My Bloody Valentine: super! Sly AndThe Family Stone:super! Warum also soll ich das nicht alles gleichzeitig wollen, wenn ich es doch gleichzeitig super finden kann? „

Diese Rechnung geht auf: jetzt werden TV On The Radio selbst von vielen super gefunden, gerade weil sie so viele Ansatzpunkte bieten, derentwegen man sie super finden kann. „Als ich klein war, haben mein Bruder und ich den ganzen Tag am Radio herumgedreht und versucht, schnell von einem zum nächsten Sender zu gelangen und so zwei passende Songs zu finden. Die Vorstufe des Sampling sozusagen „, erzählt Adebimpe. Diesen spielerischen Aspekt des Musizierens hat er sich bis heute bewahrt:

„Wer das mal selbst ausprobiert, wird merken, E

daß selbst die unterschiedlichste Musik ganz hervorragend nebeneinander stehen kann.“

TV On The Radio wuchs auf sehr selbstverständliche Weise zum Quintett heran. Am Anfang bestand die Band nur aus Adebimpe, dem zweiten Sänger Kip Malone und dem Mulriinstrumentalisten und Produzenten David Andrew Sitek, aber allmählich wurden auch Bunton und der Bassist Gerard Smith, die das Trio zuerst nur auf der Bühne unterstützt hatten, feste Mitglieder. Adebimpe lacht und erzählt: „Ohne die beiden waren wir live ein komplettes Desaster. Unsere erste EP wurde sehr gut aufgenommen. Bis die Leute uns livegesehen haben.. .“ „Anfangs bin ich einfach die Tour mitgefahren“, erinnert sich Bunton, „undals nach einem halben Jahr die Tour noch immer nicht vorbei war, dachte ich mir irgendwann: .Gut, dann ist das wohl jetzt meine Band.‘ Eigentlich hielt ich mich bis dahin für eine Art Berufsmusiker.“

Adebimpe nickt und stellt mit überzeugender Begeisterung fest: „Wir sind mittlerweile fünf gleichberechtigte Bandmitglieder. Und die Arbeit am neuen Album war dadurch sehr viel einfacher, weil gleich fünf Menschen Ideen beisteuern konnten. Lustigerweise fällt dadurchfast alles beinahe automatisch an seinen Platz.“

Toll, kreative Leute, die kreative Musik machen und sich dabei auch noch blind verstehen. Adebimpe reagiert mit Gelächter: „Au weia, das muß wohl tatsächlich klingen, als wären wir das perfekte Kollektiv. Es ist ganzgut, daß nicht alle Leute, die unsere Musik mögen, auch in unserem Bus mitfahren. Zwischendurch gehen wir uns oft derart auf den Geist, daß wir tagelang nicht miteinander reden. Lustigerweise spielen wir an solchen Tagen immer die besten Shows. Wenn wir alle entspannt waren, hatten wir hingegen zuweilen schon fast Angst vor dem Auftritt. Der würde höchstwahrscheinlich nichts werden. Wir konnten uns nur über uns selbst wundern!“

Und manchmal passieren an solchen Tagen, die schon völlig im Eimerzu sein scheinen, noch viel großartigere Dinge als ein gutes Konzert. David Bowie zum Beispiel. Der „passierte“ TV On The Radio zuerst einmal nur indirekt. Die Geschichte ist zu gut, um sie auch denen, die sie vielleicht schon kennen, nicht noch einmal zu erzählen: Durch einen Zufall hatte Dave Sitek auf dem Kunstmarkt einen Mann kennengelernt, der sich als David Bowies „Doorman“ ausgab. Der erklärte, Bowie habe für „neue Musik“ viel übrig, und Sitek drückte ihm ein paar CDs in die Hand. „Freilich ohne daran zu glauben, daß sie je den Weg in Bowies Anlage finden „, sagt Bunton.

Monate später, als die fünf im tiefsten Texas an einer ausgebrannten Tankstelle hingen und Amerika in seiner ganzen Häßlichkeit gezwungenermaßen in den Schlund starrten („Ich wußte vorher gar nicht, daß es derart rassistische Aufkleber für Pick-Up-Stoßstangen gibt!“) , als man sich gerade mal wieder gegen seitig nervte und nur miteinander sprach, um die Angst und Abscheu vor der Feindlichkeit im eigenen Land zu verarbeiten, klingelte das Telefon. Dave nahm ab. Tunde und Jaleel kichern in der Erinnerungum die Wette: „Dave sagte nur: .Wer ist da?‘ Dann schnaubte er genervt ins Telefon: Ja, klar, Arschloch! Nimm mich nicht auf den Arm! Wer ist da jetzt wirklich dran?'“

David Bowie, beim ersten Kontakt

offenbar daran gewohnt, für einen Telefon-Scherzkecks gehalten zu werden, reagierte gelassen. Er entschuldigte sich bei Dave, sich nicht früher gemeldet zu haben, er sei gerade erst von seiner Welttournee zurückgekehrt. Der Pförtner hatte Wort gehalten und die CDs an Bowie weitergegeben. Der war begeistert von TV On The Radio und bat um einen Termin, zu dem er die Band im Studio besuchen dürfe – und vielleicht auch ein bißchen mittun. Jaleel berichtet:

„Daran, daßBowieein sehrfreundlicherTyp ist, konnte ich mich schnell gewöhnen. Aber als er dann tatsächlich im Aufnahmeraum stand und sang, konnte ich es nichtfassen. Ich meine: David Bowie! Dafür habe ich mittlerweile ein ganz eigenes Aufiiahmezentrurn im Hirn, eine Art Bowie-Rezeptor oder so ähnlich.“

Nun springt der Bowie-Rezeptor wohl bald regelmäßig gleichzeitig mit den TV-On-The-Radio-Rezeptoren an. David Bowie, der sich laut der amerikanischen Musikpresse an seinen neuen Freunden gar nicht satthören kann, dürfte dies nur recht sein. Tunde Adebimpe und Jaleel Bunton hingegen wollen sich das gar nicht vorstellen: „Der Mann ist eine Ikone! Wir sind bloß irgendeine Band.“ Vorsicht, das grenzt ja fast schon an Majestätsbeleidigung. Der Thin White Duke kumpelt doch nicht mit jeder x-beliebigen Band herum.

www.tvontheradio.com