Destination: Pop


Die bisher so lieben Virginia Jetzt! fangen im Studio noch einmal von vorne an.

Zwischen Ostberliner Industrieruinen und dicht gedrängten Schrebergärten, dreißig Minuten Fußweg zur nächsten Straßenbahn, schiebt er sich klotzig in den Abendhimmel, dieser gewaltige, rot verklinkerte Gebäudekomplex am Spreeufer, von dessen Dach es einst mannshohe Leuchtlettern ins Umland riefen: „Rundfunk der DDR . Die Buchstaben sind lange abmontiert, aber auch so wirkt der wuchtige Bau noch reichlich imposant. Am kleinen Pförtnerhaus vorbei, links einen langen Flur entlang, hinaus auf die Wiese im Innenhof. Auf einer Bank zwischen skurril überdimensionierten Stahlrosen (Gartendeko, offenbar! sitzen sie dann: Virginia Jetzt! Vier junge Menschen Mitte 20, die sich einen Moment arbeitsfrei gönnen. Den ersten heute. „Großartig hier, WaS?“ Sänger Nino Skrotzki, dem mittlerweile ein schwarzer Vollbart das Gesicht umrahmt, lächelt beim Blick umher. „Wir haben auf der anderen Seite der Anlage unseren Proberaum. Polstertüren, holzvertäfelte Wände – wahrscheinlich alles voll Asbest. Aber man ist garantiert ungestört.“ So auch an diesem Montag im Mai, an dem Virginia Jetzt! hinüber ins anliegende Studio gezogen sind, um dort mit einem Chor die Backing-Vocals für ihr zweites, im Spätsommer erscheinendes Album aufzunehmen. Seit Anfang des Jahres reisen die Berliner quer durchs Land für ihre Aufnahmen, heute können sie quasi vor der Haustür schaffen. Drummer Angelo Gräbsist mit dem Rad da.

Nach dem Mauerfall standen die Räume des DDR-Rundfunks für anderthalb Jahrzehnte leer, dann entdeckten Musiker sie für sich. An den Decken der Gänge surren nun bunte Neonröhren, und neben der Tür zum Studio, das inzwischen von „H1“ in „planet roc“ umgetauft wurde, strahlt eine herzförmige Lampe warmrot ins Dunkel. Drinnen, vor einer breiten Plexiglasscheibe mit sagenhaften giftockergelben Veloursgardinen, schraubt Produzent Peter „Jem“ Seifert (of Angelika Express, Miles und Readymade fame] an einem Mischpult herum, die Augen fixiert auf den Computerbildschirm darüber, mit all den vielen kleinen virtuellen Potis.

„Es war uns immer klar, dass Jem auch unser zweites Album machen würde“, sagt Gitarrist und Tastenspieler Thomas Dörschel über den freundlichen, dunkel gelockten Rheinländer an den Reglern. „Er leistet das. was wir technisch nicht leisten können. Jem ist ein Teil dieser Band.“ Herr Seifert? „Stimmt schon. Das hier ist kein Job. keine Dienstleistung für mich. Wir sind gute Kumpel. „Was freilich nicht bedeutet, dass ersieh für die Produktion kein klares Ziel gesteckt hat. „Das erste Album von Virginia Jetzt! versprühte ja einen gewissen Indie-Schrammel-Charme. Davon versuchen wir uns nun zu lösen. „Vielschichtiger soll die neue Platte werden, gerne auch mal ernster, eckiger als ihr Vorgänger. Wollen mal sehen. Listening-Session im Regieraum. „Das ganze Leben“ heißt der erste Song und Skrotzki singt: „Diese Zeit hat keine Namen und keine echten Ideale. “ Tatsächlich hört mans schnell heraus: Weniger Gitarren, mehr Klavier – da passt es schon ins Bild, wenn Dörschel sagt: „Wir verstehen uns nicht als Indie-, sondern als Pop-Band.“ Und dieser Pop-Band steht es ganz ausgezeichnet, dass vieles auf dem zweiten Album deutlich schwermütiger klingt als auf wer hat angst vor Virginia jetzt!, dem doch so oft betont sonnigen Debüt. Verschlossen starten die neuen Stücke, öffnen sich meist erst gegen Ende, dann aber überwältigend. „Für uns ist dos ein Neubeginn“, findet Dörschel, „weshalb wirdie Platte wahrscheinlich Anfänger nennen werden.“

Kurz nach sechs, der Chor lauft ein. Dabei handelt es sich um zehn Damen und Herren, die sich „Tonikum“ nennen und eigentlich zur medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität gehören. Shakehands und Vorstellrunde, dann entschwinden die Sänger nach nebenan, um sich, nun ja, aufzuwärmen: Dehnübungen wie im Sportunterricht, Bassist Mathias Hielscher kommentiert’s lakonisch – ../ have to praise you“und meint das Video zum Song von Fatboy Slim. Nach einer halben Stunde sind sie fertig und bekommen ihre Textzeile aus dem düsteren“.Wer wir sind“ vorgespielt: „So lang bleib ich hier.“ Kurz ist sie ja, hat’s aber in sich. Zwei Stunden später ist Skrotzki immer noch nicht glücklich mit dem Take: „Das klingt mir zu traurig so. Wir tragen doch niemanden zu Grabe in dem Lied.“ „Zu atonal“, urteiltauch Produzent Seifert und signalisiert es ein weiteres Mal durch die Scheibe: Weitermachen, bitte!