ist techno echt am ende?
Die Raves schrumpfen, in den Clubs kriselt es, der Dance Music fehlen kreative Impulse. Siecht Techno dahin? Das könnte euch so passen, ihr Rocktypen!
Gemerkt hat man es längst. Dieses Jahr aber sind die Folgen der kreativen Krise in der Dance-Music endgültig spürbar geworden. Zurückgehende Besucherzahlen auf Stadionfesten wie Mayday oder der Love Parade sind offensichtliche Indizien dafür. Durch Massenveranstaltungen wie diese gelangte der Techno-Begriff früh in den Ruch eines aufgeblähten Ringelpiezes. Höchstens am Anfang ging es um Musik. Bald war die Love Parade nur noch Ausrede für reiselustige Tänzer jährlich in Berlin die Puppen tanzen zu lassen. Dieser Mainstream-Teil von Techno stirbt in der Tat.
Die musikalische Substanz Techno ist hingegen nicht tot. Genauso wenig wie Disco tot war, als Donna Summer und Giorgio Moroder die Hits ausgingen. Nach den 7oern wurde weitergetanzt, die Musik machte Veränderungen durch. Nach Disco kam New Wave-Dance, dann die ersten HipHop-Tracks, gefolgt von Acidhouse und Techno. Spätere Genre-Zweige wie Drum’n’Bass oder Big Beat heizten das Interesse neu an. Bald wird wieder jemand einen neuen Beat finden, einen anderen Sound anbieten. Denn junge Menschen wollen tanzen.
Es ist indes zu bezweifeln, dass man sich für die rhythmische Bewegungstherapie künftig noch Darbietungen langjähriger Galionsfiguren aussucht. „Die Dance-Kultur siechtim Banne einer Dl-Gerontokratie dahin‘,‘ schrieb Dirk Peitz im September in der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf das zunehmende Alter von Drehtellerprotagonisten wie Sven Väth oder Westbam. Wobei er gleichzeitig auf das Ende von Erscheinungen verweist, die diese Clubkultur ähnlich ausufern ließen wie einst der Prog-Rock-Wahn die Gitarrenmusik. Der Sound einer Band wie Underworld wurde immer voller, die Clubs immer größer, der DJ immer mehr zum Superstar. Heute zeigen Underworld Auflösungserscheinungen, schließen jahrelang erfolgreiche Großclubs wie das Liverpooler Cream und interessiert das erste Studioalbum von Staraufleger Paul Oakenfold keine Menschenseele.
All dies sind Anzeichen für die Gesundschrumpfung einer Szene, die sich nun im kleineren Kontext versammelt. In Berlin trifft man sich wieder vermehrt in unangemeldeten Räumlichkeiten und feiert unter improvisierten Bedingungen. In London stehen die Leute Schlange für Electroclash-Partys wie „Nag Nag Nag“ oder „Plastic People“. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung kommt ausgerechnet aus der getadelten Altengeneration: Der Bayer Helmut Geier alias DJ Hell (41) lässt in eigenen Veröffentlichungen und denen seines Labels International Deejay Gigolos den Willen zur Evolution erkennen.
Es schreit nach Wachablösung. Einer, der sie mit bestimmen könnte, ist Trevor Jackson. Der britische Produzent (Playgroup) hat auf seinem Output-Label schon die New Yorker Clique um LCD Soundsystem und The Rapture veröffentlicht und mit Colders AGAIN eines der wirklich zwingenden Elektronikalben des Jahres auf den Markt gebracht.
„Wir können nicht immer denselben alten Mist wiederholen. Die Musikhörer sind nicht dwnm.Sie sind von Natur aus neugierig“, weiß Jackson. Er steht mit seiner Ansicht nicht alleine da. Kleine Labels wie Shitkatapult, Disko B, Gomma, Kitty-Yo, Peacefrog oder NinjaTune haben alle ihre Perlen im Programm.
Es gibt sogar Anzeichen für einen neuen Aufbruch. Eine Sensationen diesbezüglich war der Auftritt von P. Diddy auf der Miami Music Conference dieses Jahr. Der einstige Puff Daddy überrumpelte die Besucher des Branchentreffs mit einem Techno-Track, den er wenig später veröffentlichen sollte („Let’s Get 111“). Käme ein Geschäftsmann wie er auf so eine Idee, wenn er sich kommerziell nichts davon versprechen würde?