Lou Reed


VIELLEICHT HAT ES NUR EINEN KURZEN Soundcheck gegeben. Vielleicht wollte er auch ein paar seiner fragilen Lieder spielen und konnte dann bloß nicht oder hat doch nicht mehr gewollt. Und vielleicht hat Lou Reed die sonst so obligate Sonnenbrille nur vergessen. Wahrscheinlich aber ist das alles nicht, denn Reed scheint entschlossen wie selten, man könnte sogar sagen: wild. Zum Rock’n’Roll diesmal, den er ja wieder und wieder in den Kamin geworfen und durch Wehleidigkeiten,Tagträume und Zitatensammlungen aus dem Hier und Jetzt ersetzt hat. Nun aber wurde der verstaubte Fetisch wieder aus der Piratenkiste gekramt, und siehe da, er tanzt zu Onkel Lou’s brachialen Songs. Das Publikum hingegen tanzt überhaupt nicht. Das scheint zufrieden mit dem alten Rauhbein, das wieder mal nicht Hallo gesagt hat, und schaut trotzdem grimmig drein. Zuviel Lou Reed gehört all die Jahre? Am Ende fest geglaubt daran, dass die Welt eine böse war und ist und immer sein wird und das Leben auf ihr ein Jammertal, dem selbst mit schwarzen Zynismen nicht beizukommen ist? Na, dann gibt’s ja heute abend die nächste Breitseite, denn Reed ist nicht gekommen, um zum Rückblick auf sein Oeuvre zu laden. Statt dessen der Versuch, wenigstens im Konzert die eigenen Ansprüche zu erfüllen, an denen er nach eigenem Bekunden mit dem jüngsten Album „Ecstasy“ wieder einmal gescheitert ist. Den Rock’n’Roll zur Waffe zu formen, das sei ihm bislang „nur im Kopf gelungen“. Eine furchtbare Erkenntnis. Aber mit gerade 57 Jahren gibt man nicht so einfach auf. Also lässt er sich ein auf den Fight mit seiner Gitarre, die doch niemals das gibt, was sie von ihm bekommen hat. Die Band spielt ohne jeden Schnörkel und versucht nicht aufzufallen, das Auditorium lauscht gespannt und will den Meister nicht stören, doch Lou Reed dreht sich nach jedem Song um und senkt den Kopf. Immer archaischer und monochromer werden die Akkorde, immer länger die Songs, weil Lou manisch sucht nach diesem verfluchten Sound, den er im Ohr hat wie einen Tinnitus seitdem er mit Velvet Underground dieses Versprechen gab: Es gibt eine Zukunft für den Rock’n’Roll. Längst vorbei allerdings jene Zeiten, da man ihm wie niemandem sonst die Rolle des Parzival auf den Leib geschneidert sah. Der Gral ist ferner denn je, das weiß auch Lou. Und der Musiker Reed ist besser denn je, das jedoch weiß er nicht. Er murmelt „Rock’n’Roll“ und tritt ab. Sollen sie doch schreien! Heute nicht, vielleicht beim nächsten Mal. Wenn er bis dahin nicht den Glauben verloren hat. Aber wie gesagt: Aufgeben ist seine Sache nicht er hat ja gerade erst angefangen.