Digitalien


Musik aus dem Rechner eroberte 1999 enorme Marktanteile. Zum Ärger der Industrie.

Bis vor kurzem gab es für 250.000 verkaufte Alben eine Goldene Schallplatte. Seit dem Herbst ’99 müssen für das edle Metall nur noch 150.000 CDs über die Ladentische wandern. Grund ist eine – / wie es im Branchendeutsch verharmlosend heißt-„veränderte Marktsituation“. Im Klartext: In Deutschland werden immer weniger CDs verkauft. Im ersten Halbjahr ’99 waren es nur noch 79,5 Millionen. Satte zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Prognosen für das zweite Halbjahr sehen nicht viel besser aus. Eine Ursache für den Umsatzeinbruch ist die Unmenge an Selbstgebrannten Raubkopien. Eine andere versteckt sich hinter dem Kürzel MP3. MP3, oder genauer MPEG 2.5 Audio Layer III, ist bekanntlich das derzeit gängigste Kompressionsformat für digitale Audiodateien. Oder anschaulicher: MP3 macht seit geraumer Zeit aus dem Computer eine Jukebox. Und was für eine. 2,8 Millionen Einträge finden sich im Internet zum Stichwort MP3. Angefangen natürlich bei www.mpj.com, der offiziellen Anlaufstelle für Sound-Files, bis hin zu den unzähligen privaten Homepages, die illegal ganze Alben zum Download anbieten. Bis zu 17 Millionen MP3-Dateien fischen User nach Expertenschätzungen inzwischen weltweit Tag für Tag aus dem Netz. Die meisten davon illegal. Bezahlt werden nur die Telefongebühren. Und die Industrie kann sich (noch) nicht wehren. Bislang gibt es keinen wirksamen Kopierschutz. Den Plattenfirmen bleibt derzeit nur, mit Imagekampagnen („Copy Kills Music“) an das Unrechtsbewusstsein der Datenpiraten zu appellieren. Unterstützung erhalten sie dabei unter anderem von Campino, derauf dereinen Seite bemängelt, dass „die Menschen ein seltsames Verhältnis zur Musik entwickelt haben“, und für Bücher, nicht aber für Musik bezahlen würden, der aber auf der anderen Seite auch die Hosen-Single „Schön sein“ vor Veröffentlichung ins Internet stellte. Eine andere Möglichkeit, die Leute wieder in die Läden zu locken, wäre eine massive Preissenkung bei CDs, also ein „Ende der verfehlten Hochpreispolitik“ einzuläuten, wie es Rod Gonzales von den Ärzten gegenüber „Online Today“ forderte. „Blödsinn“, entgegnete BMG-) Boss Thomas Stein im „Stern“. Dann würde Geld fehlen, neue Talente zu fördern. Das kann man jetzt glauben oder nicht. Fest steht: Das weltweite Angebot von Musik im Internet – legal wie illegal -wird auch im kommenden Jahr steigen. Nicht zuletzt durch Künstler wie David Bowie.Tom Petty, Alanis Morissette oder Public Enemy, die schon jetzt parallel zu den herkömmlichen Vertriebsstrukturen und bestehenden I‘ Verträgen Wege suchen und finden, ihre Musik auf dem schnellsten Weg zum Fan zu bringen.