Goldie
Gold im Mund und die Hand am Busen der Plattendame, beherrscht Goldie als König der Breakbeats die Szene.
Wenn Goldie ißt, dominiert er den Raum. Kellner und Kellnerinnen kommen nicht ungeschoren davon. Wenn sie seine kräftige Stimme ignorieren, greift Goldie von hinten an die Schürze und raunt: „Wo bleibt mein Steak?“ Oh ja, Goldie und die Steaks – darüber kann seine deutsche Promoterin ein Lied singen. Schon am Vortag war sie mit dem Goldbeißer in einem Restaurant, und das servierte Stück Fleisch war zäh, woraufhin Goldie zwar einen riesigen Lärm machte, aber dennoch nichts anderes zwischen seine Edelmetall-besetzten Zähne bekam. Heute ist das Steak besser. Nicht medium, sondern richtig schön durch, aber auch nicht zäh. Nur die Soße ist ihm zu wenig. „Mehr Soße!“, fordert Goldie deshalb. Und als diese endlich kommt, will er noch ein paar von diesen krassen Kroketten haben. Die schmecken ja so lecker und außerdem möchte die Vertreterin der englischen Plattenfirma, deren Busen Goldie gerade angegrapscht hat, auch etwas davon abhaben. „Hey, Nigger-Boy“, herrscht Goldie, Sohn einer Schottin und eines schwarzen Jamaikaners, den Kellner an, „mehr Kroketten!“. Wenigstens „bitte“ könnte er sagen und sich das mit dem „Nigger-Boy“ und dem Busengrapschen ganz sparen. Oder? Nein, kann er nicht.
Schließlich muß Goldie tagelang durch Europa reisen und die immer gleichen Fragen der Journalisten beantworten. Und überhaupt: Seinen Kampfschoßhund Massive mußte er auch daheim lassen, und auch der geliebte Notting Hill Carnival fällt für ihn dieses Jahr ins Wasser. Da ist es doch nicht zuviel verlangt, ein anständiges Steak zu bekommen und prompt bedient zu werden. Und da ist es doch nicht zuviel verlangt, wenn die Journalisten in seiner Gegenwart das Wort vermeiden, das Goldie auf den Tod nicht ausstehen kann: „Jungle“. Erstens, weil jeder, der sein neues Album gehört hat, zustimmen wird, daß seine Musik rein gar nichts mit „Jungle“ zu tun hat. Und zweitens, weil Goldie an der Existenz von Jungle ganz allgemein zweifelt. „In England gibt es seit Jahren eine eigenständige Entwicklung von Musik, deren Basis Breakbeats sind. Manche Stücke sind langsamer, manche sind schneller, einige basieren auf Jazz- oder Reggae-Samples und manche sind nur Drum and Bass. All dies nenne ich UK Breakbeats. Der Begriff ‚Jungle‘ ist also völlig überflüssig“. Seine eigenen vertrackten Beat-Arrangements vergleicht Goldie mit den verschiedenen Schichten eines Graffiti. Goldie weiß, wovon er spricht. Bis vor fünf Jahren war er ein B-Boy par excellence. Nachdem er als Teenager ein Video der RockSteady Crew gesehen hatte, besorgte er sich Rap-Scheiben und Sprühdosen. Wände besprühend zog er durch die Gegend, später verschlug es ihn nach New York, wo er mit den angesagtesten Graffiti-Writern abhing. Für kurze Zeit ließ sich Goldie Dreadlocks wachsen und machte eine Rasta-Phase durch, ging nach Miami und verkaufte maßgeschneiderte Goldzähne, was ihm neben ein bißchen Geld auch seinen Namen einbrachte. Zurück in London sprühte er seine Bilder nicht mehr auf Wände, sondern auf Leinwand und fing Anfang der 90er an, in Breakbeat-Clubs und auf Raves zu gehen. „Meine B-Boy-Kumpels dachten, ich drehe völlig ab. Aber alles war so neu und aufregend für mich. Ich wußte, das will ich auch machen“, erinnert sich Goldie. Mit seiner dritten Platte ‚Terminator‘ etablierte sich der goldglänzende Brite als innovative Kraft in der Szene. Seitdem wartete alles gespannt auf sein neues Album. Das Warten hat sich gelohnt, denn mit ‚Timeless‘ hat Goldie ein kleines Wunder vollbracht. „Ich hab manche Songs bewußt sehr kompliziert gemacht, damit auch den Leuten, die immer behaupten, Dancemusik sei so furchtbar simpel, der Kopf weggeblasen wird.“ HEIKO HOFMANN