P. J. Harvey
Nach zwei Jahren Pause kehrt die aggressive Engländerin mit ihren düsteren Songs zurück auf die Bühne —im Vorprogramm von R.E.M.
Ein eisiger Sturm fegt vom steinigen Strand über die grünen Hügel zum nahegelegenen Dorf. Hier, in der ländlichen Einsamkeit eines westenglischen Küstennestes, bereitet sich Polly Jean Harvey samt neuer Band nach zwei Jahren Funkstille auf ihr Comeback vor. Irgendwo in dieser Gegend hat sich die Musikerin ein Haus gekauft. In direkter Nachbarschaft zu Eltern und Bruder widmet sie sich dem Landleben mit Hund, Katze und Garten. „Wenn ich mal nach London fahren muß, fühle ich mich hilflos“, erklärt sie. „Auf dem Land geht alles viel gemütlicher zu als in der Stadt. Deshalb habe ich jetzt viel mehr Zeit, um interessante, neue Dinge zu entdecken.“ Bis Polly zu dieser Einsicht kam, mußte sie reichlich Lehrgeld zahlen: „Vor zwei Jahren, als ich ‚Rid Of Me‘ aufnahm, wußte ich nicht mehr, was ich eigentlich wollte. Ich war sehr unglücklich in der Stadt. All meine innere Unzufriedenheit von damals steckt in dem Album.“ ‚Rid Of Me‘, eines der persönlichsten Alben der 90er Jahre, geriet zum Protokoll von Pollys Zusammenbruch – bestach aber dennoch durch musikalische und textliche Dramatik. Während der anschließenden Tour verlor Polly ihre Band und damit den Kontakt zur Musikwelt. „Die Trennung war schwierig, aber sie gab mir den Freiraum, den ich damals einfach bitter nötig hatte.“ Selbstbewußtsein und Glauben an ihre Arbeit litten unter dem Split nicht: „Die Tatsache, daß meine Eltern immer hinter mir standen, gab mir Kraft.“ Nicht nur das. Vater und Mutter, die von P.J. liebevoll als „Hippies“ charakterisiert werden, legten der Tochter etwas besonderes in die Wiege: einen exzellenten Musikgeschmack, der nur durch einen kleinen „Ausrutscher“ in der Jugend getrübt wurde. Im zarten Alter von 14 Jahren kaufte Polly diverse Alben von U2 und den Simple Minds. „Gottseidank“, sagt sie heute, kehrte sie bald zurück zur elterlichen Plattensammlung von Leadbelly, Willie Dixon, Bob Dylan und vor allem Captain Beefheart. Weshalb sie auch fast aus den Gartenstiefeln kippte, als die Post den Brief eines gewissen Eric Drew Feldman brachte. Der Absender, ehemaliges Mitglied von Beefhearts Magic Band, hatte erfahren, daß Polly auf der Suche nach neuen Musikern war und bewarb sich um einen Job bei ihr. „Ich konnte es nicht fassen“, jubelt P.J., „er war doch für mich wie Gott!“ Jetzt ist „Gott“ Mitglied einer Band, der auch ein Ex-Gitarrist von Tom Waits, der Drummer von Gallon Drunk und der Multi-Instrumentalist John Parish angehören. Zusammen mit diesen Musikern will P.J. Harvey die Songs des neuen Albums ‚To Bring You My Love‘ auf die Bühne bringen. Düster-dramatische Epen, die sich zwar textlich von den reinen autobiographischen Inhalten der Vergangenheit entfernen, aber deshalb keineswegs weniger persönlich erscheinen: „All meine Texte setzen sich mit meinen Gefühlen auseinander“, meint Polly und denkt deshalb mit Schrecken an das Business und die nächste Tour. „Es ist ein Leben der Extreme: Auf der einen Seite steht die Intimität der Songs, auf der anderen geht es nur ums Geld. Das Business macht mich krank. Manchmal meine ich, daß ich Verrat an der Musik begehe und möchte alles hinschmeißen. Mittlerweile habe ich jedoch gelernt, einigermaßen damit umzugehen. Das funktioniert aber nur, weil ich meine Tour-Erlebnisse zu neuen Songs verarbeite.“