Chris Cornell war Seattles mächtige Stimme
Sein Gesang brachte Steine zum Schmelzen, seine Songs therapierten eine Generation. Mit 52 Jahren hat sich Chris Cornell das Leben genommen.
Am 18. Mai erloschen die Lichter der Space Needle. Eine Stunde lang blieb das Wahrzeichen von Seattle dunkel. Die Stadt trauerte um einen ihrer großen Söhne. Schon wieder. „Denjenigen von uns, die in Seattle aufgewachsen sind, ist schmerzlich bewusst, dass wir fast eine ganze Generation unserer musikalischen Helden verloren haben“, twitterte Carrie Brownstein von Sleater-Kinney. Jetzt auch noch Chris Cornell. Als Frontmann von Soundgarden war er eine Ikone der letzten Rock-Revolution gewesen. So gutaussehend wie talentiert. Wenn Kurt Cobain der Generation X als „Sprachrohr“ diente, dann war Cornell ihre mächtige Stimme. Sein Gesang brachte Steine zum Schmelzen. No one sings like him anymore.
1984 gründete er Soundgarden mit Hiro Yamamoto und Kim Thayil. Musikalisch orientierten sie sich an Zeppelin und Sabbath, ideell fühlten sie sich dem Punkrock nahe. Angebote großer Plattenfirmen schlug die Band zunächst aus, das Debüt ULTRAMEGA OK erschien 1988 beim Indie-Label SST. A&Rs wurden durch Soundgarden auf das verschlafene Seattle aufmerksam. Bald unterschrieben Alice In Chains, Nirvana und Pearl Jam Major-Deals, wenig später folgten die ersten Megaseller der Szene: NEVERMIND, TEN und DIRT. Soundgarden schlossen erst langsam auf. Im Oktober 1991 veröffentlichten sie ihr drittes Album BADMOTORFINGER. Dass eine Platte, die so komplex und kompromisslos dahinwütet, in den USA 1,5 Millionen Mal Käufer fand, war dem Zeitgeist zu verdanken. Auch Axl Rose deklarierte sich als Fan und bat Soundgarden zur Tour mit Guns N‘ Roses – eine Einladung, die Cornell im Gegensatz zum ebenfalls umworbenen Kurt Cobain gerne annahm. Er wollte, dass seine Musik von so vielen Menschen wie möglich gehört wird. Die Rolle des Rockstars schien ihm zu liegen. In Videos gab er den wilden Mann mit nacktem Oberkörper, in Interviews sprach er sensibel und wortgewandt. Man konnte kaum glauben, dass einer wie er sich auf die Seite der Loser und Ausgestoßenen stellte.
Ein Popstar wurde der Rockstar Chris Cornell nicht
Erfolgreicher verlief die Zusammenarbeit mit den Instrumentalisten von Rage Against The Machine. Unter dem recht dämlichen Namen Audioslave spielten sie recht dämlichen Zwei-Finger-Riff-Rock und fanden damit einen Platz auf den großen Festivalbühnen der Welt – auch wenn dem Sänger die Langeweile oft ins Gesicht geschrieben stand. Aber Cornell hatte Lust am Mainstream gefunden. Er coverte Prince und Michael Jackson, schrieb den Titelsong zu einem Bond-Film. Mit dem von Timbaland produzierten SCREAM versuchte er 2009 den Wandel zum Popstar – und versetzte seiner Karriere beinahe den Todesstoß. Kritiker und Kollegen verrissen ihn, Fans fühlten sich verraten. Also tat Cornell, was getan werden musste: Er trommelte Soundgarden zu einem Comeback zusammen.
Eine würdige Band-Platte entstand, 2015 auch noch ein versöhnliches Solo-Album (HIGHER TRUTH), das Cornell als gereiften Künstler zeigte. Der Ruf war wiederhergestellt. Auch privat wirkte er die letzten Jahre ausgeglichen. Man sah ihn an der Seite seiner Frau Vicky Karayiannis. Lächelnd, gut gebräunt. Looking California. Am 18. Mai 2017 erhängte sich Chris Cornell nach einem Soundgarden-Konzert in Detroit. „The lives we make never seem to ever get us anywhere but dead“, hatte er als junger Mann gesungen. Am Tag seines Todes erloschen die Lichter der Space Needle. Als Zeichen dafür, dass sein Leben mehr Bedeutung hatte, als er ihm selbst zugestand.