Iggy Pop: Vom wilden Mann zum Saubermann
Früher rieb er sich den nackten Oberkörper mit Schmutz und Glasscherben ein, heute hilft er beim Abwasch und trägt seiner Frau den Müll herunter. Wie der notorische Junkie-Punk sein Leben rigoros entrümpelte, erfuhr ME/Sounds-Mitarbeiter Peter Jebsen in Los Angeles.
„Früher hätte ich nicht gedacht, daß ich überhaupt so alt werden würde“, meint der 43jährige Veteran, sichtlich zufrieden mit den Leistungen des „neuen“ Iggy Pop: „Als ich mir vor sechs Jahren ein Familienleben aufzubauen begann, mußte ich mir erst mal die grundlegendsten Oberlebenstechniken beibringen … ich hatte nie zuvor eine feste Adresse und mußte mich zum ersten Mal in meinem Leben mit alltäglichen Dingen wie Hauswirten und Mietverträgen auseinandersetzen.“
Im Moment befindet sich der Wahl-New Yorker jedoch im schnieken Hollywood-Hotel Chateau Marmont, um die Werbetrommel für sein neues Album BRICK BY BRICK zu rühren – ein willkommener Anlaß, sich über die Stadt aufzuregen, der er den Song „Butt Town“ gewidmet hat: „Los Angeles ist voll von Korruption, weil sich jeder irgendwie verkaufen will. Auch ich verwandle mich hier in meinen schlimmsten Alptraum – je länger ich das Spiel mitmache, desto mehr werde ich selbst zu einem dieser Plastikmenschen!“ Iggy spricht als gebranntes Kind: Mitte der 70er war er in L.A. nach dem Ende der Stooges derart unter die Rader gekommen, daß er sich selbst in eine Nervenheilanstalt einweisen ließ…!
Beim energiegeladenen 90er Iggy ist von den früheren Problemen nichts mehr zu spüren. Im Gespräch gibt er sich geradezu zuvorkommend – anders jedenfalls als es seine immer noch trotzigen Texte erwarten lassen. Auch auf seinen Publicity-Fotos schaut er meist mit grimmigem Gesicht in die Kamera. „Das ist einfach eine Stimmungssache“, erklärt er. „Aber im normalen Leben sehe ich keinen Grund, ein Arschloch zu sein. Was bringt das? Mich ärgert es bei Kollegen, wenn sie ein blütenweißes Image haben, sich in Wirklichkeit aber mies aufführen.
Ich bin ungemein stolz auf das, was ich durchgemacht habe“, meint Iggy Pop auf die Frage, ob ihn angesichts der „wilden Jahre“ manchmal nicht auch nostalgische Gefühle beschleichen. „Aber ich muß da nicht noch mal durch, weil ich das schon beim ersten Mal sehr gründlich getan habe. „
Die Zeit mit den Stooges – die ein amerikanischer Kritiker denjenigen Hardcore-Fans empfahl, denen die Sex Pistols zu schlaff sind – sind für Punk-Vater Pop endgültig abgeschlossen. „Ich habe früher aus den falschen Gründen versucht, die Stooges musikalisch aufzuarbeiten, was sich stets als katastrophaler Fehler herausstellte. Man kann sich nicht zurückbewegen. „
Neue Kicks holt sich Iggy Pop in seiner zweiten Karriere als Filmschauspieler, zuletzt im jüngsten John Waters-Streifen „Cry Baby“. „Die Schauspielerei war nicht zuletzt wichtig ßr mich, um mir nach den Drogenjahren Selbstdisziplin beizubringen: Ich habe vor meiner ersten Rolle etwa 70mal für andere Projekte vorsprechen müssen – und wußte nie, wann das Telefon klingeln würde. Ich mußte also für den Fall der Fälle immer nüchtern bleiben – das war einer der vielen Kunstgriffe, die ich als Therapie benutzte.“
Ein weiterer Nebeneftekt lag in der Tatsache, daß nun auch ignorante Journalisten, die den Ex-Stooge bislang „für einen räudigen Rocker von der Straße“ hielten, plötzlich Notiz von ihm nahmen – „nur weil diese Deppen glauben, daß du ein gottverdammter Filmstar bist!“
Der Musiker Pop bemühte sich bei seiner jüngsten LP-Produktion, möglichst viele rauhe Live-Energie herüberzubringen: „Wir haben die komplette Platte in sechs Tagen aufgenommen. Keiner der Musiker hatte irgendeinen der Songs vorher gehört. Ich habe ihnen die Stücke im Studio vorgespielt, wir einigten uns auf die Akkorde, und schon lief das Band!“ Bei drei Titeln klappte es gleich auf Anhieb so gut. daß der erste Takt für die LP ausgesucht wurde.
Iggy Pop und sein Produzent Don Was („Ich lernte ihn bei einer piekfeinen Party kennen – wir beide waren die einzigen, die Jeans und T-Shirts trugen!“) arbeiteten mit Studio-Bands, jeweils in der klassischen Besetzung Lead-Gitarre/Baß/Schlagzeug. Neben David Lindley, Waddy Wachtel und Charlie Drayton standen auch zwei Fünftel von Guns N’Roses ihrem Vorbild zur Seite: Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan. Die Kontroverse um angeblich rassistische Textaussagen von Guns N’Roses-Sänger Axl Rose hatte bei Iggy keine Berührungsängste hervorgerufen: „Duff und Slash haben die fraglichen Texte nicht mitgeschrieben. Außerdem höre ich generell lieber einen richtigen Song, den ein Hackbeil-Mörder aus dem Bauch heraus geschrieben hat, als einen lauen Titel von irgendeinem Weltverbesserer. Es ist immer besser, wenn Meinungen von Leuten an die Öffentlichkeit kommen, ab daß man sie unterdrückt.“
Iggy kommt in Fahrt: „Viele Kollegen – besonders diese angeblichen Rock ’n‘ Roll-Helden haben nicht den Mut, darüber zu berichten, was wirklich in ihrem Leben läuft, was ihnen wirklich durch den Kopf geht. Man merkt bei ihren Songs, daß sie am Morgen die Zeitung lesen, sich ein Thema heraussuchen und dann das politisch korrekte Statement dazu abgeben. Das macht mich krank, ich hasse so etwas.“
Namen, Iggy, Namen!
„Nein, danke… die Leute, für die ich meine Musik mache, wissen schon, wen ich damit meine. Durch die neue Technologie ist es zu einfach geworden, Musik zu machen, ohne sich mit anderen Leuten auseinandersetzen zu müssen. Der Beruf ist ein bißchen zu steril geworden – bei meiner ersten Band mußte ich noch Proben absagen, wenn einer der Musiker zu stoned war. Viele der heutigen Musiker sollten sich um besten gleich einen Aktenkoffer zulegen“, fährt Iggy fort – und läßt sich dann doch noch zu einer Breitseite verleiten: „Nimm zum Beispiel David Hasselhoff – was für ein Arschloch! Warum zum Teufel nimmt der eine Platte auf? Irgendwie habe ich starke Zweifel, ob Mr. Hasselhoff tiefschürfende soziale Erfahrungen durchleben mußte, um Musik machen zu können …“
Seine eigenen Erfahrungen druckt der häuslich gewordene Mr. Pop heutzutage in Songs wie „Home“ aus, einer Hymne auf die eigenen vier Wände und – laut Iggy Pop – eine Art Leitmotiv von BRICK BY BRICK. „Ich bringe die Freude über meine neue Wohnung mit dem Problem der Obdachlosen in Verbindung, ohne jedoch ins Predigen verfallen zu wollen. In der ersten Strophe rede ich davon, wie ich mir den Arsch abarbeite – in der Hoffnung, niemals auf der Straße zu landen. Ich bin nämlich nicht reich, meine Platten erreichen keine enormen Verkaufszahlen. Deshalb habe ich mir ernsthaft die Frage gestellt, was ich nur machen könnte, wenn ich mit 60 kein Einkommen mehr hätte und sich keiner um mich scheren würde.“
Auch was die politische Zukunft anbetrifft, ist Iggy skeptisch. „Ich wäre nicht überrascht, wenn sich noch zu meiner Lebenszeit in den USA und anderswo Polizeistaaten entwickeln würden. Wenn nach all meinen Bemühungen der letzten sechs, sieben Jahre, ein vernünftiges Leben zu führen, durch Einflüsse von außen plötzlich alles kaputtgemacht würde, hätte ich auch gleich crazy bleiben können!“