Krach gemacht Bargeld lacht


Wer hat in diesem Jahrzehnt etwas für das Ansehen deutscher Kultur im Ausland getan? — Modern Talking und Nena! Mehr fällt dem Disc Jokkey des New Yorker „Pyramid Clubs“ zu diesem Thema nicht ein. Bevor ich ernsthaft an meinem kulturellen Selbstbewußtsein zu zweifeln beginne, kommt dem DJ. zum Glück ein Freund zu Hilfe: „Oh yeah, the Einstutzende Noibauden!“

Die Krachmacher aus Berlin. Seit Kraftwerk hat keine deutsche Gruppe deutlichere Spuren in der Rockgeschichte hinterlassen. Die kreativen Chaoten mit dem Exoten-Image sind bekannt von New York bis Tokyo. Und spätestens seit sie in Hamburg Peter Zadeks „Andi“ übertönten, sind sie auch der deutschen Kultur-Schickeria ein Begriff.

Was vor sieben Jahren als herber Kraftausbruch auf einem Instrumentarium aus alten Auto-Kotflügeln und Vorschlaghämmern anfing, hat auf den letzten beiden Platten der Neubauten, V-Mensch und Fünf Auf Der Nach Oben Offenen Richterskala, ein Format und eine Eigenständigkeit erreicht, die über alle Stilfragen erhaben sind. „Unsere neue Platte ist dynamischer als alles, was wir bisher gemacht haben“, urteilt Sänger und Chefdenker Blixa Bargeld (richtiger 46 ME/Sounds Name: Christian Emmerich). „Ein Spektrum von unerträglich still bis zu sehr laut. Das bedeutet für mich Dynamik.“

Das Schrottinstrumentarium der beiden Schlagwerker F. M. Einheit und Andrew Unruh ist geblieben. Geblieben sind auch Blixa Bargelds ekstatischer Gesang, seine genialen Texte. Mark Chungs gnadenlos knüppelnder Baß und Alexander Borsigs heftige Gitarre. Neu sind der Emulator-Computer und die leisen Töne, Intensität und Energie wurden aber mittlerweile so auf den Punkt gebracht, daß sogar das Hamburger Theaterpublikum im Musical „Andi“ jubelnd zugeben mußte, daß ihnen die herben Klange kalte Schauer den Rücken hinunterjagten.

Was Blixa Bargeld von dem Ausflug in die hehre Welt des Theaters hält, vertraute er kürzlich dem englischen „Melody Maker“ an: „Ein beschissenes Stück in einem institutionalisierten, hürokratisicncn clculsehen Theater. Einfach Scheiße. Ich spiele sechs Songs und verdiene einen Haufen Geld damit. „

Weil sich die Neubauten geweigert hatten, bei der Lautstarke irgendwelche Kompromisse einzugehen, hatte die Theaterleitung Ohrenschützer an die Schauspieler und Ohrstöpsel ans Publikum verteilt. Jeder Schauspieler, der irgendwie ins Krankenhaus mußte, war erstmal unsere Schuld“, erinnert sich Bargeld. „Einer wurde wegen Hörsturz eingeliefert. Da war was los. Obwohl jedermann weiß, daß Hörsturz nichts mit dem Gehör zu tun hat. Ein Tontechniker hatte angeblich Herzrhythmusstörungen und Regisseur Peter Zadek wurde immer schlecht. Er hat sich auf den Gängen gewälzt. „

Das plakativ exzessive Leben der Neubauten, die weder sich noch ihr Publikum schonen, gibt immer wieder Stoff für reißerische Geschichten, die wenig mit der Musik zu tun haben. Die Mär von der Nacht, als die Neubauten angeblich die New Yorker Disco „Palladium“ in Brand steckten zum Beispiel.

„Vollkommener Blödsinn“, meint Blixa. „Die Seennty ist ausgerastet, das war alles. Die wußten, daß wir etwas mit Feuer machen, und das Feuer war minimal. Diese Sicherheitslewe haben ja nur die Aufgabe, daraufgefaßt zu sein, daß irgend etwas passiert. Ich kann mir vorstellen, daß man da nach einiger Zeil eine ganz schöne Paranoia entwickelt. Bei unserem Konzert hatten sie eben das Gefiihl, daß etwas passieren müßte. Sie wußten nicht, in welche Richtung sie reagieren sollten. Da haben sie einen eisernen Vorhang runtergelassen, weil sie glaubten, sie müßten das Konzert jetzt abbrechen. Das Publikum ist natürlich wild geworden. Die Sicherheitsleute haben wahllos Leute angegriffen. Mich haben sie eine Treppe runtergeschmissen. „

Ein ganz anderes Image haben die Neubauten in Japan. Da gibt es Geschichten in Teenie-Zeitschriften und riesige Poster von Blixa. „Unsere japanischen Fans reagieren wie in alten Beatles-Filmen. Ein Gekreische, das nicht mehr aufhört. Zum Teil ist mir das ein Rätsel. Aber in Japan ist das Fan-Sein ein totaler Bestandteil eines jungen Menschen. 75 Prozent unseres Publikums da sind kleine Mädchen. „

Daß der Kult in Japan Blixa nicht in den Größenwahn treibt, dafür sorgt schon das Echo auf die Neubauten in England. In der Independent-Szene sind sie zwar ebenfalls angesagt, werden aber noch immer an der inzwischen aufgelösten britischen Industrierock-Band Test Dept. gemessen.

„Dort wo ich lebe, bin ich so berühmt, wie ich es nur werden kann“, sinniert Bargeld, „was interessiert mich die unbekannte Welt, was für mich eben England ist? Wir bekommen eigentlich überall alles, was wir brauchen. Und wenn nicht, dann brauchen uns die Leute in dem Fall eben nicht.“