Der Negerkuss


Er ist geil und gottesfürchtig, funky und verschlossen, liebt Purpur, Paisley und sich selbst. Prince Rogers Nelson hat das Zeug zum feuchten Traum einer ganzen Generation. Jetzt startet der geniale Narziß aus Minneapolis auch in Europa zum Großangriff auf Augen und Ohren: mit seinem zweiten Film „Under The Cherry Moon“ und 13 Konzerten zwischen Stockholm und Paris. Die Auftritte in Frankfurt, Essen und Hamburg sind ausverkauft. Punkt.

Spätestens seit ihn „Purple Rain“ zum offiziell anerkannten Superstar gemacht hat, heißt das Lieblings-Rate-‚ spiel der nicht-amerikanischen Popwelt: Kommt er oder kommt er nicht? Zwei Jahre lang gab Prince Rogers Nelson keine Antwort, und die Gerüchte reichten von Prince ist vor Khadafi aus Europa geflohen über vielleicht ein, zwei Konzerte im Wembley bis zum achselzuckenden nach Tschernobyl läuft sicher gar nichts mehr.

Wers geglaubt hat, steht jetzt ohne Karte da. Sooo scheu und ängstlich ist der große Kleine (1.60 m) gar nicht — und so reich, daß er die Alte Welt einfach links liegen lassen könnte, auch nicht. Daß er seine Tourpläne erst einen Monat vorher bekanntgegeben hat, steht auf einem anderen Blatt, war aber von einem Mann, der Unberechenbarkeit zum Markenzeichen gemacht hat, gar nicht anders zu erwarten. Prince darf alles.

„Normalerweise haben wir für Konzerte dieser Größenordnung mindestens doppelt soviel Vorbereitungszeit“, heißt es bei seinem deutschen Tourveranstalter Lippmann und Rau. „Für Rod Stewart waren es zwei Monate, für Queen sogar zweieinhalb bis drei. „

Bei seiner Plattenfirma war man zwar „seelisch schon drauf vorbereitet“, trotzdem steht die deutsche WEA seit Ende Juli Kopf. Pressechefin Elfi Küster: „Wenn das vorbei ist, bin ich ein Nervenbündel. „

Ihren Kollegen beim Filmverleih Warner Columbia geht es nicht anders: „Under The Cherry Moon“, der sagenumwobene zweite Prince-Film, ist zwar erst im Juli in den Staaten angelaufen, soll aber ab 28. August bereits in deutschen Kinos zu sehen sein. Vier Wochen vorher war der Streifen noch gar nicht synchronisiert.

Verglichen mit den Überraschungen, die sich Prince in Amerika leisten kann, nimmt sich der Europa-Coup trotzdem noch relativ bescheiden aus: Zu Hause reicht es mitunter völlig, wenn er einen Auftritt morgens im Radio ankündigen läßt und nachmittags die Kassen öffnet, um abends vor ausverkauftem Haus zu spielen.

Daß er überhaupt wieder spielt, verdanken wir zum einen dem Film, in dem Prince nicht bloß singt und spielt, sondern gleichzeitig für Story, Besetzung und Regie verantwortlich zeichnet. Wenn „Under The Cherry Moon“ floppt, geht seine Leinwand-Karriere gleich mit dem Bach runter. Zum anderen macht sich der 26jährige in letzter Zeit Sorgen um seinen Ruf. „Die Medien verkaufen ihn als bösen Buben“, erklärt Langzeit-Kumpanin Sheila E.: „Er ist sich dessen durchaus bewußt, und ich glaube, er versucht das zu ändern“.

Und wie! Zur US-Premiere seines Films verloste er nicht bloß Eintrittskarten, sondern gleich die ganze Premiere. Die 20jährige Lisa Barber, ein Motel-Zimmermädchen aus Sheridan, Wyoming, gewann einen Tag mit Prince plus 200 Kinokarten und bescherte ihrer Heimatstadt damit die erste und vermutlich auch letzte Welturaufführung im örtlichen Centennial Twin Kino.

So einen Auflauf hatte das Fischernest seit den Indianerkriegen nicht mehr erlebt: Die Vorhut bildeten die Zofen des Prinzen, die die pummelige Lisa vom Lande optisch hoffähig machen sollten, dann flogen der Meister und die Ehrengäste ein, und kurz nach sechs rollte ein weißer Buick (Nummernschild: LOVE) vor die Haustür von Lisas Wohnwagen-Heim. „Hello, my name is Prince. Ready to have a good time?“

Kaum zu glauben, daß das derselbe junge Mann sein sollte, der bis vor einem Jahr nicht mal Interviews geben wollte. Doch auch das hat sich geändert: „Über mich sind haufenweise Sachen geschrieben worden, und eine ganze Menge davon hat nicht gestimmt. Ich habe nichts gegen Kritik, ich mag bloß keine Lügen. Ich finde, daß ich in meiner Arbeit und meinem Leben ehrlich gewesen bin; da fällt es schwer, ruhig mitanzusehen, wie irgendwelche Leute glatte Lügen verbreiten.“ Der Drang, die Unzahl Gerüchte aufzuklären und zumindest ansatzweise richtigzustellen, war schließlich doch stärker als seine Abneigung gegen persönliche Fragen, gegen Fragen über seine Vergangenheit. „Ganz zu Anfang habe ich eine Menge Journalisten geärgert, weil ich wollte, daß sie sich auf die Musik konzentrieren, anstatt auf mein kaputtes Elternhaus. „

Dabei wäre Prince vielleicht noch nicht halb so weit, wäre er nicht schon als Zehnjähriger mehr oder weniger auf sich selbst gestellt gewesen. Damals wurde er „Skipper“ gerufen — Prince heißt er wirklich, nach der Jazzcombo seines Vaters, dem Prince Rogers Trio. Irgendwann stieß seine Mutter, die Sängerin Mattie Shaw, zur Truppe von Papa John Nelson, die beiden heirateten, lebten aber bereits wieder getrennt, als Prince jr. gerade sieben war.

Zunächst blieb er bei seiner Mutter, wurde dann zwischen Stiefvater, leiblichem Vater, Tanten und Onkels in Minneapolis hin- und hergereicht, um mit 13 bei Bernadette Anderson zu landen, der Mutter seines Freundes und Band-Kumpels Andre Cymone, dessen Vater wiederum Bassist im Prince Rogers Trio gewesen war. Mit Andre am Baß, dessen Schwester Linda (Tasten) und dem späteren Time-Sänger Morris Day am Schlagzeug gründete Prince Grand Central, die sich später in Champagne umtauften, bei Andres Mutter im Keller übten und von Morris‘ Mutter gemanagt wurden.

Zur gleichen Zeit lernte er auch Studiobesitzer Chris Moon kennen, von dem er sämtliche Tricks und Kniffe lernte, um schon seine ersten Alben nicht nur selbst zu spielen, sondern auch im Alleingang aufzunehmen und zu produzieren.

Denn dreinreden lassen hat sich der penible Perfektionist noch nie gerne; Prince weiß immer lOOprozentig, was er will und wie er’s will. Mit Mary Lambert, die zunächst in „Under The Cherry Moon“ Regie führte, hatte er sich nach den ersten Drehtagen so gründlich in der Wolle, daß sie ihm ihren Job überließ und wegen „künstlerischer Differenzen“ ausstieg. Einzig seine Band-Kolleginnen Lisa und Wendy (Tasten und Gitane) dürfen unbeaufsichtigt an Prince-Nummern arbeiten.

„Der Trick ist, mit jeder Situation, in die du gerätst, klarzukommen und dich zurechtzufinden“, erklärt Prince sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. „Wenn man sich selbst findet, findet man Gott — und umgekehrt. Gott ist in uns. Du mußt nur herausfinden, wer du bist und wofür du stehst, den Unterschied zwischen richtig und falsch lernen und fähig sein, die Dinge abzuwägen. Ich mag eigentlich gar nicht so viel darüber reden, das klingt immer so, als würde ich predigen. „

Und genau das tut er — Prince predigt für eine freiere, tolerantere Welt ohne Rassen- und Nationalitätsschranken, ohne Haß, ohne Tabus und ohne Drogen. Prince ist seine eigene Droge — so voll und ganz von sich und seinen Ideen eingenommen, daß er nicht mal Kaffee braucht, um durchzuarbeiten. „Wenn ich etwas anfange, will ich ’s auch in einem Rutsch durchziehen — da arbeiten die Toningenieure oft in Wechselschicht. „

320 Songs hat der Workaholic fix und fertig in der Schublade, und nebenbei auch noch Zeit gefunden, die Solo-Werke seiner Freunde zu betreuen und mit Bands wie The Time, Vanity/ Apollonia, The Family, Mazarati und Sheila E. eine Kreativ-Clique zu bilden, die als Minneapolis-Clan in die Popgeschichte eingehen wird.

Die drei erstgenannten Acts haben sich inzwischen aufgelöst, auf Solopfade begeben, neue Projekte gestartet oder sich zu Prince ins Bett gelegt. Das teilt er nach wie vor mit Susannah Melvoin, der früheren Family-Sängerin und Schwester seiner Gitarristin.

Allzu häufig sehen sich die beiden allerdings nicht — auch wenn der Prinz mal nicht arbeitet, bittet er seine Freunde nur ungern zu sich. Er traut sich nicht. „Darum kommt immer mal wieder einer aus der Band vorbei, und wir unterhalten uns sehr lange. Es sind nur sehr wenige, dazwischen vergeht immer viel Zeit, und am meisten rede ich. Ich glaube, sie lieben mich so sehr, und ich liebe sie so sehr, daß ich, wenn sie ständig vorbeikommen würden, gar nicht in der Lage wäre, das fiir sie zu sein, was ich für sie bin, und sie gar nicht für mich tun könnten, was sie fiir mich tun.“

Und das ist eine ganze Menge; erst im Frühsommer hat Prince seine Band, The Revolution, auf 11 Mann/Frau aufgestockt. Neben Wendy und Lisa begleiten ihn die Alt-Revolutionäre Bobby Z am Schlagzeug, Mark Brown (Baß) und Matt Fink (Keyboards); neu hinzugekommen sind Gitarrist Mico Weaver, Eric Leeds am Saxophon, Matt Blistan (Trompete), sowie Wally Safford, Greg Brooks und Jerome Benton, die Prince mit Tanz, Gesang und Grimassen zur Seite stehen.

Bei seiner momentanen Tour-Freudigkeit (nach dem Europa-Ausflug geht’s quer durch die Staaten) bleibt Prince kaum noch Zeit für seine eigene Firma: Paisley Park. Die ist allerdings auch „noch neu und sehr klein. Wenn ich mehr Zeit und mehr Geld habe, will ich mich nach jungen Leuten umsehen, die was zu bieten haben. Ich versuche niemanden abzulehnen, der zu mir kommt und mich um einen Song bittet. Aber nicht allzuviele Leute tun das. Vielleicht denken sie, daß ich viel zu abgehoben bin oder dies und jenes denke; dabei bin ich gar nicht so. Ich hab‘ noch jedem einen Groove abgegeben, der mich darum gebeten hat.

Wenn ich mich auf einen neuen Act einlasse, dann am liebsten auf jemanden, der brandneu ist. Und hungrig. Es ist echt einfach, jemandem einen Hit zu verschaffen, der schon ein fettes Bankkonto hat. Aber es gibt dir mehr, wenn du ihn jemandem verschaffst, der ihn braucht. Außerdem arbeiten hungrige Leute härter.“

Prince selbst ist immer hungrig. „Das steigert sich mehr und mehr. Einer meiner Freunde macht sich schon Sorgen, daß ich irgendwann einen Kurzschluß habe, daß ich meinen letzten Song ausklingen lasse und einfach zusammenklappe…

Dabei wird es jeden Tag interessanter. Mehr als irgend etwas sonst versuche ich, mich nicht zu wiederholen. Das ist das Schwierigste auf der Welt — es gibt nun mal nur soundsoviel Noten, die ein Mensch zusammenstellen kann. Für die Leute läuft das alles auf die Frage hinaus: ‚Wird Prince zu groß für seine Schuhe?‘ Ich hätte gern, daß die Leute begreifen, daß ich immer daran geglaubt habe, daß ich es draufhabe. Ich wäre gar nicht in dieses Business gegangen, wenn ich nicht gedacht hätte, daß ich es schaffe.“

Ebenso unerschütterlich, wie er an sich selber glaubt, steht Prince auch hinter seinen wechselnden Proteges. Im Moment ist das, neben Freundin Susannah versteht sich, in erster Linie Jerome Benton, früher bei The Time, im Film „Purple Rain“ Butler von Morris Day und im wirklichen Leben der Bruder des Ur-Time-Bassisten und jetzigen Produzenten-Stars Terry Lewis. Jerome begleitet Prince alias Christopher Tracy auch in „Under The Cherry Moon“ und spielt Christophers besten Freund Tricky („Was ich in dem Film mache, hat Prince aus mir herausgeholl. Er ist ein Genie. Ich werde ihn nie verlassen, es sei denn, er könnte mich nicht gebrauchen. Ich bin gern unter seinen schützenden Händen. Die beiden weiblichen Hauptrollen besetzte Prince mit zwei bis dato unbekannten Leinwand-Debütantinnen. Zunächst sollte Susannah Melvoin Christopher Tracys große Liebe Mary Sharon spielen, dann entschied Prince aus heiterem Himmel, daß sie doch wohl deutlich mehr Talent zur Sängerin besitze — und gab ihren Part der ebenso unerfahrenen Engländerin Kristin Scott Thomas.

Die Französin Emmanuelle Sallet, die sich bis vor anderthalb Jahren relativ erfolglos als Fotomodell in New York versucht hatte, wüßte vielleicht bis heute nichts von dem Film, wenn ihr Freund nicht im Fernsehen davon gehört hätte. Er redete ihr so lange zu, bis sie sich nach Einzelheiten erkundigte — fünf Monate später hatte sie die zweite weibliche Hauptrolle: Katie, Hausmeisterin in Christopher Tracys Haus.

Emmanuelle beschreibt Prince als „sehr geduldig und sehr verständnisvoll“, ohne Allüren und —- wenn man erst mal sein Vertrauen besitzt —- großzügig bis zur Fürsorglichkeit. „Über eine Seite seiner Persönlichkeit habe ich nie was in der Zeitung gelesen. Diese Geschichten, daß er nur Christen bei den Dreharbeiten haben wolle, waren gar nicht wahr. Wahr ist, daß er vor dem Abendbrot betet. Das war nett! Aber bloß zu Hause, nicht in Restaurants. Erst wollte ich lachen; für einen Rock ’n‘ Roll-Star fand ich das reichlich merkwürdig. Dann war ich gerührt.“

Wahr ist auch das, was man über eine andere Seite seiner Persönlichkeit lesen konnte. Als ihn der Detroiter Radio-DJ „Electrifying“ MoJo an seinem Geburtstag (7. Juni) nach seinem Lieblings-Instrument fragte, übte sich Prince in jugendfreier Zurückhaltung: „Hmm… it’s dirty. „