Von Marx zu Motown


Als er 1978 mit den ersten Scritti Poletti an die Öffentlichkeit trat, zählte Green Gartside zu den harten Radikalen: Die damals noch „verängstigte, verklemmte Sand“ war maßgeblich beeinflußt von der marxistischen Musik-Theorie der Herren Henry Cow und Robert Wyatt. Auch Green war darauf bedacht, ideologisch integer zu bleiben. Seine größte Sorge war es, daß man seine Musik als „oberflächlich“ einordnen könnte: „Ich legte den Schwur ab, nie einen Song im %-Takt zu spielen“, erinnert er sich. Er und Joy Divisions lan Curtis hatten zeitweise die Trübsal-Abteilung des Pop-Marktes fest in der Hand – bis seine Selbstzweifel Curtis zum Selbstmord trieben.

Green hatte mehr Glück: Sein Körper rebellierte gegen seinen Kopf, Magengeschwüre und Darmkrämpfe setzten ihn so lange außer Gefecht, bis er sich Gedanken darüber machte, daß es so nicht weitergehen konnte. „Das große Problem war, daß ich mir nie gestattet habe. Fünf gerade sein zu lassen oder Spaß an den Sachen zu haben. Ich war sehr, sehr unsicher…“

Während er sich erholte, hörte Green jede Menge schwarze Musik – und als er wieder zu komponieren begann, packte er seine Begeisterung für Soft Machine in wesentlich optimistischere Motown-Einflüsse. Songs To Remember, sein ’82er-Album für Rough Trade, verkaufte sich zwar nicht gerade aufsehenerregend, zog aber beträchtliche Auswirkungen auf andere Musiker nach sich. Culture Club, Go West und Wham! bezeichnen seine Platte (nicht unbedingt zu Greens Entzücken) als echte Inspiration und haben allesamt versucht, seinen hellen, luftigen Stimm-Ansatz zu imitieren.

Nach der Veröffentlichung des neuen Albums Cupid An Psyche ’85, das auch die drei England-Hits der Gruppe , „Wood Beez“, „Absolute“ und „The Word Girl“ enthält, wollen Scritti jetzt auch wieder live arbeiten – zum ersten Mal seit drei Jahren.

Green spielt zur Zeit mit zwei New Yorkern, dem Synthi-Spezialisten Dave Gamson und ex-Material/Lou Reed-Schlagzeuger Fred Mäher, der am neuen Material mitgeschrieben, co-produziert und den Scritti-Gründer davon abgebracht hat, eine totale Hip Hop-Platte aufzunehmen. Electro-Funk ist eine von Greens großen Leidenschaften, „aber schließlich habe ich eingesehen, daß es für einen Weißen und Briten karrieremäßig nicht unbedingt angesagt war. 1985 eine Hip Hop-Platte rauszubringen.“

So wie’s aussieht, ist das Album fast-perfekte Sommer-Musik, ein wirklich erfrischender Streifzug durch die Möglichkeiten, die in der Motownisierung des englischen Popsongs stecken. Synthesizer und Drum-Maschinen halten sich die Waage mit dem, was Green „handsignierten“ menschlichen Input nennt: die ungemein charakteristischen Solo-Passagen des Gitarristen Robert Quine in „Don’t Work That Hard“ zum Beispiel, oder Marcus Millers strammen Jazz-Funk Baß…

Was Green angeht, so gefällt ihm die „wenn du so willst, Anonymität des Pop. Ich bin froh, daß ich nicht weiß, wer auf meinen Lieblings-Motown-Platten spielt – und ich hätte gern, daß mit Scritti genauso funktioneil umgegangen wird. Daß wir als Hintergrundmusik benutzt werden, okay! Wenn die Leute sich mit den Texten auseinandersetzen und darüber nachdenken wollen: prima! Und wenn nicht, dann eben nicht.“