Rufus Wainwright blickt nach vorn


Auf der Agenda steht mittelfristig: Popstartum.

 

Du kommst gerade von einem Treffen mit dem Künstler Douglas Gordon hier in Berlin.

Ja. Er ist großartig. Er hat diesen tollen Film gemacht, der bei meinen Solo-Liveshows jetzt im Frühjahr hinter mich projiziert wird, zwölf Meter hoch, wenn’s klappt. Man sieht, wie auf dem Albumcover, mein Auge mit Make-Up in Großaufnahme, meistens in extremer Zeitlupe. Er hat mit einer Kamera gefilmt, die an die 1000 Bilder pro Sekunde macht – wie sie offenbar auch Lars von Trier in „Antichrist“ benutzt hat.

Den hab ich mir noch nicht getraut anzuschauen.

Haha! Nein, ich hab den auch noch nicht gesehen. Ich habe ja schon so viele Soloshows gespielt, und darum wollte ich diesmal nicht einfach ein paar Songs schreiben und damit das Gleiche wieder machen, ich musste eine irgendwie neue künstlerische Perspektive anbieten. Der Abend wird zwei Teile haben. Zuerst spiele ich das neue Album all days are nights: songs for lulu, alle zwölf Songs als Liederzyklus, mit der Bitte, dass es keinen Zwischenapplaus gibt. Ein bisschen so wie „Die Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“. Und dazu wird Douglas’ Film gezeigt und ich trage ich am Piano ein unglaubliches Outfit von meinem Freund Zaldy (Modedesigner aus Brooklyn, Anm.), der schon Kostüme für Michael Jackson und Lady Gaga gemacht hat. Ein fünf Meter langes, schwarzes Kleid mit Federn … denk mal in die Richtung: Dracula meets Liberace. Und hoffentlich bleiben die Leute dann für die zweite Hälfte, da gibt’s dann die alten Favourites.

Deine Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, mit der Du ein sehr enges und tiefes Verhältnis hattest, ist im Januar nach langer Krankheit gestorben. Würdest du dir wünschen, dass diese neue Platte nicht ausgerechnet jetzt zur Veröffentlichung ansteht?

Um ehrlich zu sein, bin ich sehr dankbar, dass sie jetzt kommt, dass das jetzt alles läuft. Es ist ein Segen, dass jetzt die nächsten Monate alles festgelegt ist für mich – Promo, Tour etc. Ein Teil von mir braucht gerade jetzt diese Disziplin, diese Ordnung, so eine Pacman-hafte Existenz, einfach um weiterzumachen. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Hai, der auf den Grund sinken und sterben würde, sobald er aufhört zu schwimmen. Es ist gut, jetzt da rauszugehen. Andererseits ist es auch wichtig, dass ich dann tatsächlich mal Pause mache. Im Juli werde ich mir den Monat freinehmen und mit meinem Freund am Meer in New York State abhängen.

Würde es sich vielleicht sogar komisch anfühlen, sich jetzt zurückzuziehen?

Ja, es hat auch was zu tun mit meiner Mutter und dem Andenken an sie. Sie war eine sehr bekannte Person – nicht unbedingt in Deutschland, aber in England, Kanada, in den USA, in den Niederlanden. Und meine Fans haben sie geliebt. Darum habe ich jetzt das Gefühl, dass es an mir ist, jetzt um die Welt zu reisen und irgendwie … Danke zu sagen für all die Unterstützung und die Wertschätzung, die wir in den letzten Jahren erfahren haben. Ich fühle mich ein wenig wie ein Botschafter in ihrem Namen.

Die Krankheit Deiner Mutter wurde vor dreieinhalb Jahren diagnostiziert, in dieser Zeit warst du enorm produktiv, hast ein Album gemacht nebst Welttournee, eine Oper geschrieben und inszenieren geholfen, Deine Judy-Garland-Show auf die Beine gestellt, mit Robert Wilson am „Berliner Ensemble“ Shakespeare-Sonnette vertont … War da mal eine Phase, wo du dich wie gelähmt gefühlt hast?

Nein, nicht wirklich. Ich kann mir vorstellen, dass es einem auch so gehen könnte. Aber mich hat die Sache, wenn überhaupt, nur noch mit mehr kreativer Energie erfüllt. Mit der Oper war’s zum Beispiel so, dass ich dachte: Ich will die fertig kriegen, damit meine Mutter sie noch zu sehen bekommt. Ich bin da ein bisschen so ein künstlerischer Krieger (lacht). Ich habe meine Kunst immer als eine Art Waffe gesehen, um voranzukommen. So setze ich diese Energie ein. Und es hat auch viel mit der Generation zu tun, der ich angehöre – speziell als schwuler Mann –, die sich sehr früh mit dem Tod auseinandersetzen musste. Als ich 14 war und in die Pubertät kam, starben einfach sehr viele Schwule an AIDS. So war ich schon in diesem Alter direkt mit dem Tod konfrontiert. Als dann das mit meiner Mutter passierte, war es dadurch zwar nicht einfacher, aber es war nicht unvertraut. Es war nicht etwas, mit dem ich mich noch nie beschäftigt hätte. Weil ich ja selber zehn Jahre lange dachte, ich würde sterben. Weil ich Sex gehabt hatte und es damals wirklich alles sehr angsteinflößend war.