Richie Hawtin über Green Music


Auf den Privatjet kann und will der Kanadier nicht verzichten. Auf die Gage, die er aufruft, wenn er in ein und derselben Nacht in St. Petersburg und Amsterdam spielt, ebenso wenig. Dennoch predigt der m_nus-Gründer die neo-grüne Nachhaltigkeit. Wie das alles zusammenpasst, erzählte er uns auf Ibiza.

Herr Hawtin, Sie werben seit geraumer Zeit für grüne Ideen. Mit Erfolg?

Hawtin: Leider nicht. DJ-Culture bedeutet, dass Leute aus dem Bereich der elektronischen Musik in der Welt umherfliegen, freitags in Tokio auflegen und samstags in Frankfurt – nur so als Beispiel. Dadurch hinterlassen wir hinsichtlich des Kohlendioxidausstoßes einen mächtigen Fußabdruck auf diesem Planeten. Rockbands, die mit dem Tourbus von Stadt zu Stadt ziehen, sind im Vergleich viel ökologischer – wenn auch nicht umweltfreundlich im strengen Sinne. Wir können also nicht weiterhin so tun, als würde all das nicht geschehen.

Und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Hawtin: Das muss man sich anschauen. Sehen Sie, ein paar Dinge sind in der Vergangenheit passiert, die mich darüber haben nachdenken lassen. Zunächst habe ich einen Sohn bekommen. Und mein Bruder hat an der Uni in England einen Abschluss in Umwelttechnik gemacht. Mein Bruder sagte: „Schau, du fliegst ständig umher, du veröffentlichst Platten, das ist alles nicht nachhaltig! Vielleicht wird es sich nicht auf dein Leben auswirken“, sagte er, „aber vielleicht auf das Leben deines Sohnes oder das Leben seines Sohnes.“

Was werden Sie also tun?

Hawtin: Darüber denken wir nach: Wie kann man das Geschäft grüner gestalten? Es geht dabei nicht darum, alles, was wir tun, zu ändern, und es geht nicht darum, keinen Privatjet mehr zu fliegen, wenn wir müssen. Es geht darum, wie jeder DJ, jeder Promoter, jedes Label etwas tun kann, das gut für die Umwelt und für das Geschäft ist.

Und was wäre das? Zum Beispiel eine Tour buchen, die nicht von Los Angeles über Melbourne und Kapstadt nach Tokio führt?

Hawtin: Zum Beispiel. Aber unsere Szene ist so klein, dass man gegen die Flüge kaum etwas machen kann. Es ist nicht gut für das Geschäft, wenn wir nacheinander an Orten spielen, die nah beieinander liegen.

Okay, wenn das nicht geht, was geht dann überhaupt?

Hawtin: Meine Plattenfirma m_nus produziert jährlich 20 000 CDs, und jede einzelne dieser CDs steckt in einem Jewel Case. Wenn man sich davon löst, reduziert sich der Schaden für die Umwelt um 99 Prozent.

Ach.

Hawtin: Also stecken unsere CDs jetzt nur noch in einer Verpackung aus Papier, das entweder recycelt wurde oder aus nachhaltiger Produktion stammt. Aus Plastik besteht jetzt nur noch die CD selbst. Das ist im Großen und Ganzen natürlich keine Revolution. Aber wir sind in Sachen Umweltschutz heute besser als je zuvor. Auch unsere Energie beziehen wir von einem Ökostrom-Anbieter. Es geht nicht immer nur um den großen Schritt, sondern um die Summe der kleinen Schritte. Schließlich leben wir alle gemeinsam auf diesem Planeten.

Aha. Die Tonträgerproblematik hat die Szene also im Blick, den Strom-Anbieter haben Sie brav gewechselt. Aber wie ist es mit dem Rave-Tourismus, den Massen, die Berlin oder Ibiza anfliegen?

Hawtin: Sie erwähnen einen interessanten Punkt. Das ist tatsächlich ein Teil des Problems. Die Frage ist, wie gehen wir damit um?

Zu welchem Schluss kommen Sie?

Hawtin: Berlin und Ibiza sind zweifellos Epizentren der elektronischen Musik. Aber da die Szene stetig wächst, ist das Problem möglicherweise vorläufig. Vielleicht werden die Leute in ihren Heimatstädten bald auch Möglichkeiten finden, diese Art von Nachtleben zu erfahren. Aber man kann natürlich auch ganz konkret tätig werden.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Hawtin: Alle Leute sind früher mit dem Auto zum Melt!-Festival gefahren, was natürlich eine erhebliche Umweltbelastung ist. Die Idee war nun, entweder Fahrgemeinschaften zu bilden oder, noch besser, mit dem Zug anzureisen und die Züge mit DJs auszustatten. Auf diese Weise wird auch die Anfahrt zur Party – das ist cooler und grüner. Sie sehen, man muss sich die Gegebenheiten ganz genau ansehen und dann handeln. Man kann nicht über Nacht alles ändern. Ich habe im Sommer manchmal drei Gigs pro Nacht und dann brauche ich eben einen Privatjet.

Klingt irgendwie halbherzig.

Hawtin: Wissen Sie, Rockbands können das ganze Jahr über touren. Aber wir haben nur den Sommer, drei Monate, in denen alle feiern wollen. Und da kommt es vor, dass ich in einer Nacht in St. Petersburg und in Amsterdam spielen muss. Ob das gut für die Umwelt ist? Darüber müssen wir nachdenken.

Richard Hawtin wurde 1970 in Oxfordshire, England, geboren und verbrachte seine Jugend in Windsor, Kanada. Er wurde als Produzent Plastikman bekannt und spielt heute als DJ auf Veranstaltungen weltweit, wirbt für eine DJ-Software, leitet sein richtungsweisendes Label m_nus und ist Teilhaber des Download-Portals Beatport.