„Ohne Diese Pause Wäre Einer Von Uns Gestorben“


Als Jahrzehntgitarrist in der innovativsten aller Britpopbands schrieb er Geschichte. 2002 verließ GRAHAM COXON Blur im Streit. Mit THE SPINNING TOP veröffentlicht er nun sein bereits siebtes Soloalbum. Nebenbei ist er zu Blur zurückgekehrt. Der 40-Jährige steckt mitten in einem der hektischsten Jahre seines Lebens.

Unser Gespräch wurde schon dreimal verschoben. Mit einer eben beendeten Tour als Co-Gitarrist von Pete Doherty, einer laufenden Solotour und den anstehenden Comebackgigs von Blur bist du momentan ziemlich ausgelastet, was?

Yeah. Ich habe auch ziemlich starke Kopfschmerzen. Das jetzt ist eine der ganz wenigen Situationen am Tag, in denen ich einfach nur reden kann. Sonst fahre ich in lärmenden Bussen herum und versuche, etwas Schlaf zu bekommen.

Hast du dich übernommen? Ich werde schon sehr schnell müde. Aber solange ich darauf achte, meine Batterien immer wieder aufzuladen, geht es.

Das Rockstar-Dasein fiel dir nicht leicht. Blurs Erfolg bescherte dir eine Alkoholabhängigkeit. Als ihr euren ersten Nr.-1-Hit hattet, wolltest du dich aus einem Fenster stürzen. Hast du Angst davor, ins große Rampenlicht

zurückzukehren?

Ein wenig Sorgen bereitet mir das schon. Aber ich nehme mir jetzt immer wieder Auszeiten. Und ich lasse mir nicht mehr vorschreiben, was und wie viel ich zu tun habe. Früher war die Industrie so mächtig. Heute hat sie diesen Einfluss nicht mehr. Es ist auch nicht mehr so möglich, wie ein Rockstar zu leben. In den 90ern fühlte es sich an, wie in Led Zeppelin zu sein. Heute fehlt das Geld für teure Drogen, Mädchen und um Fernseher aus dem Fenster zu werfen. Mein Ding war das aber ohnehin nie.

Seit du bei Blur ausgestiegen bist/rausgeworfen wurdest, hast du dich zu einem sehr unabhängigen Künstler entwickelt. Nun hast du sieben Gastmusiker (u.a. Robyn Hitchcock) auf deinem Album und bist wieder bei Blur. Was hat dich dazu bewegt, wieder in Teams zu arbeiten?

Es eine mir darum, Kontrolle abzugeben, einen anderen Umgang mit Kontrolle zu lernen. Das hat mit Vertrauen zu tun. Die Demos habe ich aber noch alle selbst aufgenommen.

Was hast du von Robyn Hitchcock gelernt?

Frei zu sein und es super zu finden. Sich nicht für seine Arbeit und sein Talent rechtfertigen zu müssen. Dahingehend ist er Pete Doherty sehr ähnlich. Der liebt sein Talent, auch wenn es ihn oft lähmt. Talent! Gutes Thema! Die 80er hatten Johnny Marr und John Squire, die 90er hatten Bernard Butler und dich. Siehst du heutzutage einen ähnlich einflussreichen, inspirierenden Gitarristen?

Da schreibst du aber die Geschichte um! John Squire? Der hatte zwei nette Parts auf zwei Songs auf ein und demselben Album. Aber zu deiner Frage: Nun, dieses Jahrzehnt hat ja immer noch mich. Es gibt nach wie vor großartige Gitarristen, nur sind die nicht alle 20 und spielen in Frisurenbands. Barrie Cadogan (Sänger/Gitarrist von Linie Barrie; Anm.) ist unglaublich. Aber dem ist einfach nicht so an Ruhm gelegen. Mit THE SPINNING TOP und all den Gastmusikern darauf, wie eben Robvn Hitchcock, versuche ich, die Leute daran zu erinnern, welche fantastischen Gitarristen es heute noch gibt.

Zu deinem gesanglichen Talent: Vor zehn Jahren warst du noch sehr nervös, als du die Leadvocals zu einer Blur-Single („Coffee & TV“) aufnehmen musstest. Seither scheint sich dein Verhältnis zu deiner Stimme sehr gebessert zu haben. Wird sich das während der Blur-Shows bemerkbar machen?

Nein. Und den Song kann ich immer noch nicht gut singen. Ich wurde insofern selbstsicherer, als mir die Meinung anderer immer unwichtiger wurde. Immerzu höre ich: „Graham Coxon ist ein toller Gitarrist, aber singen kann er nicht.“ Das sehe ich zwar anders, aber … wer ist den n aktuel lein guter Sänger? Dämon? Der Typ von Kasabian? Thom Yorke? Kein Mensch würde sagen, Thom Yorke sei ein fantastischer Sänger. Die Leute loben einfach nicht gern. Insbesondere Journalisten, die sind so fucking langweilig und faul. Ich bin einfach nicht auf diesem Planeten, um ein großartiger Sänger zu sein. Fühlst du dich denn insgesamt als Künstler ausreichend geschätzt?

Natürlich nicht! (lacht) Ich bin vollkommen unterschätzt und unterbewertet, (lacht noch mehr) Aber was mich in letzter Zeit echt sehr gefreut hat, waren die Reaktionen auf mein neues Album. Die Menschen, denen ich am meisten vertraue, haben die Platte sehr, sehr positiv aufgenommen. Ich bin jetzt’40 Jahre alt, und es fühlt sich so an, als hätte ich hier die beste Arbeit meines Lebens abgeliefert. Von jetzt an kann es nur noch bergab gehen.

(lacht nochmals auf) Stündest du heute anders zu Blur, hätten sie einen festen Ersatz für dich gefunden?

Das wäre schon seltsam gewesen. Aber sie hätten natürlich jedes Recht dazu gehabt. Die Fans hätten ihnen das aber kaum vergeben. Das hat nichts mit Egozentrik zu tun; Fans sind eben sehr beschützerisch.

Was hat dir deine Zeit ohne Blur gebracht?

Sie war sehr nützlich. Für mich und für die Jungs. Die Industrie zwang uns dazu, das Blur-Pferd zu Tode zu reiten. Wir hätten es lieber mal in den Stall stellen und uns darum kümmern sollen. Ohne diese Pause wäre einer von uns gestorben.

Die Zeitschriften sind voll von Fotos, auf denen du Dämon umarmst. Aber es war ja nicht nur Dämon vs. Graham, das zum Split von Blur führte. Wie kommst du denn mit Alex James (Bassist; Anm.) zurecht, den du Ende der 90er „die Inkarnation alles Bösen“ nanntest?

Ich liebe jeden Teil von ihm. Mit Alex stand ich seit meinem Abgang auch immer in Kontakt. Er ist ein sehr direkter Mensch. Ich nahm ihn oft als sehr verletzend wahr, dabei hat er nur gesagt, was ihm auf der Seele lag. Ich war nicht reif genug, das zu verstehen. Und ich beneidete ihn. Darauf, dass er so frei Schnauze reden konnte und es ihm gut dabei ging. Es ist schwer vorstellbar, dass ihr nur aufgrund der guten alten Zeit wieder zusammengekommen seid. Es GIBT doch Pläne für ein weiteres Blur-Album, oder?

Zunächst müssen wir durch diesen Sommer kommen. Dann werden wir sehen. Noch hatten wir keine Zeit, Songs zu schreiben. Wir befinden uns noch in der Ablammsaison.