Depeche Mode: Optimismus à la Depeche Mode
Die größte lebende Synth-Pop-Band der Welt hat ihr zwölftes Album aufgenommen. Sänger Dave Gahan spricht über die Platte, die Ende April erscheint. Die Songs sollen optimistisch sein und spirituell, aber auf eine weltliche Art.
Fassen wir zusammen. Depeche Mode ist die größte Synthie-Pop-Band der Welt. Depeche Mode hat die ergebenste Fanbase der Popmusikgeschichte. Da kommt nicht einmal Tokio Hotel mit. Die Fans werden „Devotees“ genannt. Es ist besser, mit ihnen nicht zu diskutieren. Zum Beispiel darüber, dass das ’93er Album Songs Of Faith And Devotion gar nicht so gut gewesen ist. Es gibt nämlich keine nicht so guten Depeche-Mode-Alben. Für Devotees. Aber auch bei Ablegung der Fanbrille gilt, dass diese Band auf ihre mittleren bis alten Tage immer besser geworden ist. Die Linie der letzten drei Depeche-Mode-Alben Ultra (1997), Exciter (2OO1) und Playing The Angel (2005) zeichnet eine stringente und logische musikalische Entwicklung nach. So traditionell wie nötig, so modern wie möglich. Unter der dezenten Einbettung des jeweiligen Zeitgeistes, der sich unter anderem auch in den Namen der Remixer ihrer Singles widerspiegelt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Ankündigung eines neuen Depeche-Mode-Albums (das zwölfte in 29 Jahren) für den 17. April auch für Nicht-Devotees von einer anderen Qualität, als wenn eine andere groß gebliebene Band, die um 1980 gegründet wurde, dies tun würde. U2, zum Beispiel, die doch nur eher als Verwalter ihres eigenen Erbes auftreten.
Dave Cahan sitzt in seinem Apartment in New York und gibt dem Musikexpress am Telefon ein Interview zum Stand der Aufnahmen. Während der Sänger selbst noch nicht so recht in die Gänge gekommen ist – es ist um die Mittagszeit in New York -, erklärt er im langsamen Gesprächston, wie die Depeche-Mode-Maschinerie nach Playing The Angel und der anschließenden Welttournee wieder in Gang gekommen ist. Nach dem Ende der Tour traf sich Gahan in seinem kleinen Studio in New York mit Christian Eigner und Andrew Phillpott, die mit ihm an seinen drei Beiträgen auf Playing The Angel gearbeitet haben, um ein paar Songs zu schreiben. „Zuerst dachte ich, wir schreiben die Songs für ein neues Depeche-Mode-Album“, sagt Gahan. „Aber ehe wir uns versahen, waren wir mitten in den Aufnahmen zu einem Album – woraus dann mein Soloalbum Hourglass wurde. Das hat mich auf Trab gebracht. Ich war in Kontakt mit Martin, und ich wusste, dass auch er am Songschreiben war zu Hause in Santa Barbara. Da haben wir ausgemacht, dass wir uns Anfang 2008 mit ein paar Demos treffen. Dabei spielten wir uns gegenseitig die Songs vor – wir hatten insgesamt 20 bis 22 beieinander.“ Die erste Aufnahmesession begann am 5. Mai 2008 in Santa Barbara, Kalifornien. Sessions zwei und drei fanden in New York von Anfang Juli bis August und ab Mitte September statt. Zum Zeitpunkt des Interviews, Anfang Dezember, ist das Album „eigentlich“ fertig – aber immer noch in Arbeit. Obwohl der Produzent und Toningenieur Tony Hoffer (Beck, The Kooks, The Fratellis) bereits mit dem Mixen der Tracks beschäftigt ist, arbeiten Gahan, Gore und Andy Fletcher noch an Feinheiten. „Die Aufnahmen sind eigentlich nie zu Ende. Gestern zum Beispiel habe ich noch ein bisschen Gesang aufgenommen. Auch wenn Tony die Songs, die wir fertiggestellt haben, schon mixt. Wir haben zwei Studios im selben Komplex in New York gemietet. Er arbeitet in einem Raum, wir parallel im anderen. Es gibt ein paar Songs, an denen wir noch ein bisschen herumschrauben müssen. Tony mixt die Tracks, wir lassen sie liegen, kommen nach einer Weile darauf zurück und nehmen ein paar Änderungen vor. Bis jetzt ist ein Dutzend Songs gemixt. Am Ende werden wir 15 bis 17 fertig haben, aus denen wir dann die zwölf für das Album auswählen.“
Neben dem Programmierer Luke Smith und dem Toningenieur Ferg Peterkin sitzt mit Ben Hillier ein alter Bekannter im Studio. Der Produzent (Blur, Elbow, The Futureheads, The Horrors) hatte 2005 mit Depeche Mode an Playing The Angel gearbeitet. Offenbar war man zufrieden mit seinen Fähigkeiten. „Ben ist sehr musikalisch und kennt sich sehr gut aus mit der Technologie, die wir benutzen. Er schickt die Sounds von Martins Gitarre durch Analogsynthesizer. Für das neue Album haben wir viel mehr analoges Equipment benutzt als beim letzten. Martin hat eine Menge Zeit damit verbracht, auf Ebay modulare Synthesizer und Drummachines zu kaufen. Wir haben ein ganzes Zimmer voll von diesem Zeug. Ben steht sehr aufs Performen. Er bringt mich dazu, im Studio wie auf einer Bühne bei einem Konzert zu agieren, mit Handmikrofon und aufgedrehten Lautsprechern. Er bekommt dann ein besseres Bild von dem Song und beginnt, an Atmosphäre und Arrangement zu arbeiten. Ben hat uns bei Playing The Angel einen neuen Blickwinkel auf unsere Musik eröffnet und eine neue Energie hereingebracht, die wir wirklich nötig hatten. Wir hatten jemanden gebraucht, der die Kontrolle übernimmt und der auf kreativer Ebene das Beste aus Martin und mir herausholt. Das machte er möglich, indem er uns dazu gedrängt hat, zu performen.“
Ben Hillier scheint kein Ja-Sager zu sein, der sich von musikalischen Legenden einschüchtern lässt. Auch nicht von den starken Egos Gahans und Gores – man denke nur an den zeitweiligen Selbstfindungstrip des Sängers rund um die Veröffentlichung seines ersten Soloalbums Paper Monsters im Jahr 2003. Damals beklagte er sich in Interviews über seinen mangelnden Einfluss auf die Musik von Depeche Mode und forderte mehr Mitspracherecht. Kurzzeitig schien die Männerfreundschaft Gahan-Gore gefährdet zu sein. „Ben ist sehr willensstark, wenn es darum geht, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln sollen. Aber gleichzeitig hört er auf das, was wir sagen. Er hat den Blick für das große Ganze und holt das Beste aus uns heraus. Das ist das Gute an ihm. Als wir zum ersten Mal mit ihm zusammenarbeiteten, wusste er nicht viel über uns. Er kam herein mit der Einstellung, okay, fangen wir an zu arbeiten. Bei ihm gibt es kein großes Herumsitzen und daraufwarten, bis etwas passiert. Er sagt immer: ,Okay, was machen wir als Nächstes?‘ Martin und ich sind die kreativen Kräfte bei Depeche Mode, aber wir sind nur so gut wie die Leute, mit denen wir uns umgeben. Wenn du etwas Neues ausprobieren und an die Grenzen kommen willst, die du dir selber gesetzt hast, brauchst du jemanden, der dir dabei hilft, dich in die richtige Richtung zu lenken.“
Bis Redaktionsschluss hielten sich Depeche Mode sehr bedeckt über Details, die ihr zwölftes Studioalbum betreffen. Auf ihrer Homepage posteten sie ein paar wenig aussagekräftige Making-of-Videoschnipsel, die mehr Fragen aufwarfen, als sie beantworten. Der Titel des Albums ist noch nicht bekannt, lediglich die Namen von ein paar Songs sind nach außen gedrungen: „Wrong“ und „Peace Will Come To You“, die Depeche Mode im Oktober 2008 bei einer Pressekonferenz im Berliner Olympiastadion zur Bekanntgabe der „Tour Of The Universe 2009“ vorspielten, sowie „Hole To Feed“, „Comeback“ und „In Chains“. Bei den Aufnahmen scheint die Zusammenarbeit zwischen Gahan und Gore so eng wie nie gewesen zu sein. Was in einem (noch unbetitelten Song) gipfelt: „Bei einem Song hat Martin die Musik geschrieben und ich den Text und die Gesangsmelodie. Er ist durch Zufall entstanden, aber er ist die erste richtige Zusammenarbeit zwischen Martin und mir.“ In „Peace Will Come To Me“ singen Gahan und Gore sogar im Duett.
Musikalisch führt Gores wiederentflammte Liebe zu analogen Instrumenten zurück in die 80er-Jahre – mit mehr Sampling und weniger virtuellen Sounds aus Pro Tools. „Wir haben mehr gespielt, so wie wir das früher taten, bevor es diese ganze Aufnahmetechnik gegeben hat. Das macht die ganze Sache interessanter. Man muss sich mehr anstrengen, um seine Ideen umzusetzen und um Sounds zu erzeugen. Ich glaube, das Album hat eine sehr breit gefächerte Palette an Songs und Sounds. Es ist sehr direkt. Die Songs sind sehr optimistisch – auf Depeche-Mode-Art, das kannst du interpretieren, wie du willst. Ich halte eine Menge Songs für sehr erhebend und positiv. Sie schauen mehr in die Welt hinaus, sind weniger eine Innenschau. Manche Lieder, wie „Peace Will Come To Me“ zum Beispiel, haben eine gospelige Anmutung. Es gibt keine Gospelchöre oder so was, ich meine eine Spiritualität in einem weltlichen Sinn. Die Songs sind tiefer. Es geht darum, herauszufinden, um was es im Leben eigentlich geht. Die üblichen Fragen: Warum sind wir hier? Was ist meine Rolle dabei? Wie kann ich mich verändern?“
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