Wild Nothing
Life Of Pause
Bella Union/[PIAS] Coop/Rough Trade
Weniger Dream, mehr Pop: Jack Tatum aus Virginia weiß sehr wohl, wie man ungeniert fummelt.
Bislang war es immer so schön einfach. Wollte man Dream Pop mit möglichst wenigen Worten erklären, galt Wild Nothing als mitunter dankbarste Referenz der letzten Jahre. Zwischen all den Beach Fossils, Lower Dens und Real Estates dieser Welt konnte Jack Tatum mit seinem Debütalbum GEMINI 2010 perfekt einsortiert werden – und hinterließ trotzdem einen bleibenden Eindruck.
Das lag nicht nur am heimlichen Hit „Live In Dreams“, sondern vor allem an Tatums eigensinniger Interpretation der klassischen Gitarren-Synthie-Romanze. Damals galt es, niedliche Indie-Riffs elektronisch möglichst unauffällig zu umgarnen – mit der Maxime, den organischen Charakter eines Songs zu wahren. Geht der nämlich über Bord, shoegazet es sich nicht mehr so geschmeidig. Tatum lehnt sich gegen derartige Trends bis heute auf.
Mit LIFE OF PAUSE leistet er abermals Widerstand, natürlich in der entsprechend sanften Tonalität, die im Dream Pop erforderlich ist. Es ist sein bislang mutigstes Album: Die Instrumente stoßen sich voneinander ab, der Gesang rauscht mit Hall durch den Raum und kommt doch immer wieder gefährlich nah.
Tatum lässt alte Gewohnheiten hinter sich: Die einst zaghaften Gitarren verlieren in „Japanese Alice“ ihre Unschuld, die Melodien reißen sich die Schüchternheit in „TV Queen“ vom Leib. Und flauschige Synthies beginnen in „Life Of Pause“ plötzlich zu züngeln. Es ist, als hätte jemand Tatum gepackt und einmal kräftig wachgerüttelt. Sein drittes Album ist der Abschied vom Dösen und zeigt, dass er sehr wohl weiß, wie ungeniertes Fummeln funktioniert.
Die neuen Songs weigern sich, der Melancholie und Zerrissenheit den Hof zu machen. Stattdessen wird mit forschen Bassläufen gefüßelt. Fast schon psychedelisch geht es in „To Know You“ zu, und man vergisst, dass Wild Nothing in seinem Kern aus nur einem Mastermind besteht. Vermutlich hat man es deshalb prominent auf dem Artwork platziert. Dort sitzt der Herr wie ein Archäologieprofessor im Ethno-Sessel und lässt die Chi-Gong-Kugeln kreisen.
Ähnlich entspannt geht es in „Whenever I“ zu, wenn im Hintergrund Hotelbar-Jazz knistert. Das Gegenstück: kunstvolles Marimba-Geklöppel von Steve Reich. Der Komponist hat es Wild Nothing angetan. So sehr, dass Tatum seine Zuneigung schon im Liednamen offenbart: „Reichpop“ heißt der Song, in dem „Nagoya Marimbas“ von 1994 zitiert wird und Tatums Wandel vom Träumerle zum erregten Popmusiker skizziert. LIFE OF PAUSE weckt Erinnerungen an Teeniefilme, in denen die Protagonisten ausgewaschene Jeansjacken tragen und ihr Kleinstadtdasein verfluchen. Falls die Neuauflage von „The Breakfast Club“ in Planung ist: bitte bei Tatum durchklingeln.