Sedlmeir

Melodien sind sein Leben

Rookie/Cargo VÖ: 16. Oktober 2015

Der große Spinner aus Berlin trans­zendiert Klamauk mit heiligem Ernst zu zeitlosem Trash-Rock.

Die Philosophie ist gewöhnlich ein eher trockenes Geschäft. Doch in den Händen von Henning Sedlmeir, der es in den 90ern mit seiner Noise-Rock-Band Blind bis ins Vorprogramm der Melvins geschafft hat, wird sie zu grandioser Unterhaltung.

„Schein oder Sein, lass dich befrei’n“, schlägt er singend die Brücke von Heidegger zum Neoliberalismus: „Dein oder mein, lass dich befrei’n.“ Klingt wie ein Hit. Im weiteren Verlauf von MELODIEN SIND SEIN LEBEN behandelt der Wahlberliner den politischen Katholizismus, den Preis der Unwissenheit und den Wert der „Dekonstruktion“, nach der gleich ein ganzer Song benannt ist. Im anschließenden „E.S.S.P.“, abgekürzt für „Ewiges Spannungsverhältnis Sedlmeir Presley“, übt er sich im Meta-Pop, später fragt er sich, ob der Rock’n’Roll ausgedient hat. Da wabern die Gitarren verzückt, das Schlagzeug setzt kräftige Argumentationspunkte und der billige Trash-Rock grüßt aus den 80ern, als man den größten Klamauk mit heiligem Ernst zur Kunst transzendierte.

Klar, Sedlmeir wirkt auch auf seinem fünften Album wie aus der Zeit gefallen, aber in erster Linie ist er ein großartiger Spinner, der unbeirrt seinen Weg geht. Schließlich liegen in seinem bisweilen ins Dadaistische lappenden Klamauk oft auch Wahrheiten („Ich bin nur ein einfacher Mann, tappe im Dunkel ein Leben lang“) und so unscheinbare wie schöne Liebeserklärungen versteckt („Ich will mit dir ziehen durch den Schmutz“).