Luvre47 und Chefket im Video-Interview: „Du kommst nicht daran vorbei“
Berliner Rapper Chefket und Luvre47 setzen sich für wohltätige Zwecke ein und erzählen davon mehr im Gespräch.
Luvre47 und Chefket– zwei bedeutende Namen der Berliner Rapszene. Mit tiefgreifenden Texten, rhythmischen Beats und ihrem nonchalanten Flow bekommen die zwei Künstler die Menschen zum Wippen und Kopfnicken, ob auf der Straße mit Kopfhörern über den Ohren oder bei einem ihrer Konzerte.
Doch hinter der lässigen Fassade der Artists verbirgt sich viel mehr, als man zuerst vielleicht denken könnte. In ihren Brustkörben schlägt das Herz nicht nur für ihre Fans, lockere Raptexte und ausgelassene Stimmung, es pocht auch für die Menschlichkeit. Um genauer zu sein: Menschen, denen es nicht so gut geht wie anderen. Menschen, die wie Luft behandelt, in Schubladen gesteckt und deren Existenz oftmals regelrecht ignoriert wird. Die Rede ist von wohnungslosen Menschen, von welchen geschätzt 500.000 alleine in Deutschland sind. Davon leben rund 47.300 auf der Straße.
Oft behaupten Berliner:innen, die Stadt habe sie in der Thematik abgestumpft, Menschen, die auf der Straße und in den Bahnen betteln oder dick eingewickelt in Hauseingängen schlafen, gehören leider genauso zum Landschaftsbild Berlins wie das Brandenburger Tor.
Chefket und Luvre47 brechen jedoch aus der Abgestumpftheit heraus, fangen an hinzuschauen, wenn andere wegschauen, und halten eine helfende Hand hin, wo andere ihre Finger wegziehen.
Ein Konzert gegen eine Jacke
Ihre humanitäre Ader stellten die Künstler, zusammen mit einigen anderen nennenswerten Artists, unter anderem bei einem Benefizkonzert am 16. Januar 2025 in der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg unter Beweis.
An jenem Abend stach das Kreuz der Kirchenkuppel in den dunklen Himmel der Nacht, während vor den Toren der Kirche Hunderte von Menschen in der Schlange standen, in der Hoffnung, dem Konzert – mit Auftritten von nicht nur Luvre47 und Chefket, sondern auch Jassin, Apsilon und Mauli – beiwohnen zu können. Das Besondere an diesem Gig war jedoch nicht nur, dass es in einer prunkvollen gotischen Kirche aus rotem Backstein mit hohen Decken und malerischen Rundfenstern stattfand. Womit die Veranstaltung die Aufmerksamkeit bei ihrer Werbung auf Instagram auf sich zog, war der Weg zum Eintrittsticket. An der Kasse standen nämlich keine Geldkassetten, Spendendosen oder ein Schild mit einem Preis. Nein, um sich einen Stempel zu sichern, um in das Schiff der Kirche zu dem Konzert zu gelangen, musste man eine Jacke spenden. Eine willkommene Aktion für den anhaltenden Überkonsum unserer Gesellschaft und den daraus resultierenden überquellenden Kleiderschränken. In der Schlange vor der Kirche sammelten sich deshalb Menschen mit Kartons, Säcken und Händen voll mit Winterklamotten.
Die Aktion wurde ins Leben gerufen, nachdem das Lager der Caritas Berlin in einem verheerenden Brand einen großen Teil ihrer Winterbekleidung verlor. Die Stiftung Dojo Cares nahm sich der Sache an und wusste auch sofort, wer zu dem Event dazugeholt werden musste. „Lu ist so einer, der kam einfach auf uns zu – das ist bestimmt schon zwei Jahre her – und hat gesagt ‚Hey Leute ich bin da für das Thema Obdachlosenhilfe, egal was ihr habt, ich helfe wo ich kann‘ und wir haben das dann wörtlich genommen“, erinnert sich Marija Stojanovic, die im Vorstand von Dojo Cares tätig ist, und spricht dabei von Rapper Luvre47, welcher ebenfalls an dem Abend auftrat.
„Man kommt nicht daran vorbei, ohne sich damit auseinanderzusetzen“
Der Berliner Musiker nimmt sich das Thema Obdachlosigkeit schon länger zu Herzen und schrieb auch den Song „0800 800 1019“ – das ist die deutschlandweite Kälte-Busnummer, die ins Leben gerufen wurde, damit man überall in Deutschland eine einheitliche Kälte-Hotline hat. Luvre47s Ziel: Awareness schaffen, nachhaltig auf die Nummer aufmerksam machen.
„Wir Künstler:innen oder generell Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, haben einfach eine Plattform, um auf Sachen aufmerksam zu machen. HipHop ist ja eigentlich auch dafür da, um auf Missstände aufmerksam zu machen und über Sachen zu berichten. In der Rapszene, nicht nur in der Deutschrapszene, hat mir das persönlich in den letzten Jahren schon sehr gefehlt“, so Luvre47, oder Lu wie er abseits des Rampenlichts genannt wird, im Interview. Und weiter: „Ich bin Berliner. Obdachlosigkeit ist hier sehr existent, man kommt nicht daran vorbei, ohne sich damit auseinander zu setzen. „Seitdem ich die Möglichkeit habe, meine Bühne zu nutzen, war es mir einfach immer schon wichtig, genau das zu machen.“
Der gebürtige Berliner hat auch einen persönlichen Bezug zu dem Thema. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, während er von einem Freund erzählt, welchen er durch die Obdachlosigkeit und dem Leben auf der Straße verlor. „Ich glaube im Allgemeinen, wir haben in Deutschland so diesen Tenor ‚Wer nicht obdachlos sein will, muss es nicht sein‘, aber ich glaube, das ist ein riesiger Trugschluss.“ Luvre47 weist dabei darauf hin, dass es in Deutschland viele Mechanismen gibt, welche zwar auf die richtigen Dinge abzielen, jedoch stellen sich wohnungslosen Menschen oftmals einige Hindernisse in den Weg. „Es kann schon eine Hürde sein, dass du keinen Perso hast, brauchst aber eine Meldeadresse und schon geht die Spirale los. Du kriegst das eine nicht ohne das andere“, stellt der Rapper fest.
Das „30-Meter-Movement“
Nachdem Mauli und Apsilon nacheinander die Bühne der Kirche zum Beben gebracht hatten – mit Hoverboards, ansteckenden Rhythmen und gefühlvollen Lyrics – war dann Rapper Chefket an der Reihe. Der gebürtige Heidenheimer wird vor allem für sein lyrisches Talent von seinen Fans gefeiert und beweist in vielen seiner Songs wie harmonisch ein Mix aus türkischen und deutschen Texten sein kann. Auch mit ihm sprachen wir im Zuge des Events ausgiebig. „Ich glaube, es geht gar nicht darum, die Leute zu erleuchten, sondern eher darum, das man Leute an Sachen erinnert, die sie vergessen haben“, erklärte uns Chefket auf die Frage hin, warum er in seiner Musik oftmals so klare Statements setzt. Und weiterhin: „Dabei erinnert man sich selbst auch an Sachen, die man vergisst. Wenn ich das in Songs packe, vergesse ich das nicht.“
Das Ausmaß der Obdachlosigkeit in Berlin überforderte den Rapper, als er vor geraumer Zeit in die Metropole zog, so seine eigene Aussage. „Als ich ganz neu nach Berlin kam, hat mich das sehr krass umgehauen, wie viel Armut hier herrscht“, erzählte er. „Ich hab lange gebraucht, um abzustumpfen. Die Begegnungen im Winter sind dann immer besonders krass.“ Dass die eisigen deutschen Winter für Obdachlose gefährlich sind, ja sogar tödlich enden können, untermauert der Fakt, dass 2023 insgesamt 23 Menschen in Deutschland ihren Tod durch Erfrieren fanden. Besonders in den kalten Monaten des Jahres sind wohnungslose Menschen dann auf die Hilfe anderer angewiesen.
Wie viele andere wünscht sich auch der Rapper in einigen Hinsichten mehr Awareness der Menschen. Dafür hat er sogar spontan eine Movement-Idee im Interview erfunden: „Wenn ich einen Namen dafür bräuchte, dann wäre es das ‚30-Meter-Movement‘. Das kann auch jeder direkt umsetzen. Beobachten, was in einem Radius von 30 Metern um einen herum geschieht, und dann einfach überlegen. Was kann ich tun? Oder auch einfach die Leute um einen herum nicht abfucken. Diese 30 Meter sind das, was wir unter Kontrolle haben, den ganzen Weltschmerz kann man nicht kontrollieren. Es hat was Stoisches, wenn man sagt, man konzentriert sich auf das, was man kontrollieren kann.“