„It’s A Strange World“: David Lynch ist tot
Der Schöpfer von „Mulholland Drive“, „Twin Peaks“ und einem beispiellosen surrealistischen Bilduniversum ist im Alter von 78 Jahren gestorben.
Der visionäre Filmemacher David Lynch ist tot. Das gab am Donnerstag (16. Januar) seine Familie auf seinem Facebook-Account bekannt.
Lynch teilte noch im vergangenen Jahr mit, dass bei ihm nach lebenslangem Rauchen ein Emphysem diagnostiziert worden war und er wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein würde, sein Haus zu verlassen, um Regie zu führen. Ob sein Ableben mit seiner Erkrankung in einem Zusammenhang steht, wurde zunächst nicht bekannt.
Auf Facebook hieß es: „Es gibt eine große Lücke in der Welt, da er nun nicht mehr unter uns ist. Aber, wie er zu sagen pflegte: ‚Behalte den Donut im Auge und nicht das Loch’“.
David Lynch, geboren am 20. Januar 1946 in Missoula, Montana, wurde 1977 schlagartig bekannt, als er mit „Eraserhead“ einen der prägenden Filme des Mitternachtskinos schuf. Jahre hatte Lynch daran gearbeitet, sogar am Set geschlafen. Die groteske Geschichte erzählt von einem jungen Mann, der Vater eines nicht näher definierbaren Wesens ist und daran verzweifelt.
Zuvor hatte Lynch, der gleich mehrere künstlerische Begabungen in sich trug, bereits zu malen begonnen. Er hatte sich gleich an mehreren Kunsthochschulen eingetragen, doch erst an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts in Philadelphia fand er zum Film. Während dieser Zeit schuf er seinen ersten Kurzfilm, „Six Men Getting Sick“ (1967). Lynch bezeichnet seine Zeit in der Stadt oft als düster und die Stadt als prägende Inspiration für seine Arbeit.
Dunkles Filmdebüt „Eraserhead“
„Eraserhead“ entwickelte sich schnell zum Kultfilm. Stanley Kubrick soll ihn bei den Dreharbeiten zu „Full Metal Jacket“ gezeigt haben und bezeichnete ihn als einen seiner Lieblingsfilme. Die Bekanntheit seines Debüts verhalf Lynch aus dem Stand zu einem gewaltigen Renommee. Produzent Mel Brooks wollte ihn für den Film „Der Elefantenmensch“ (1980). Die humanistische Fabel über einen schwer entstellten Mann, der ein goldenes Herz hat und kultivierter ist als viele seiner Mitmenschen, wurde zu einem großen Erfolg. Der Film wurde gleich für fünf Oscars nominiert. Auch Lynch erhielt im Laufe seiner Karriere mehrere Nominierungen für den Oscar für die beste Regie.
Anschließend bekam Lynch die Chance, mit „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984) eine der großen Sci-Fi-Fantasy-Geschichten der Literatur zu einem Film zu machen. Eine für alle Seiten nicht ganz einfache Erfahrung, die der Regisseur später als unangenehm beschrieb. Doch mit Hauptdarsteller Kyle MacLachlan fand er nicht nur die Idealbesetzung, sondern auch eine Art Darsteller fürs Leben. Er wurde auch zum Held von „Blue Velvet“ (1986), einem funkelnden Neo-Noir-Coming-Of-Age-Film mit perversem Anstrich. Alle Themen, die Lynch-Filme unverwechselbar machen – die Dominanz von Geheimnissen, traumhafte Bildsprache, das unheimliche Spiel von Sexualität, Kitsch und Gewalt – finden sich schon hier.
Gemeinsam mit dem Drehbuchautor und Produzenten Mark Frost fand er nur wenige Jahre später mit der epochalen TV-Serie „Twin Peaks“ zu einer geschickten Variation einiger Motive aus „Blue Velvet“. Innerhalb weniger Folgen entwickelte sich die Serie, ein Hybrid aus im Grunde allen Genres des Kinos, die Anfang der 90er Jahre mit nichts zu vergleichen war. Die halbe Welt fragte sich, wer Laura Palmer getötet hat. Im selben Jahr brachte der Regisseur auch „Wild At Heart“ ins Kino, seine grobe, zu der Zeit als postmodern eingestufte Interpretation von „Wizard Of Oz“. Der Film gewann in Cannes die Goldene Palme – wurde aber bei seiner Aufführung ausgebuht.
Erfolg auch als Maler, Musiker und Möbeldesigner
Lynch nahm eine schöpferische Pause und drehte mit „Lost Highway“ (1997) ein Panorama des Wahnsinns, das mehrere Erzählebenen in einen LA-Albtraum aufgehen ließ. Auch weil Lynch einen Song von Rammstein für den Film verwendete, wurde die Band ein internationales Phänomen. „Straight Story“ erschien 1999 wie eine heilsame Ausnahme von all den beunruhigenden Stoffen, aber der spirituelle Kern, der sich in dieser melancholischen Brüder-Erzählung verbirgt, findet sich in allen Filmen des Regisseurs. Lynch bekannte sich früh als Verfechter der Transzendentalen Meditation, wurde später einer ihrer bekanntesten Botschafter.
Mit „Mulholland Drive“, eigentlich als TV-Serie wie „Twin Peaks“ geplant, fand Lynch 2001 den Schlüssel, um all seine Themen und Motive zu einer geschickten Genre-Variation zusammen zu führen. Der Regisseur machte Naomi Watts zum Filmstar. Erst noch sehr unterschiedlich von der Filmkritik aufgenommen, entwickelte sich die moderne „Sunset Boulevard“-Fassung zu einem Liebling der Cineasten. In der alle 10 Jahre von Kritikern gewählten Liste der 100 besten Filme von „Sight And Sound“ findet sich der Film auf Platz acht. 2006 ließ Lynch noch „Inland Empire“ folgen, ein erstmals digital gefilmtes Experiment, das ganz seiner „Blue Velvet“-Darstellerin Laura Dern gewidmet war.
Ob sich Lynch zunehmend weniger für das Kino interessierte (wie er selbst mehrfach sagte) oder keinen Film mehr produziert bekam, wird wohl nicht mehr zu ermitteln sein. Der Künstler konzentrierte sich in der Folge wieder mehr aufs Malen und die Kreation von Möbeln. Auch als Musiker fand er ein Betätigungsfeld, das ihn ausfüllte – zuletzt gab es erneut ein Album mit der Sängerin Chrysta Bell Ein Glücksfall ergab sich dann aber doch, als sich die Möglichkeit ergab, eine Art Fortsetzung von „Twin Peaks“ zu inszenieren. 18 Folgen, allesamt von Lynch höchstpersönlich inszeniert, gleichsam Rückschau und Meditation über all das, was den Stoff im Innersten zusammenhielt.
David Lynch, der viermal verheiratet war, hinterlässt zwei Töchter und zwei Söhne – und ein unvergleichliches künstlerisches Werk.