Paulas Popwoche: Nobody ends with this version
Paula Irmschler über „Nobody Wants This“, „It Ends With Us“ und „Die schönste Version“.
Wir als Menschen sind so einfach gestrickt. Alles, was wir am Ende des Tages wollen, ist ein Dach über dem Kopf, was Warmes zu Essen auf dem Tisch, Gesundheit … und Seth Cohen auf dem Fernseher anzuschmachten. Zumindest scheint das zum Grundbedürfnis des modernen Menschen zu gehören, so sehnsüchtig nahmen Millennials die Serie „Nobody Wants This“ (Netflix) in Empfang , in dem der Typ mitspielt, der eigentlich Adam Brody heißt, aber als Musiknerd Seth Cohen in „The O.C.“ (bei uns „O.C., California“) bekannt wurde. In „Nobody Wants This“ spielt er den Rabbi Noah, der sich gerade erst von seiner Freundin getrennt hat und nun in Joanne (Kristen Bell) verliebt.
Klaro, wie in jeder RomCom gibt es Probleme, beide kommen aus ihren jeweiligen Normalitäten und die müssen erstmal vereinbar gemacht werden: er aus konservativ-jüdischen, sie aus zugerichtet-weiblichen. Er soll am besten eine jüdische Frau heiraten, sie ist zermürbt von Datingwahnsinn. Sein Umfeld ist ein handfestes, teilweise bitterböses Familienkonstrukt, ihres besteht aus überdrehten, zynischen Leuten, die zu viel Social Media abbekommen haben und sich dementsprechend unterhalten. Beide Welten sind auf ihre Weise starr und nicht besonders wandlungsfähig, die beiden versuchen sich da durchzunavigieren, weil ihre Liebe eben so groß ist, versuchen sich frei zu machen von Erlerntem, nur um natürlich auch immer wieder dahin zurückzufallen.
Es folgten Begeisterungs-Artikel und -Postings. Nicht nur wegen ADAM BRODY, auf den sich viele Frauen, die auf Männer stehen, wohl einigen können, sondern auch weil die Serie eine „gesunde“ Beziehung darstellen würde und das hätte es bisher so selten gegeben. Abgesehen davon, dass ich das, nachdem ich etwa 700 Serien gesehen habe, in Frage stellen würde, würde ich auch sonst sagen: Ich weiß ja nicht. Erstmal fand ich die Serie relativ langweilig, die Ästhetik abgegriffen von Netflix-Weihnachtsfilmen der vergangenen Jahre, die Besetzung auch nicht so pralle und die Lebensrealität, was Wohnen, Alltag und Umfeld anging, auch nicht besonders zugänglich. Außerdem habe ich mich gefragt, wieso das jetzt schon wieder eine Serie sein muss und nicht einfach ein Film … Dann dachte ich aber, dass es für viele vielleicht ein Pflaster für die Wunder ist, die „Fleabag“ hinterlassen hat.
Geschätzt hab ich natürlich auch einige gute Gags und das Auflaufenlassen von Dating-Tipps, die man gerade überall zu Hören bekommt. Denn Joanne ist in dieser Welt wie gesagt sehr verhaftet, sie hat sogar einen Podcast mit ihrer Schwester, in dem sie darüber sprechen. Als Person, die sowas (Dating) zwei, dreimal versucht hat und es furchtbar demütigend fand, freue ich mich natürlich, wenn diesem Wahnsinn etwas entgegengesetzt wird. Aber wie so oft, wenn Kunst mit so einer klaren Fahrtrichtung produziert wird, wirkt’s schnell wie aufgesetzt. Daraus geworden ist nun eine Erzählung, in der eine Frau, die das ganze marktähnliche Datingvokabular drauf hat und einsetzt (es geht um red flags, the ick, ghosting und all die anderen Sachen beim Dating, die es nur gibt, um die andere Person zu enttarnen – wie Schäden eines Produktes) auf einen Typen trifft, der davon unberührt scheint. Er ist zugänglich und erwachsen – und zwar erwachsen im Sinne von, dass er sich und seine Bedürfnisse ganz gut kennt, sie artikulieren kann, dass er erreichbar ist, dass er offen und klar kommunizieren kann, dass er reflektiert, dass er kaum Spielchen spielt. Und eigentlich spinnt vor allem nur die Frau und ihre Freund:innen. Sie ist der Sturm, er der Fels. Nicht immer – aber häufig.
Kann man natürlich so machen, schließlich sind viele Frauen ja wirklich tief verunsichert und spielen diese Spielchen aus der Datingwelt mit. Meiner Erfahrung nach, die sehr groß ist, weil ich mir schon zu viele Geschichten diesbezüglich aus allen Richtungen angehört habe, sind es doch eindeutig vor allem die Männer, die, excuse my language, spinnen. Die eben nicht erwachsen werden, die „man children“ bleiben, die sich teilweise in ihren 30ern nochmal zurückentwickeln, die immer wieder wegrennen und kaum auf Augenhöhe kommunizieren können und deshalb auf Datingapps vor allem nach Jüngeren gucken. Es ist also nicht so crazy, wenn Joanne davon ausgehen muss, dass sie morgen mit einer „Du, ich kann das gerade nicht“-Nachricht aufwachen muss, sondern Empirie.
Das Märchen an der Serie ist die Person Noah. Noah gibt es so nicht. Ihn könnte es aber geben – aber halt nicht nur indem Frauen weniger overthinken (wobei das auch wichtig) ist, sondern Männer sich mal raffen. Darüber würd ich gern mal eine Serie sehen. Ich fänd’s also einen schlechten Takeaway, wenn man nun weiter denkt, man muss nur weitersuchen, bis man so einen findet. Sehr wahrscheinlich muss man sich Freund:innenschaften öffnen, sehr wahrscheinlich findet man eher da echte Verbindungen, innerhalb derer man gemeinsam wächst – und aus denen sich dann vielleicht eben auch Liebe entwickelt.
Dabei suchen sehr viele auch im Netz nach Verbindungen, während sie gleichzeitig individuell sein wollen und müssen. Oder wie es in einem der Sommerhits dieses Jahres heißt: „Is somebody gonna match my freak?“
Daran erinnerten auch die Reaktionen zum Film. Alle lieben Adam Brody. Alle haben die gleichen Datingerfahrungen. Aber alle sind auch ganz besondere Menschen, die nur von einem erkannt werden wollen, der so ist wie Rabbi Noah. Wir lieben kollektive Erzählungen, in denen wir uns trotzdem als einzigartig erkennen können. Das ist auch der Grund, wieso Diagnose – oder Sternzeichen-Memes so erfolgreich sind und Reels und TikToks zu Liebe und Sexualität so gut funktionieren, bei denen wir denken: GANZ GENAU SO IST ES BEI MIR AUCH. Wir suchen nach Erklärmustern.
Diese Bedürfnisse crashten für viele Konsument:innen, als es um die Verfilmung des sehr erfolgreichen Buches „It Ends With Us“ von Colleen Hoover ging. Für Millionen eine ganz besondere Geschichte, die nur ihnen gehörte, aber ihnen trotzdem Verbindung verschaffte. Schon vor Kinostart waren viele Fans des Buches skeptisch, weil es ganz genau das Identifikationswerkzeug bleiben soll, was es war. In dem Buch geht es um eine, wieder eher wenig realistische Beziehungsanbahnung – sie, angehende Blumenladenbesitzerin trifft ihn, angehenden Arzt. Sie will eine Beziehung, er erstmal nicht, aber sie ist doch so BESONDERS, dass er schwach wird – alles ist perfekt. Doch dann bekommt er Wutausbrüche, schubst und schlägt sie, bereut, sie verzeiht ein paar Mal, schließlich aber nicht mehr. Um das Kind, das sie von ihm erwartet, zu beschützen, beschließt sie, ihn zu verlassen.
Viele Leser:innen haben sich, völlig zurecht, davon abgeholt gefühlt, das Buch war und ist ein riesiger Erfolg – Hoover aktuell die erfolgreichste Autorin überhaupt. Der Missmut über die Verfilmung artete aber dermaßen aus, dass die Hauptdarstellerin Blake Lively sich in diesem Jahr einem riesigen Shitstorm ausgesetzt sah. Natürlich ist sie keine perfekte Person, unter anderem nutzte sie die Promotionphase für den Film dafür, Werbung für Beautyprodukte und Alkohol zu machen, der Hass, der auf sie einprasselte, war aber mehr als drüber und erinnerte an die Kampagne gegen Amber Heard in den vergangenen Jahren. Leute setzten alles daran, auch Lively jetzt als unmögliche Person zu enttarnen. Der Film – ich habe mir wegen des Dramas darum tatsächlich Buch und Film reingezogen – ist aber vollkommen in Ordnung, ich würde sogar sagen: gut. Er ist tatsächlich genau so, wie ich ihn mir nach dem Buchlesen vorgestellt habe. Nach dem Wahnsinn im Internet hatte man aber sonst etwas erwartet.
Abgesehen von Erwartungen und Repräsentation: Eine Verfilmung nimmt einem Buch nichts weg. Und eine Story ist nur eine Story. Daher zum Schluss noch eine Buchempfehlung: „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas ist auch nur eine Story – aber im besten Sinne. Es ist eine, die gar nicht erst versucht, für alle „relatable“ zu sein, die für keine Generation und kein Geschlecht sprechen will. Es ist eine Geschichte um der Geschichte willen. Dadurch wird sie groß.
Auch hier geht es um eine Beziehung voller Gewalt, auch hier um Zurichtungen, die Frauen erfahren, um Dating und Männlichkeitsbilder. Aber die Motivation beim Schreiben war eben offenbar nicht, dass sich ganz viele damit identifizieren können oder wollen. Stattdessen fühlt man mit. Ganz individuell, da wo man steht – und verbindet sich darüber.
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