Kommentar

Chappell Roan live im Velodrom: Ein Femininomenon in Berlin


Pailletten, Lederkorsagen & Strass-Cowboyhüte: Chappell Roan trat am 23.09. in der Hauptstadt auf. Unsere Eindrücke hier.

Vom selbsternannten Thrift-Shop-Popstar zum globalen Phänomen: Auch wenn ihr Debüt-Album THE RISE AND FALL OF A MIDWEST PRINCESS (2023) bereits im Erscheinungsjahr von der Kritik sowie ihrer Fan-Community sehr gut aufgenommen wurde, begann Chappell Roans kometenhafter Aufstieg in diesem Jahr. Ihr Song „Good Luck, Babe“ wurde nicht allein durch den TikTok-Hype zum Hit, doch das massenhafte Teilen auf der Plattform gab Roans Popularität den zusätzlichen Kickstart. Ebenso wie das Eröffnen für Olivia Rodrigos „Guts“-Tour oder auch ihre Gigs auf dem Coachella und dem Governors Ball.

Nun hat sie den Weg in die deutsche Hauptstadt gefunden. Wir waren bei dem Konzert am Montag, den 23. September, im Berliner Velodrom live dabei.

Der Aufstieg zum globalen Pop-Phänomen

Als die VMAs also Chappell Roan riefen und sie in voller Rüstung als Jeanne D’Arc erschien, fiel zwar der Berliner Gig in der Columbiahalle zunächst aus, wurde dafür aber ins Velodrom verschoben und hochverlegt. Und wie die Mutter, so die Töchter: Chappell Roans Shows sind Mottopartys und ihre Fans in passender Garderobe gekleidet. „My Kink Is Karma“ kürte Chappell vorab zur Kategorie des Berliner Abends und so ziehen sich schließlich vom Stehraum bis zu den Sitzplätzen durchsichtige Netzstoffe und Pailletten-Hotpants, Lederkorsagen und Overknee-Boots, gehörnte Haarreifen und pinke Cowboyhüte durch die Halle.

Sapphisches Coming-of-Age und Liebessongs, maximalistische Bühnenauftritte, campy Outfits und Drag-inspiriertes Make-Up: Chappell Roan ist gleichermaßen in der queeren Community zuhause wie von ihr inspiriert — und so passt es auch, dass statt den klassischen Vorbands lokale Dragqueens auf ihrer Europa-Tournee eröffnen. Eine Besonderheit und Chance in der Popwelt — was auch die in Berlin eröffnenden Queens Lélé Cocoon, Reflektra und Ciotka Offka zwischen ihren Performances betonen.

„What we really need is a femininomenon“

„Make a bitch go on and on / It’s a femininomenon“: Chappell Roan eröffnet ihren Gig in roter Ledercorsage, mit campy-blauen Lidschatten und funkelnden Cowboyboots, die sie drei Songs später wieder gegen kniehohe Docs eintauscht („I was flying off stage“). Wenn es in „Femininomenon“ um die Enttäuschung geht, einem mittelmäßigen Mann nach dem anderen zu begegnen, dann scheint das Publikum viele Anknüpfungspunkte zu finden. Und übernimmt inbrünstig den Chor-Part in Antwort auf Chappells Lyrics: „Ladies, you know what I mean / And you know what you need / And so does he / But does it happen?“ — „NO!“ — „Does it happen?“ — „NO!“

Unterstützt wird das Femininomen Chappell Roan nicht nur von einer generell textsicheren Crowd, sondern auch von ihrer dreiköpfigen Frauen-Band an Bass, Gitarre und Schlagzeug. Sowie punktiert gesetzten Lichteffekten und Windmaschinen, die ihre feuerrote Mähne fliegen lassen wie zu Zeiten tauffrischer 80s-Glam-Popstars.

Sie ist nicht mehr zu stoppen

Die Kameras greifen ein Schild in der Menge für die Bühnenleinwände auf: „Chappell turned me gay“. Und Chappell Roan, mit einem kleinen Augenzwinkern, wispert „good“ in ihr Mikrofon. Es ist das größte Konzert, das sie je vor ihrem eigenen Publikum gespielt hat, erklärt sie. Und sie füllt die Bühne aus. Sei es mit der Performance von maximalistischen Pop-Produktionen wie „Super Graphic Ultra Modern Girl“ und dem lesbischen Oasis-Song-Pendant „Red Wine Super Nova“. Oder der Stehblues-Performance zu „Picture You“, bei der sie inbrünstig eine grün-blonde Perücke auf ihrem Mikrofon-Ständer, stellvertretend für eine Verflossene, serenadiert. Ihr Publikum sieht man indes die Schritte auswendig tanzen zu „Hot To Go“ und die Teufelshorn-Haarreifen headbangen zu „My Kink Is Karma“ — schließlich dem Motto-Song des Abends.

Chappell Roan verwandelt die Radsporthalle für einen Abend in den „Pink Pony Club“. Den fiktiven queeren Club in Los Angeles, den sie im gleichnamigen Track im Zwiegespräch mit ihrer konservativ-christlichen Mutter besingt. Und wegen dessen ausbleibendem kommerziellen Single-Erfolgs ihr voriges Label sie damals hatte fallengelassen. „Oh mama, I’m just having fun / On the stage in my heels / It’s where I belong down at the Pink Pony Club“. Die Prinzessin des Mittleren Westens steigt nur noch.