Kolumne

„Täter können sich auf dem Gelände frei bewegen“: Sexismus im Punk


Eine Szene zwischen Stammtisch & Awareness, breitbeinigen Mackerposen & Aufbruch zur Diversität. Volkmann im Gespräch mit Ronja Schwikowski.

Wenn Geisterbahnfiguren wie Höcke und Wagenknecht bald ganz konkret Einfluss auf Politik nehmen, dürfte jeglicher emanzipatorischer Diskurs von Rückzugsgefechten ersetzt werden. Schattendiktator Putin sitzt in Thüringen und Sachsen schon jetzt gratis mit am Tisch – und fragt sich vermutlich, wer benötigt noch Geheimdienste, Drohnen und Desinformation, wo die Hohlbirnen ihm schon selbst ihren eitrigen roten Teppich ausrollen – auf dass er sie vom Gendern oder Ähnlichem schütze? Umso wichtiger daher weiter Staub aufzuwirbeln, solange der demokratische Grundkonsens zumindest auf dem Papier noch hält.
Also nutze ich diese Kolumne, um den Diskussionen innerhalb meines ewigen Lieblings-Genres Punk eine Bühne zu geben. Es geht um das Thema: „Sexismus im Punk“. Ich werde dazu Ronja Schwikowski befragen, die die letzten beiden Jahre dazu eine Vortragsreihe (mit Diana Ringelsiep) durchs Land getragen hat – und diese nun in ein eigenes Magazin hat fließen lassen.

„Sexismus im Punk“ von Ronja Schwikowski / Graphik von Jana K. Lawrence

Persönlicher Disclaimer

In meiner eigenen Sozialisation hat Punk eine große Rolle gespielt. Irgendwo in der abgehängten südhessischen Provinz bot mir diese Bewegung viel Identifikationspotenzial. Mich zog eine kritische, linke Haltung genauso an wie vor allem auch dieses DIY-Versprechen. Also einfach selbst etwas auf die Beine stellen – Bands, Fanzines, Konzerte – und nicht darauf warten müssen, dass Labels oder Verlage sich (zu ihren Bedingungen) für einen öffnen würden. Mein musikalischer Beitrag zum Geschehen blieb mehr als überschaubar, aber alle fragwürdigen Journo-Skills, auf denen ich heute noch unterwegs bin, beruhen auf handkopierten Magazinen, die ich innerhalb der Punkszene über etliche Jahre und mit wachsender Professionalisierung herausgegeben habe. Wenn ich sie heute durchsehe, rolle ich oft mit den Augen, aber diese Selbstermächtigung von Punk hat mich letztlich irgendwo hingebracht. Danke dafür.

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Bis vor einiger Zeit hielt ich dies daher für das Wesen des Punks. Leute empowern! Leute empowern, auf dass die ihr eigenes Ding anzuschieben können und soziale Utopien mitgepusht werden. Doch wenn ich heute auf meine eigene Punksozialisation zurückblicke, erkenne ich in dieser verheißungsvollen Interpretation auch viele blinde Flecken. Der größte ist sicher, dass die Punkszene nicht alle so selbstverständlich empowert hat wie mich.

Ein zentrales Beispiel dafür: Meine Teenie-Funpunk-Band. Wir konnten literally wirklich gar nichts, aber nahmen jenes DIY-Versprechen der Punkszene wahr und stolperten auf die für uns super niederschwelligen Bühnen. Bis auf unsere Musik war das auch einfach fantastisch. Geil fand uns – verständlicherweise – keiner, doch niemand nahm uns unseren Rumpelscheiß übel. Im Gegenteil, wir bekamen den Raum, die Aufmerksamkeit, waren Teil von der Provinzpunkszene. Die wenigen Frauen allerdings, die damals in Bands auftauchten, hatten es deutlich schwerer. Hier schien die für uns als Typen kaum existente Schwelle weit höher. „Die können nicht so gut spielen!“ Was bei den Dudes und einer bewusst dilettantischen Bewegung sonst herzlich egal war, wurde hier zu einem gern genutzten Ausschlussargument, erinnere ich mich. Die musikalische Messlatte abseits des Proberaums lag also weit höher – und auch das Thema Aussehen spielte bei weiblichen Akteuren eine deutlich größere Rolle. Wer immer noch darauf verweisen will, dass Frauen grundsätzlich nicht im gleichen Maße wie Typen die Bühne suchen würden, kann allein schon auf solche Strukturen schauen.

Im Rückblick musste ich auch erkennen, dass nicht alle Texte von relevanten Punkbands sich über smarte, emanzipatorische Themen oder zumindest stabilen Politkram definierten. Auch da führte ziemlich oft bloß mackermäßiger Fickwunsch die Stifte und beschrieb ein Lebensgefühl von männlichen Punks, in deren Welt Frauen bestenfalls noch als Objekt der Begierde angeschmachtet wurden, aber sicherlich nicht gleichberechtigt auftauchten. Queere Themen im Punk vor der Jahrtausendwende kann man dagegen mit der Lupe suchen, dagegen finden sich Ressentiments gegen „Schwulsein“ (auch als Synonym für „Unmännlichkeit“) häufiger vertreten.

'Punk As F*ck' von '' - Buch - '978-3-95575-187-6'

Punk As F*ck

Zum Glück wird heute gerade von nachgewachsenen Generationen das eigene Milieu kritischer betrachtet. Dass sich beispielsweise alle auf Konzerten wohl fühlen sollen, ist ein Wert – genau wie dass der Platz vor der Bühne nicht bloß raumgreifenden Mackern im Aggro-Slamdance-Modus gehören muss. Unzählige Acts wie auch Schrottgrenze, Team Scheisse, Pogendroblem bis hin zu den alteingesessenen Donots rufen heute zu FLINTA-Moshpits bei ihren Konzerten auf. Meinem Empfinden nach ist das immer gut für das Gemeinschaftsgefühl – auch seitens jener, die einfach mal zurücktreten müssen. Allerdings zeigen sich längst nicht alle Punks bereit, die Szene inklusiver zu gestalten.

Darüber weiß Ronja Schwikowski Vorträge zu halten. Von Niederbayern ist sie einst ins Ruhrgebiet gezogen und von Duisburg aus leitet sie heute die Geschicke des „Plastic Bomb“ – eines der auflagenstärksten, bundesweiten Punk-Magazine. Gemeinsam mit der Autorin Diana Ringelsiep sammelte sie für eine Anthologie im Ventil Verlag die Geschichten von FLINTAs aus der Punkszene (FLINTA steht für Frauen, Lesben, Inter, Non-Binär, Trans und Agender). Das Buch dazu heißt „Punk As F*ck“ und befindet sich bereits in der dritten Auflage, durch die Vielzahl von über 40 dazugehörigen Lesungen entwickelte sich das Thema für Ronja immer weiter und nun hat sie das alles gebündelt in einem eigenen einmaligen Magazin. Es trägt den pragmatischen Titel „Sexismus im Punk“. Für diese Kolumne hier habe ich ein Interview mit ihr geführt.

Ronja Schwikowski (Foto: Privat)

Das Interesse an den „Punk As F*ck“-Veranstaltungen war sehr groß – wie wichtig schätzt du für dich all die vielen Gespräche drumherum ein und was hast du aus diesem direkten Austausch mitgenommen, was dir vielleicht vorher noch nicht so bewusst war?

RONJA SCHWIKOWSKI: Mir sind die vielen unterschiedlichen Ausgangspunkte der Leute im Rahmen der Gespräche erst richtig bewusst geworden. Vor allem Cis-Typen waren teilweise schockiert, wenn ich über die Vielzahl von unangenehmen Situationen bis hin zu Übergriffen auf Punkkonzerten berichtet habe. Viele Frauen dagegen konnten zwar inhaltlich mit den Themen relaten, haben aber auch, wie so oft, betont, dass sie nicht das Gefühl haben, „so richtig Teil der Punkszene“ zu sein. Manche Leute hatten sich noch kaum mit dem Thema Sexismus in der Punkszene beschäftigt, grade bei vielen FLINTA war das bisher „nur so ein Gefühl“, andere dagegen sind selbst bereits in Gruppen aktiv, das ist echt ein Riesenspektrum.

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Sexismus im Punk – für alle, die gar nicht so drin sind in der Szene. Wie äußert sich das, kannst du da paar Beispiele geben.

RONJA SCHWIKOWSKI: Das fängt bei Kleinigkeiten wie Mansplaining an und geht da weiter, wo FLINTA als Musiker:innen, Veranstalter:innen oder anderweitig aktive Teile der Szene nicht ernst genommen werden. Vor allem, wenn ihr Beitrag was mit Technik wie Licht und Ton zu tun hat. Cis-Männer nehmen sich vor allem auf Shows irre viel physischen Raum, FLINTA können da oft nur „in Deckung gehen“ wenn sie, vor allem vor der Bühne, körperlich unterlegen sind. Übergriffe sind nach wie vor ein großes Thema, egal ob Moshpit-Grapschereien oder der besoffene Typ am Tresen, der sauer wird, wenn du nicht auf seine Baggereien eingehst. Punk ist auch Nährboden für Grooming, gerade weil die Altersspanne in der Szene so groß ist und ältere Männer so heroisiert werden. Spätestens als ich und einige andere FLINTA 2021 mit #punktoo aktiv geworden sind, hat ein Teil der Szene ihre hässliche Fratze gezeigt, in Kommentarspalten, aber auch bei Bands und Gruppen wurde aktiv gegen uns gearbeitet, es gibt offen antifeministische Gruppen und Akteur:innen (ja, auch Frauen). Inzwischen ist wohl in jedem Teil der Szene klar geworden, dass Punk bei Weitem nicht dem emanzipatorischen, modernen und offenen Bild nachkommt, das die Szene von sich selbst hat und so gern nach außen vermittelt.

Stichwort: Repräsentation und Geschlechtervielfalt auf den Bühnen. Auch im Punk findet dieser Diskurs seit etlichen Jahren statt. In vielen selbst verwalteten Orten ist man schon weit gekommen. Der Punk-Mainstream, also die großen Festivals, tun sich dagegen weiterhin schwer. Wie schätzt du das Thema ein, siehst du Fortschritte oder stagniert es?

RONJA SCHWIKOWSKI: Ich sehe, vor allem bei größeren Veranstaltungen, jede Menge Feigenblätter. Die wenigen Bands mit FLINTA-Beteiligung, die gebookt werden, kriegen bei der Line-up-Vorstellung von den Promotern mehr Aufmerksamkeit beigemessen, das wirkt dann, als hätten sich die Veranstaltenden ordentlich um das Thema gekümmert. Wenn man genau hinschaut beziehungsweise einfach durchzählt, ist das aber nur Kosmetik. Ähnlich beim Thema Awareness. Statt sich Gedanken um wirksame Konzepte zu machen, bei denen Täter aktiv gestellt und verwiesen werden und man diese Konzepte und ihre Umsetzung auch ordentlich finanziert, werden oft – von mir so genannten – „Awareness-Käfige“ eingerichtet: Ein kleiner Bereich, irgendwo auf dem Gelände, in dem sich Leute, die ‘ne blöde Situation ertragen mussten, mal kurz mal ausruhen können. So werden die Betroffenen exotisiert und die Täter können sich weiter frei auf dem Gelände bewegen. Aber das violette Awareness-Banner macht sich sicher gut auf Festival-Fotos.

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Ich hielt Punk in meiner Jugend für befreiend, für emanzipativ. In einigen Aspekten wie Fanzine-Kultur oder den unzähligen AZs, in denen Sexismus schon vor der Jahrtausendwende outgecalled wurde, dürfte das sogar stimmen. Dennoch höre ich die Texte mancher Konsens-Acts von früher heute mit Grausen. Du bist in dieses emotionale Thema zuletzt voll reingegangen. Du hast Texte von Die Ärzte auf den Prüfstand gelegt. Zu welchem Schluss kommst du: Wie umgehen mit Klassikern, die Zeilen in ihren Songs haben, die sich mittlerweile (garantiert nicht zu Unrecht) als No-Gos durchgesetzt haben? PS: Und hast du selbst All-Time-Lieblingsbands, bei denen du bei manchen Passagen auch lieber weghörst?

RONJA SCHWIKOWSKI: Ja, ich habe mich Monate lang durch die Texte der Ärzte gearbeitet und meine Ergebnisse für ein YouTube-Video und einen Buchbeitrag aufbereitet. Das hat mich an manchen Tagen der Recherche selbst richtig fertig gemacht, wie daneben manche Texte teilweise sind und wie skrupellos ich es finde, dass diese Texte immer wieder neu aufgelegt und neu veröffentlicht werden, ohne dass die Band das wenigstens mal in Linernotes einordnet. Ähnlich ist das mit sehr vielen Punkbands, ich persönlich mache mein Hörvergnügen da von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Unter anderem meine persönliche Tagesform: An manchen Tagen hör ich drüber weg, wenn Schleim-Keim Frauen auf Sex reduzieren oder The Crowds ihrer Freundin vorsingen, dass sie sich mal nicht so anstellen soll. An anderen Tagen kann ich nur die Nadel aus der Rille nehmen und die Platte erst mal wieder in den Schrank stellen. Kommt vielleicht auch ein bisschen drauf an, wie die jeweilige Bands heute mit den Songs umgehen, ob die Bands noch aktiv ist und die Platten nachpressen und wie die aktuellen Songs textlich so sind. Viele Platten hör ich auch nur, wenn ich alleine bin und pack die Songs bewusst nicht in Playlisten, um da bloß keine Selbstverständlichkeit aufkommen zu lassen. Wenn manche Songs in linken Läden aus der Konserve zu hören sind, geh ich auch mal zum Tresen und frage, ob das sein muss.

Warum denkst du, sind so viele Alt-Punks (auf Social Media) auf den Barrikaden, wenn es darum geht, die Szene diverser zu gestalten?

RONJA SCHWIKOWSKI: Weil sie Angst haben, dass jemand ihre Privilegien ansägen könnte. Viele ältere, größtenteils männliche Punks mussten sich vermutlich selbst ihre komplette Jugend lang bei älteren Punks beweisen, das ist ja ein Riesending in der Szene, dass man sich „erst mal die Sporen verdienen muss“, um ernst genommen zu werden. Jetzt sind sie endlich selbst die Typen, die anderen erklären können, was Punk ist, wie man sich als jüngere Person verhalten muss und die Frauen auf ihre Sexualität reduzieren können, warum sollten sie das in Zweifel ziehen? Da ist Punk, wie so oft, ein Spiegel der Gesellschaft, alles dreht sich um alte weiße Männer, den Posten geben die garantiert nicht freiwillig auf.

Ohne dass das Thema Sexismus durch wäre, schließt du mit dem Magazin dennoch ein Kapitel für dich auch ab. Hast du schon eine Idee, einen Wunsch, was du als nächstes neben dem Plastic Bomb noch aufstellen willst?

RONJA SCHWIKOWSKI: Jaaaa! Meine Freundin und Plastic-Bomb-Kollegin Ronny und ich drehen eine Doku! Angelehnt an die „Millenial Punk Doku“ wollen wir die Szene zwischen 2000 und 2020 beleuchten, aber aus der DIY-Punk-Undergroundsicht. Also keine berühmten Bands, keine Menschen, die man außerhalb der Szene kennt, sondern wirklich den Kern der Subkultur. Wir finanzieren das über ein Crowdfunding, filmen und planen alles selbst. Der erste Dreh hat schon stattgefunden, kommendes Wochenende geht’s weiter, wir hoffen, Mitte 2025 alles in den Schnitt geben zu können. Die Doku wird „Generation-Y-Punk“ heißen. Außerdem hab ich mich vor ein paar Monaten entschlossen, neben dem Plastic-Bomb-Shop einen weiteren Onlineshop einzurichten, in dem es fair gehandelte Textilien für Feminist:innen und alle, die gegen das Patriarchat kämpfen, zu kaufen gibt. Ich hab auch damit begonnen, Kooperationen mit feministischen Künstler:innen und Creator:innen einzugehen und deren Kunst und Merchandise zu verkaufen, um ihnen eine Plattform zu geben und sie bei der Verbreitung zu unterstützen. Der Shop heißt „24/7 feminism“ und ist schon online, da fließt grade sehr viel Zeit rein. Und meinen Youtube-Kanal „Cyber Bomb“ betreibe ich natürlich auch weiter, morgen geht ein Video über Täterschutz und Täterarbeit in der Punkszene online, ich plane dort aber natürlich auch weiterhin feministische Themen zu besprechen.

Das Magazin „Sexismus im Punk“ könnt ihr über den von Ronja genannten neuen Shop https://247-feminism.de/ beziehen.

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