Polyton: Der Preis, der alles anders machen will


Der Pop-Award der Initiative Musik soll kein „Echo“ sein. Stattdessen sollen neue Werte gelten. Ein Besuch bei der „Vertanzung“ von acht Gewinner-Kategorien

Bereits im Vorwort des sündhaft teuren Kataloges zum neuen Popmusik-Preis „Polyton“, der Freitagabend (17. November) in Berlin-Tempelhof vergeben wurde, wird schweres Geschütz aufgefahren:

Die 3D-Künstlerin Befin Karakurt wird gefragt, wie sie die nominierten Leistungen visuell „interpretiert“ hat. Ihre Antwort, die man auf Seite sieben dieser in grell rosa gehaltenen Stadionzeitung lesen kann: „Ich habe zunächst die einzelnen Kategorien als abstrakte Welten entworfen. Mir war dabei wichtig, verschiedene haptische Elemente miteinander zu kombinieren. Das geschah vor allem durch unterschiedliche Texturen (glatt, glänzend versus flauschig, matt) und die Formen der abstrakten Objekte (weich, versus eckig, spitz)“.

So weit. So gut.

Die so erklärte Optik findet sich als Meta-Konzept nicht nur in dem (durchaus schicken) Druckwerk auf 162 Hochglanzseiten; sondern auch in einer Art Poster-Kunst-Ausstellung in einer der Tempelhofer „Polyton“-Hallen sowie einer durchchoreografierten Bühnenshow in der anderen Halle wieder.

Auch der oberflächlichste Award-Gast merkt: Die Zeiten des „Echo“, als die Musik-Industrie den Schampus knallen ließ und gelegentlich auch mal die Fäuste flogen, sind unweigerlich vorbei. Nun soll der Fokus nicht auf „Kommerz“ liegen. Zu diesem Zweck wurde ein „Akademie für Populäre Musik“ ins Leben gerufen, die sich mit (vorerst) ein paar Dutzend Mitgliedern strukturell an der „Recording Academy“ der USA orientiert, die wiederum tausende Mitglieder vereint und mit großem Wumms jedes Jahr die „Grammys“ verleiht.

Tänzer bei der Verleihung des Polyton Musikpreises im Atelier Gardens auf dem BUFA Campus.

Beim Debüt wurden nun in acht Kategorien Einzelkünstler oder „Kollektive“ prämiert. Ohne Sonntagsreden und Laudatios. Stattdessen kommt es zu einer „Vertanzung“ der Awards auf einer rosa, runden Bühne; ganz im kuratorischen Sinne.

Die Gäste sitzen nicht mit Sektkühlern und Hummer-Cocktail an kleinen Las-Vegas-Tischen, sondern alle müssen im Kreis herumstehen. Das wirkt „street“: Nur doof, dass die hinteren Reihen nur wenig sehen. Egal. Die Getränke müssen draußen bleiben; was einige wilde Rebellen zum Heimlich-Trinken provoziert. Ist schließlich Rock’n’Roll, haben sich diese gedacht.

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Einer Mitarbeiter einer lokalen Berliner Radiostadion entfuhr der schöne Kommentar: „Hat diese Akademie schon mal was von Gitarren gehört?“. Und in der Tat sind die „nicht kommerziellen Preise“ alles außer Rock, Metal, Grunge oder Punk.

Der „Polyton“ will in seiner ersten Aufführung meta-modern und woke sein. Ein schöner Satz dazu in der Berliner Lokalpresse: „Die Preisträger selbst kamen hinterher nur für gefühlt fünf Minuten auf die Bühne.“

Live-Momente gibt es auch. Herbert Grönemeyer kredenzt am Standort sein neues Lied „Kaltes Berlin“, zudem spielen Bosse, Paula Hartmann und der fidele Graf Fidi.

Die Dienstwege in der Orga-Struktur sind kurz. Neben Shirin David, Johannes Oerding oder Judith Holofernes ist auch Herbert Grönemeyer einer der rund 50 „Academy Members“. Eine nicht unerhebliche Funktion nimmt auch Grönemeyer-Songschreiberin Balbina ein, die zum Auftakt des „Polyton“ eine „Alles Anders“-Rede hält.

Es gibt bekannte und unbekannte Nominierte. Die Bekannten heißen Peter Fox, Helene Fischer oder Casper. Und wie es in der Satzung sinngemäß heißt: Die Veranstalter legen großen Wert auf „Diversität“. Ein schönes Wort, das in den 2020er-Jahren in jedem Förderungsantrag für Kultur-Subventionen steht. Gleich neben „Nachhaltigkeit“.

Peter Fox gewinnt dann den Pokal in der Kategorie „Performance“. Im Gewinngebiet „Bühne“ geht Ruhm und Ehre (ein Preisgeld gibt es hier nicht) an „Deichkind Live 2022″. Starperformer Henning Besser habe „den Deichkind-Wahnsinn in ein innovatives Bühnenkonzept“ überführt. Und ja, „innovativ“ muss es auch sein.

Die Pop-Cracks von Blumengarten aus Köln können in Tagen wie diesen demnächst einen Trophäen-Raum aufmachen. Nach ihrem Sieg beim Award von „Pop NRW“ kann das Duo auch national abräumen. Vor dem Hintergrund, dass es in der nächsten Woche mit dem „Holger Czukay Preis“ in Köln (immerhin mit 15.000 Euro dotiert) und in Berlin zum „Preis für Popkultur“ kommt, lässt sich (neben diversen Stadt- und Landpreisen) durchaus von einer gewissen „Award-Inflation“ sprechen, die gerade um sich greift.

Sonya beim Polyton

An den Hochtischen in der Bierhalle des „Polyton“ machen übrigens lustige Stories über die Verwendung der „Echo“-Trophäen die Runde. Die Fantastischen Vier haben die massiven Gebilde nach eigenen Angaben etwa als „Türstopper“ in ihrem Stuttgarter Studiopalast genutzt.

Etwas merkwürdig: In der Kategorie „Digital“ geht es fernab jeder Tech-Begeisterung um „sexuelle Übergriffigkeit“. Gewinner ist das Kollektiv #musicmeetoo.

Skandale zu Israel, Hamas oder Palästina gibt es keine; auch wenn eine Tanztruppe lauthals „Ceasefire“ skandiert. Also Waffenstillstand. Ein Aufruf, den die israelischen Verteidigungsstreitkräfte IDF vermutlich ungehört abperlen lassen werden.

Der „Echo“, der wie ein rosa Elefant durch Studiohallen schwebt, ist im Jahr 2018 eingestellt worden. Er hatte sich überholt, wurde immer Ballermann-mäßiger – und dann kamen auch noch antisemitisch zu deutende Textzeilen von Strunzo-Rappern dazu.

Tempi pasati.

Die neue Linie „Qualität, nicht Quantität“, die sich die Macher des „Polyton“ auf die Fahnen geschrieben haben, braucht wohl noch einige Jährchen Zeit der Reife.

Wenn die anwesende Kulturstaats-Ministerin Claudia Roth (Grüne) sagt, dass „traditionelle und hierarchische Barrieren aufgebrochen werden“, mag das stimmen. Wohin allerdings die Reise gehen und was das alles soll, im Hinblick auf die weitestgehende „Polyton“-Finanzierung aus Steuergeldern, wird zumindest beim Auftakt nicht so klar.

„Antisemitismus, Rassismus, Homophobie oder Sexismus“, wie es in der Eingangsrede von Frau Roth heißt, sind nun nicht mehr erwünscht. Immerhin …