Rammsteins neues Album ZEIT: So klingt das, wenn man frei von kultureller Aneignung deutsch singt
Kaum eine deutsche Band ist frei von kultureller Aneignung. Versucht nicht ihrem – immer unangenehmen – Deutschsein durch Schwarze oder angelsächsische Pop-Codes zu entfliehen. Außer Rammstein.
Es beginnt mit: „Komm mit, wir wollen zusammen traurig sein“. Und endet mit: „Adieu, den letzten Weg musst du alleine gehen.“ ZEIT, das neue Rammstein-Album, ist eine Platte wie ein Konzert, und ein Rammstein-Konzert ist eine Art Exorzismus. Ist eine Darbietung deutscher Grobheit. In Uniform und von Flakscheinwerfern beschienen, wird die Grobheit so überzogen, ja, oft sogar bis ins Lächerliche hinein, dass man sie sich aus dem Leib marschieren kann. Die Groteske dieses Landes. Die Gewalt in seiner Sprache, in seinen Glaubensätzen, die Partikel, die an uns haften, aus unserer Geschichte, den Kriegen, Rammstein treiben sie uns aus, die schwarze Pädagogik, die Traumata. Sie geben geschlagenen Kindern mit Bass und technoiden Drums ihre Macht zurück. Lassen sie singen, was sie einst verletzte.
Rammsteins Codes und Lyrics, ihr inhaltlicher Referenzrahmen, ist – Vorsicht, problematischer Ausdruck folgt – rein deutsch. So klingt das, wenn man frei von kultureller Aneignung deutsch singt. Haltet ihr nicht aus? Gut so. Aber seht hin, hört zu was sie damit machen. Die Bausteine sind schlimm. Aber was bauen sie daraus?
Im Grunde haben Rammstein ihren Wegbreiter Franz Josef Degenhardt auf die Spitze getrieben. Der ging in Songs wie „Deutscher Sonntag“ noch deskriptiv vor, und wirkte beinahe niedlich mit seinen Kirchengängern und ihren „Hütchen, Stöckchen, Täschchen“. Rammstein haben sich mit ihrer Rollenprosa vollends auf den „bösen Blick“ gestürzt, auf die Angst und den Hass des Landes. Zeigen ihn immer wieder in imposant hässlichen Bildern, wie im Video zu „Ausländer“ (2019). Da sind sie, die kolonialen Vorstellungen von Schwarzen Menschen, die immer noch – natürlich, wo denkt ihr denn hin – in uns gründeln. Rammstein packt uns dummdreist an der Scham. Auf ZEIT singt Till Lindemann in „Angst“ davon, wie „unerzogenen Kindern“ mit dem „schwarzen Mann gedroht wurde.“ Er wird dich holen. „Und das glauben wir bis heute. Etwas Schlimmes kommt, etwas Böses kommt“. German anerzogene Angst schießt in Hanau um sich, steckt Geflüchtetenheime in Brand, und macht einen Unterschied zwischen geflüchteten Menschen aus der Ukraine und aus Syrien. Und seit dem Russischen Angriffskrieg träumt die Angst auch wieder von neuer militärischer Macht, von Ordnung und Gehorsam – also von allem, was ihr Schutz verheißt. Auftritte in Militärischen Uniformen schienen manchen jahrelang wie geschmacklose Theater-AG. Spätestens jetzt aber, wo laut CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz kein Geld mehr in „feministische Außenpolitik“ gesteckt werden soll, wo also der humanistische Fortschritt – Killefitz! – hinter dem männlichen Ernst des Panzerfahrens zurückstehen soll, muss man sich spätestens eingestehen: Das was Rammstein seit Jahren aus Deutschland herausbrechen, um es mit Rollendem R und Maschinengewehr-Bass in die Menge zu blasen, das war nie überwunden, das ist – natürlich – immer noch da.
Schluss mit Gendersternchen und all dieser ganzen Pille-Palle-Sensibilität
Songs wie „Armee der Tristen“, in denen traurige Menschen erst im Heer ein Zuhause finden, vibrieren dieser Tage anders im Brustkorb. Da sind die Erinnerungen, an die vielen noch tippfrischen Tweets und Posts zur Wiedereinführung der Wehrpflicht. „Ein bisschen mehr Zucht und Ordnung täten uns allen gut“, hieß es in mancher Kommentarspalte. Dann ist auch wieder Schluss mit Gendersternchen und all dieser ganzen Pille-Palle-Sensibilität. Der deutsche Wille zum Gehorsam und zur Aufgabe im Gleichschritt war wieder da. Wie sollte er auch weg sein? Industrieller Massenmord? Unsere Großeltern waren dabei. Und wen haben die erzogen? Bis in die Achtziger Jahre hinein wurde in Deutschland Johanna Haarers NS-Erziehungsratgeber verkauft. Er war abgemildert worden, aber nichtsdestotrotz wurde in Deutschland weiter erklärt, dass man Babys lieber nicht verwöhnen soll. Schreit es etwas ohne Grund? „Dann liebe Mutter werde hart“, Schreien stärkt doch die Lungen! Kinder sollten im besten Falle keinen eigenen Willen haben. Spielkameraden sollten sie einander sein.
Viele Rammstein-Lyrics bedienen sich genau dieser Spuren, die zwei Weltkriege und der Nationalsozialismus in unserer Sprache hinterlassen haben. So heißt die Botox-Satire-Single „Zick Zack“, eben bewusst nicht „Schnipp, Schnapp“, obwohl es um das Wegschneiden von Haut und Fett geht. Zackig ist ein straff militärischer Gruß. „Zackig ist ein zusammengeraffter, ein disziplinierter Energieaufwand“, schreibt der Philologe Victor Klemperer über die Lingua Tertii Imeperii – also die Sprache des Dritten Reichs. Und im deutschen Sport, also im Fußball, da gibt es doch auch diesen angenehmen, antiziganistischen Sprachchor. Wie ging der noch? Ach ja: Zick, Zack, Z*pack. Auch mit Verweisen auf autoritäre Erziehung wird in „Zick, Zack“ nicht gespart: „Messer, Gabel, Schere, Licht“ stammt aus Heinrich Hoffmanns Kinderbuchklassiker „Struwwelpeter“ von 1845, in dem Kindern drastische Lektionen erteilt werden, wie dem kleinem Konrad, dem der Schneider den Daumen abschnitt, weil er nicht aufhören konnte daran zu lutschen. Eine Szene, wie man sie sich eins zu eins in einem Rammstein-Video vorstellen kann.
Auf ZEIT geht die Sonne zweimal unter
Eine von Rammsteins liebsten Vokabeln scheint zudem die Sonne zu sein. Wer mochte die auch? Ach stimmt ja, die Germanen. Und somit auch die Nationalsozialisten. Heiden wollten sie sein, nahmen sich dem Germanischen Sonnenkult an. Verehrten das Sonnenrad, unterschrieben Briefe mit „sonnigen Grüßen“ und in Gefallenenanzeigen schrieben sie vom „Tod eines strahlenden (also natürlich deutschen) Jungen“.
Im Video zum Rammstein-Hit „Sonne“ treten Zwerge als Bergarbeiter auf. Die Sonne ist Schneewittchen, die, als sie nach Hause kommt, die Zwerge erstmal über das Knie legt, um ihnen eine Tracht Prügel zu verpassen. Womit wir natürlich schon wieder bei der schwarzen Pädagogik wären. Auf ZEIT geht die Sonne zweimal unter. „Sogar die Sonne wird verglühen“ heißt es in „Adieu“. Und „Der Sonnentod ist mir Vergnügen“ heißt es in „Schwarz“, es ist das „links, zwei drei vier“ des Albums. Es sind diese Zeilen und Codes, die manche Menschen überhören, weswegen – mutmaßlich – Rammstein den Kommentarbereich unter ihren YouTube-Videos deaktiviert haben.
Dabei kann man die Band auf ZEIT eigentlich gar nicht mehr missverstehen. In „Meine Tränen“ singt Lindemann von einer Mutter, die sowohl ihren Sohn, als auch ihren Mann schlägt, nur um dann in Erziehungsmantras zu enden: „Der Klügere gibt nach/Du solltest dich schämen/Zeige nie deine Tränen“. Es ist immer die gleiche Geschichte: Gefühle werden verdrängt, werden zu Wut und „Angst“. Und Angst wird mitunter zu Gewalt. Wer in niemandes Arme fallen kann, hängt halt noch ein „e“ dran. Oder wird misstrauisch „gegen die da oben“. Die wollen gar nicht unser Bestes. Sucht sich eigene „die da oben“, also deren Namen dann oben hellblau unterlegt sind – in der Telegram-Gruppe.
Am albernsten legen Rammstein die deutsche Beamtenseele in „OK“ übers Knie. Ein Metalbrett von einem Song verziert mit beinahe jeder Bürostuhlfloskel, so hübsch drapiert, dass sie allesamt phallische Codes zu sein scheinen. Die Abkürzung OK wird im Refrain etwa zu „Ohne Kondom“. Es ist ein Refrain, bei dem der humorlose Deutsche dann auch mal lachen darf. Also, im Keller natürlich. Dabei funktioniert ZEIT künstlerisch da am besten, wo man mitmachen kann. Jeder Song hat Slogans, die nach Masse verlangen, die gegrölt werden wollen aus Tausenden von Kehlen. Wie „Dicke Titten“ ein Song unterlegt mit einem „Lebt denn der alte Holzmichl“-Sample, der zwar einerseits eher zu sagen scheint, dass es unfassbar hohl ist, nur wert auf dicke Titten zu legen, aber gesungen aus 1000 Kehlen, dürfte sich jeder noch so politisch korrekte cis-hetero Feminist erwischen, wie mindestens eine von den 1000 Stimmen in ihm singt: Jawollja, „eine Frau muss nur reich sein an Fettgewebe in der Mitte“. Da ist es – und jetzt wird es noch unangenehmer – wie mit den kolonialen Bildern in uns. Eine von 1000 Stimmen wird sich erinnern, mit welchen Bildern wir, oder unsere Eltern, oder Großeltern aufgewachsen sind. „Lügen“ heißt ein weiterer Song auf der Platte, die unser Land erzählt als ein brutal-banales Volkslied aus Angst und Schmerz. Könnte man es nur immer wieder sonntags so laut aufdrehen, als dass es als bald einfach weg wäre. Wie gut das wäre.
Rammsteins neues Album ZEIT erscheint am 29. April 2022.