Best of Jonas Überohr. Popkritik 1966-1982

Sein Abschied von der Bühne der popkulturellen Debatte war ein trauriger: 1981 veröffentlichte Helmut Salzinger zum letzten Mal eine Kolumne in der Monatszeitschrift „Sounds“; zum letzten Mal holte er das Pseudonym Jonas Überohr hervor, unter dem er dort von 1973 bis 1975 die Meinungsbildung maßgeblich mitbestimmt hatte. Doch 1981 war er ein Mann von gestern. Einer, der sich darüber lustig macht, dass Platten besprochen werden, die auf 33 wie auf 45 interessant klingen. Einer, der sich aufs Land zurückgezogen hat, von Pop nichts mehr erwartet und den Konsumverzicht predigt. Die damalige „Sounds“-Redaktion, längst geprägt von einer neuen Generation um Diedrich Diederichsen, mochte die Überohr-Kolumne nur mit einer Anmerkung drucken, in der Salzinger als „ehemals scharfsinnig und wichtig“ bezeichnet wird und hinterhergerufen bekommt: „Wer sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen – auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung.“

Wie scharfsinnig und wichtig Helmut Salzinger war, lässt sich in dieser Sammlung von Kritiken und Essays nachvollziehen, die der Schriftsteller und Kritiker Frank Schäfer zusammengestellt und mit einem profunden Nachwort versehen hat. Heute geistern die „(Alt)-68er“ ja immer wieder als Phantom durch die politische Debatte; kaum mehr zu glauben ist aus heutiger Sicht, wie heiß die Themen zwischen Rock, Gegenkultur und Politik um 1968 diskutiert wurden, wie oft es ums Ganze ging. Salzinger, eigentlich aus klassisch akademischem und bildungsbürgerlichem Milieu stammend, versuchte im NDR und der „Zeit“ seinesgleichen die revolutionäre Tragweite von Pop-Art, neuer amerikanischer Literatur und vor allem der Rockmusik klar zu machen. Dass Rock im Feuilleton derart ernsthaft behandelt wurde, war damals in Deutschland völlig neu – entsprechend dauerte es nicht lang, bis er aneckte: Einen Lobgesang auf Raubpressungen mochte man nicht veröffentlichen.

In „Sounds“ (und in Büchern wie „Rock Power“ und „Swinging Benjamin“) fand Salzinger den Raum für seine Positionen, die zunehmend von enttäuschter Hoffnung geprägt wurden. Schienen 1968 noch Gegenkultur und politische Linke am gleichen revolutionären Strang zu ziehen, versucht Salzinger in den Siebzigern, ästhetische Neuerungen gegen bornierte Marxisten zu verteidigen. Doch auch der Rock enttäuscht ihn bald, besonders seine Rolle in einer Industrie, die auch Revolutionäres warenförmig zu machen und zu verkaufen vermag. Pop und falsches Bewusstsein seien synonym, seufzt er einmal. Doch von heute aus betrachtet ist es hochspannend, wie Fragen zur Objektivität von Kritik, zur potenziellen Käuflichkeit des Kritikers und zu Wirkungsformen redaktioneller Zensur auf hohem Niveau und mit großem Ernst verhandelt werden. Dass weniger revolutionäres Pathos sowohl die Kritiken als auch die kritisierte Musik nicht unbedingt schlechter macht, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Idee, gesellschaftliche Verhältnisse mit den Mitteln von Kultur von innen heraus umzuwälzen, kommt immer wieder auf. An Salzingers persönlichem Verzweifeln an dieser Aufgabe lässt sich darüber einiges lernen.