The National live in Dachau


Vergangene Woche waren The National für einen ihrer seltenen Deutschlandgigs zu Gast an ungewöhnlichem Konzertort: Matt Berninger und Co bespielten den Dachauer Rathausplatz. Stephan Rehm vom ME war dabei.

So etwas gehört sich nicht. Da will man eine Besprechung zum Dachauer Konzert der Brooklyner Indierocker The National lesen und bereits im zweiten Satz lauert der zu Tode bemühte Begriff „Kultband“. Aber wenn’s halt stimmt. Wenn’s halt EINMAL stimmt. Kult sind eben nicht, wie so oft behauptet, Massenbands wie The Strokes, Guns N‘ Roses oder mittlerweile auch The Velvet Underground. Eine Kultband bedeutet einem kleinen Kreis an Zuhörern die Welt, während diese sie weitflächig nicht zur Kenntnis nimmt.Bis aus Bremen sollen die Fans diesmal gekommen sein. Dass ein Provinzevent wie dieser auch unbedarfte Laufkundschaft anzieht (man geht halt hin, wenn im Dorf die Musi aufspielt), bildet dabei einen charmanten Gegenpol zu den Hardcore- Anhängern. Am nachhaltigsten bleibt hier eine Dame im Oma-Alter in Erinnerung, die sich das Treiben von ihrem gegenüberliegenden Fenster aus tapfer bis zum Ende hin ankuckt. Nur bei den etwas lauteren Stücken im sonst so gemäßigt wüsten Œuvre der Band zieht sie sich wieder in ihre gute Stube zurück.Nach dem zumindest auf dem Papier/Plakat stimmig, in der Realität aber schnell monoton und angestrengt wirkenden Supportprogramm der LoFi-Blueser Two Gallants aus San Francisco schlurfen The National auf die Bühne: selten hatte eine Band so wenig optisches Starpotenzial. Wem die Natur noch Frisuren ermöglicht, trägt seine Haare wie Wet Wet Wet in den Neunzigern. Kein Style, keine Gesten, keine Show. Sänger Matt Berninger umklammert mit beiden Händen sein Mikrofon, als wäre es seine letzte Rettung. Lässt er sich nach ein paar Schluck Weißwein später etwas „gehen“, dann packt er seine linke Hand in die rechte Achselhöhle und zuckt wie ein enthaupteter Truthahn über die Bühne. Doch hier geht es um Songs und nichts als Songs. Und die haben The National nach vier von der Kritik ins Herz geschlossenen Alben nun wirklich genug.„Start A War“ heißt der erste, schwillt langsam an und lässt sich schließlich von Geiger Padma Newsome zum ersten Höhepunkt des Abends emporstreichen. Von Anfang an brüllen die gut über den Rathausplatz verteilten eingefleischten Fans Berninger seine Zeilen entgegen, als wären es ihre eigenen. Als hätten auch sie schon ein Geheimtreffen im Keller ihres Gehirns hinter sich. Als wären auch sie schon mal eine von schwarzen Mädchen umkreiste Geburtstagskerze gewesen. So assoziativ und eigentlich für jedermann außer ihm unnachvollziehbar Berningers Texte sein mögen, sie sprechen aus dem Herzen. Das hört man, das sieht man, das feiert man. Wenn ihm im hysterischsten Song des Sets „Abel“ die Halsschlagadern zu platzen drohen, während er schreiend und in sich selbst verloren über die Bühne taumelt, dann hat das eine Intensität wie die eines jungen Kurt Cobain. Danach verfällt Berninger allerdings sofort wieder in seine Todesstarre und führt seine Band durch eine leider etwas zu lang geratene Reihe an ruhigen Stücken. Zu viel sensibles Fingerpicking, zu wenig zupackende Akkorde. Die Spreu trennt sich vom Weizen. Die Augen der Fans bleiben unverändert aufgerissen, die der generell an Musik interessierten kucken dem Ende ihres Bierglases entgegen. Mit den letzten beiden Songs des Zugabenblocks, dem gereizten „Mr. November“ und dem majestätischen „About Today“ sind sie aber wieder versöhnt. Eine lehrbuchhafte Demonstration für alle, die sich schon immer gefragt haben, was eigentlich eine Kultband ist.

Stephan Rehm – 21.07.2008