Buch


Kapital

von John Lanchester

Eine Straße, das Geld und die Menschen: John Lanchester erzählt in „Kapital“ aus dem London des Banken-Crashs.

Es sind eigenartige Botschaften, die die Bewohner der Pepys Road im Süden der britischen Hauptstadt bekommen: „Wir wollen, was ihr habt“, steht auf den Postkarten, die sie in den Briefkästen ihrer hübsch renovierten Reihenhäuser finden. Später kommen DVDs mit Filmaufnahmen der Straße hinzu, noch später wüste Beleidigungen. Die Guerilla-Werbeaktion einer Immobilienfirma? Ein Kunstprojekt? Auf jeden Fall dienen sie als roter Faden in einem Buch, das mehrere Geschichten erzählt. Die des Investmentbankers, der nicht nur auf seinen Jahresbonus verzichten muss, sondern auch seinen Job verliert, weil sein Stellvertreter 30 Millionen Pfund verzockt. Die der Asylbewerberin aus Simbabwe, die als Politesse in der Straße Strafzettel verteilt. Die des jungen Fußballspielers aus Afrika, der für viele Millionen eingekauft wurde und sich bei seinem allerersten Spiel schwer verletzt. Ein halbes Dutzend weiterer Menschen, die in der Pepys Road leben oder arbeiten, kommen dazu: ein Street-Art-Künstler, dessen schwer kranke Großmutter, die die letzte Bewohnerin ist, die von Anfang an in der Straße lebt. Die drei Brüder einer pakistanischen Einwandererfamilie, die ein Lädchen am Eck betreiben. Und, und, und. Lanchester bedient sich eines alten Kniffes. Er wechselt nach ein, zwei Kapiteln stets den Erzähler und damit auch die Sichtweise auf das große Ganze. Manchmal berühren sich die Stränge und damit auch die Ideologien, manchmal laufen sie nebeneinander her. Als Leser bekommt man so langsam eine Art Überblick, kann eine Mindmap der Straße und ihrer Bewohner und der Evolution, die sie in den letzten Jahrzehnten durchmachte, erstellen. Dass man 800 Seiten lang dranbleibt bei diesem Porträt eines Mikrokosmos in der Großstadt, liegt aber auch an der Sprache des Briten: Humorvoll ist die, aber nie grell, er besitzt ein Talent darin, das Große mit dem Kleinen zu erklären, und schildert auch das Scheitern mit dem angemessenen Respekt. Im Prinzip schafft er mit diesem Buch eine literarische Ergänzung zu „Whoops! Why Everyone Owes Everyone and No One Can Pay“, seiner Erklärung der Finanzkrise der letzten Jahre.

Jochen Overbeck

Black Mandel

von Berni Mayer

Halligalli am Fjord: Berni Mayer lässt seine Rock’n’Roll-Detektive in der Black-Metal-Szene ermitteln.

Natürlich folgt auch der zweite Krimi um die vom Musikjournalismus ins Detektivgeschäft gewechselten Max Mandel und Sigi Singer den Gesetzen des Genres. Bedeutet: Jemand stirbt. Und wieder rutschen die beiden Ermittler zufällig hinein in den Schlamassel. Bei diesem Trip ins dauerverregnete Bergen wird gefühlt vor allem Auto gefahren. Zu Fjorden hin und um Fjorde herum. Die dienen als Kulisse für eine eigentlich simple Geschichte: Balbarith, Sänger der Band Dark Reich, verschwindet spurlos. Mandel und Singer suchen ihn und machen dabei Bekanntschaft mit jener Szene, die Mitte der 90er-Jahre tatsächlich Schlagzeilen durch Kirchenbrände und Morde machte. Gehalten wird der Fall, der in seinen Koordinaten sehr an den Mayer-Erstling „Mandels Büro“ erinnert, durch die Erzählstruktur. Singer berichtet abwechselnd von sich und von dem, was ihm der Mandel berichtete. Eine nicht unsympathische Missgunst gegenüber dem schöneren, erfolgreicheren, selbstbewussteren Kompagnon strömt dabei aus jedem der stets schön süddeutsch artikulierten Sätze.

**** Jochen Overbeck

Der Typ aus dem Song

von Michael Heatly & Frank Hopkinson

Nach den Mädchen sind die Jungs dran: „Der Typ aus dem Song“ erzählt von jenen, die in der Geschichte des Pop besungen wurden.

„Back To Black“ von Amy Winehouse? Ist ein Stück über die On-Off-Beziehung zwischen der 2011 verstorbenen Soul-Ikone und ihrem Partner Blake Fielder-Civil. „Cast No Shadow“ von Oasis? Klaro, eine Nummer für Richard Ashcroft, der seinerzeit – der Riesenhit „Bittersweet Symphony“ war noch nicht geschrieben – seine The Verve kurzzeitig aufgelöst hatte. Eric Claptons „Tears In Heaven“? Ein Song über den Tod seines Sohnes. Einige der 50 Geschichten, die in „Der Typ aus dem Song“ erzählt werden, dürften die meisten Musik-Nerds bereits kennen. Andere sind neu. Alle sind sie wohl recherchiert. Schade ist indes die Aufbereitung der Infokästen, die am Ende des Textes den jeweiligen Künstler erklären: Sätze wie „Eric Clapton hat Musikgeschichte geschrieben, egal mit wem er gespielt hat“ oder „Amy Winehouse sicherte sich neben Jimi Hendrix, Kurt Cobain und Jim Morrison einen Platz im Klub 27, als sie im Juli 2011 verstarb“ klingen unbeholfen bis ärgerlich übersetzt.

***1/2 Jochen Overbeck

Playground

von Curtis Jackson III

Nicht schlecht erzählt, aber durchaus erwartbar: 50 Cent versucht sich am pädagogischen Roman.

Es ist auch schon wieder sechs Jahre her, dass 50 Cent einen Hit hatte, einen richtig großen Hit, der Erfolg des Films „Get Rich Or Die Tryin'“ liegt ebenfalls eine Weile zurück. Dass nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft ein Buch in die Läden kommt, ist also keine besondere Überraschung. Immerhin erschienen in den letzten Jahren eine Autobiografie, ein Ratgeber zum Themenkomplex Angst und eine Graphic Novel. Wie alle seine Bücher kreist auch „Playground“, das Romandebüt des New Yorkers, um den Kampf, ein besseres Leben zu führen, um den ewigen Konflikt zwischen dem Status quo und den Erwartungen. Erzählt wird die Geschichte von Butterball, einem dicken 13-Jährigen, der nach der Scheidung seiner Eltern mit seiner Mutter aus New York in die Vorstadt Garden City gezogen ist. Und als Leser erkennt man rasch, dass Butterball ein ziemliches Problem hat. Woher das kommt, wird von Jackson schlüssig erzählt: Unaufgeregt, aber ohne jeden Kitsch und in erwartbar direkter Sprache erklärt er Mobbing – und zwar vor allem aus der Tätersicht.

***1/2 Jochen Overbeck

Leck mich am Leben – Punk im Osten

von Frank Willmann

Punk war zwar im Osten kein Punk, aber ein großer Spaß.

„Ich war nie Punk“, schreibt Torsten Schulz, der Schriftsteller und Drehbuchautor. Er lief früher nur mit rot gefärbten Haaren und im abgetragenen Herrenanzug in die Schule, um sich Ärger einzuhandeln. Einerseits wusste man auch im Osten nie genau, was Punk bedeuten sollte. Andererseits: In Weimar 1983 Punk zu sein, war etwas anderes als in Worms. Der 49-jährige Thüringer Frank Willmann hat dazu eine erhellende Textanthologie veranlasst. Er war zufälligerweise anwesend beim ersten Auftritt der Band Ornament und Verbrechen bei einem privaten Szenefest vor 30 Jahren. Andere haben erlebt, wie Feeling B oder Die Firma in der DDR die Freiräume besetzten, die für jeden, der nichts werden, haben oder stürzen wollte, größer waren als im Westen. Man war ökonomisch frei. Auch Distinktion war in der Subkultur ein Fremdwort. Punks und Hippies trafen sich zum Saufen und beim Fußball. 1990 endete der Spaß. Aus Ornament und Verbrechen wurden ernste Elektroniker wie Tarwater und To Rococo Rot, und aus der Firma wurde konsequenterweise Rammstein.

***** Michael Pilz