Herbert Grönemeyers Anti-Rechts-Rede in Wien: Könnt ihr ihn hören?
Herbert Grönemeyer spricht sich bei einem Konzert in Wien für eine offene Gesellschaft aus und erntet dafür Applaus, aber auch Kritik – vor allem von Rechts. Was ist da jetzt genau passiert? Eine Einordnung.
Dass Herbert Grönemeyer seinem aktuellen Album ausgerechnet den Titel TUMULT gab, hat angesichts der Ereignisse der zurückliegenden Tage fast schon prophetische Züge. Wegen eines auf Twitter aufgetauchten Konzertmitschnitts gab es nämlich einen gewissen Tumult, besser gesagt: Shitstorm. Darüber muss (leider) geredet werden.
Zunächst eine Chronologie der Ereignisse: Grönemeyer gab in der ausverkauften Stadthalle in Wien am Donnerstag, den 12. September 2019, ein Konzert. In einer Pause zwischen zwei Liedern setzte er dort zu einer circa einminütigen Ansprache an. Darin plädierte er für eine offene, humanistische Gesellschaft, die Menschen Schutz bietet. Grönemeyer bezieht in der Rede direkte Stellung gegen Rechtspopulisten: „Und wer versucht so eine Situation der Unsicherheit zu nutzen, für rechtes Geschwafel, für Ausgrenzung, Rassismus, Hetze, der ist fehl am Platze“.
Für diese Aussage erntet Grönemeyer sehr viel Jubel in der Wiener Stadthalle. Wer Grönemeyers politische Positionen kennt, der weiß: Dieser Mann steht hinter diesen Aussagen und er betont sie auch mit der entsprechenden Inbrunst. Unverkennbar auch der typisch Grönemeyer’sche Intonationsstil, sein Markenzeichen. Seine Sprech- unterscheidet sich nur wenig bis gar nicht von seiner Gesangsstimme. Hier das Wort-Stakkato, da die mit Nachdruck betonte Silbenfolge. Alles oft gehört, steht bei jedem im Plattenschrank.
https://twitter.com/HeikoMaas/status/1173139512576360448
Am Wochenende dann taucht eine Videoaufnahme von besagter Sprecheinlage auf Twitter auf. Es folgt viel digitaler Applaus – wie von Außenminister Heiko Maas. Und dann auch einiges an Gegenwind.
Die Kritik, die vor allem von rechts kommt, hängt sich primär an zwei Punkten auf. Der erste Punkt ist folgende Aussage Grönemeyers aus der Rede: „…auch wenn Politiker schwächeln, und das ist in Österreich und Deutschland nicht anders, dann liegt es an uns zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat.“ Hauptaufreger hier ist das Wort „diktieren“. Kritiker der Rede, wie die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, sehen in dieser Aussage einen Aufruf Grönemeyers zur „Diktatur“ und bezeichnet weiterhin die Ansprache als „die […] totalitärste Hassrede“, die sie je gehört habe. „Schlimmer als Hitler“, sozusagen.
https://twitter.com/Beatrix_vStorch/status/1173155114439380993
Der zweite Punkt, auf den sich von Storch ebenfalls bezieht, ist Grönemeyers Art des Vortrags. Einige Stimmen auf Twitter ziehen – aufgrund von Grönemeyers lautem Tonfall – Vergleiche zu Reden aus der NS-Zeit.
https://twitter.com/ShahakShapira/status/1173175582449950721
Sprechen wir nun über die offensichtliche Kritik an jenen Kritikpunkten. Erstens: Grönemeyer ruft natürlich keine Diktatur aus; er spricht sich lauthals für eine weltoffene Gesellschaft und für demokratische Grundwerte aus. Die gilt es heute mehr denn je zu verteidigen – und zwar aus der Gesellschaft heraus. Das ist keine Ansprache von oben herab, das ist eine Ansprache aus der Menschenmenge heraus. Nicht umsonst benutzt er das Wort „uns“.
Zweitens: Das sollte eigentlich schon hinreichend klar sein; die Art und Weise, wie Grönemeyer singt unterscheidet sich – wie bereits erwähnt – wenig bis gar nicht von seiner Art zu sprechen.
Das wurde übrigens auch von Konzertbesuchern bestätigt: Der Kabarettist Florian Schröder, der Grönemeyer bei dem Berliner Konzert live sah, betont in einem Twitter-Thread nochmal, dass Grönemeyer auch dort seine Ansagen – unabhängig davon, worum es ging – in diesem lauten und betonten Duktus sprach. Den Vergleich mit Goebbels‘ Sportpalastrede findet Schröder „infam und dumm“.
https://twitter.com/Schroeder_Live/status/1173174271994159104
Kommen wir nun zu dem eigentlichen Kern des Ganzen: dem Inhalt. Grönemeyer spricht in seinen Aussagen etwas aus, das in der breiten Gesellschaft auf Zustimmung trifft.
Für diejenigen, die ihn und seinen Auftritt zu diskreditieren versuchen, liegt die Motivation vor allem darin begründet, dass sie mit Herbert Grönemeyer jemandem zu schaden versuchen, der sich schon lange für eine offene Gesellschaft ausspricht.
Wer „Popbundespräsident“ Grönemeyer in dieser Causa attackiert, attackiert einen gesellschaftlichen Konsens
Im Rahmen von Interviews zu seinem Album TUMULT äußerte sich Grönemeyer häufig politisch, bezog klar Stellung gegen AfD und gegen Rassismus. In der Musikexpress-Kritik zum Album bezeichnete Rezensent Daniel Krüger das Album gar als eine Art „Parteiprogramm“ – und Grönemeyer als „Popbundespräsident“.
Auch auf TUMULT selbst findet man klare Statements gegen rechts. Die Aussage „Kein Millimeter nach rechts“, die Grönemeyer bei seiner Rede in Wien mehrfach lauthals von sich gab, kam auch schon auf dem Album vor. Im Song „Fall der Fälle“ wird die Zeile von Gastsängerinnen gesungen; in Wien live von Grönemeyers lautem Organ.
Die Message bleibt jedoch – unabhängig des Vortragenden – die gleiche. Wer Grönemeyer in dieser Causa zu attackieren versucht, der attackiert nicht nur eine Person, sondern einen gesellschaftlichen Konsens. Grönemeyer ist Musiker, ist Schauspieler, ist „Popbundespräsident“. Aber Grönemeyer ist vor allem auch immer politisch gewesen.
Das ist der eigentliche Wesenszug, den man versucht zu attackieren: Schon weit vor dem Auftritt in Wien äußerte sich Grönemeyer politisch. Gegen rechts. Für eine weltoffene Gesellschaft. Bereits auf seinem Album CHAOS aus dem Jahr 1993 thematisierte er rechte Gewalt; aktueller Bezug war damals Rostock-Lichtenhagen. So adressiert er in dem Song „Die Härte“ Neonazis direkt mit den Worten „Hart im Kopf, weich in der Birne“. Weiter trat Grönemeyer auch öffentlich gegen einen Rechtsruck im Land auf, beispielsweise 2018 im Rahmen einer #unteilbar-Demo in Berlin.
Dass Politiker wie der Außenminister Heiko Maas sich in dieser Causa offen für Grönemeyer ausgesprochen haben zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist. Und wie druckvoll man demokratische Werte verteidigen muss. Nicht umsonst sprach Grönemeyer in Wien von Zeiten, „die so zerbrechlich, so dünnes Eis sind.“
In solchen Zeiten braucht es starke Worte. Und ob die jetzt laut oder leise vorgetragen werden, das ist erstmal nebensächlich. Es geht um den Inhalt. Und der stimmt bei Grönemeyer. Schlimm genug, das überhaupt nochmal so deutlich sagen zu müssen.