Erste Allgemeine Verunsicherung: „Man muss sich in dieser Branche zwar oft genug prostituieren, aber man muss sich nicht ficken lassen“
„Ich gehe in Unruhestand“: Vor dem Beginn der E.A.V.-Abschiedstournee sprachen wir mit Klaus Eberhartinger über Politik, Austro-Pop und wie man über 40 Jahre im Pop-Business überlebt.
Heute, am 4. Februar 2019, beginnt die Abschiedstour der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, kurz: E.A.V., einer Band, die in ihrer österreichischen Heimat mehr Platten verkauft hat als die Beatles, Michael Jackson und Mozart und die aus süddeutschen Jugendzimmern der 80er-Jahre nicht wegzudenken war. Wir trafen Sänger und Conférencier Klaus Eberhartinger zum Gespräch nach 41 Jahren beißender Sozialkritik und grenzenlosem Schwachsinn.
Musikexpress: Ich habe meine Kindheit im Bayern der 80er-Jahre verbracht. In den Poesiealben, die man einander damals immer zugesteckt hat, war der Punkt „Lieblingsband“ quasi vorausgefüllt. Da stand IMMER „E.A.V.“. Wie war es für euch, damals auf dem Höhepunkt eures Erfolgs, mit Texten über Kernkraft, Ehebruch, Rechtsextremismus und Alkoholismus bei Konzerten vor allem in Kinderaugen zu blicken?
Klaus Eberhartinger: Die meisten unserer Hits haben Kinderliedcharakter, die wurden von den Kindern gerne mitgesungen. Erst später im Leben haben die dann auf die Texte geachtet. Uns haben auch Lehrer geschrieben, dass sie durch E.A.V.-Lieder Zugang zu bestimmten Themen gefunden haben, zum Beispiel „Burli“. Das hat den Kindern gefallen und somit waren sie offen für ein Thema wie Atomkraft. Auf der anderen Seite haben auch Eltern geklagt – Kinder haben ja einen Wiederholungszwang. Gerade auf Urlaubsreisen zeigt sich das. Da fährt man nach Italien und will nach dem 30. Mal „Fata Morgana“ die Kassette aus dem Autofenster werfen. Live war unser Publikum aber immer gut durchmischt. Besucher, die sich eine reine Klamauk- und Blödelkombo erwartet hatten, mussten live feststellen: Ganz so ist es nicht. Über die Jahre konnten wir unsere Marke schon definieren. Vor der Bühne mussten wir allerdings einen drei bis vier Meter breiten Raum für Kinder absperren. Sonst hätten die stundenlang auf den Schultern der Eltern gesessen und die fertiggemacht.
Haben euch die Kinder im Publikum in eurer Setlist beeinflusst? Viele eurer Themen wurden in Anspielungen vorgetragen, viele aber auch sehr eindeutig – zu explizit vielleicht für Kinderohren.
Schlüpfrigkeiten gab es nicht, wir singen ja nicht über zehn nackte Frisösen. Obwohl uns unsere damalige Plattenfirma EMI in diese Ecke drängen wollte, worauf Thomas Spitzer (Mastermind, Songwriter und Gitarrist der Band – Anm.) und ich einander in die Augen geschaut und wortlos das Gebäude verlassen haben. Es war Zeit für einen Wechsel. Die Mitarbeiter, die uns noch verstanden hätten, waren bereits weg und die neuen waren … Idioten. Aber Schlüpfrigkeiten haben wir nicht verbreitet.
Euer Ex-Bandmitglied Günther Schönberger hat in den 80ern beim Stück „Tarzan und Jane“ gerne sein bestes Stück zur Schau gestellt.
Beim ersten Mal ist ihm da einfach sein Tarzan-Kostüm gerissen. Und ab dann hat man das eben immer wiederholt. Und für kleine Kinder war das natürlich das Herrlichste! Verdorben wurde da niemand. Wir haben uns jedenfalls nie selbst zensieren müssen. Auch Kompromisse mussten wir kaum eingehen: Als wir in den 90ern medial einen gewissen Ruf hatten und von uns erwartet wurde, die Leute auch schlagermäßig zu bedienen, haben wir uns dem immer verweigert. Wenn uns etwa bei der Vorbereitung eines Auftritts in einer Fernsehsendung gesagt wurde, dass an dieser Stelle unseres Sets eine Polonaise geplant sei, haben wir abgesagt.
Ihr seid damals eben auch in eine Zeit hineingeraten, in der Musik gerade im deutschen Fernsehen nicht sonderlich ernst genommen wurde. „Ronny’s Pop Show“ wurde von einem von Otto Waalkes synchronisierten Schimpansen moderiert. Vor dem Hintergrund war es ein Leichtes, euch den Blödelstempel aufzudrücken.
Wir wurden immer gerne ins Fernsehen eingeladen, weil wir mit Kostümen und Humor arbeiteten, das ließ sich gut zeigen. Das führte aber auch zu Kontroversen. Wenn wir etwa kritische Nummern wie eben „Burli“ oder „‘s Muaterl“ aufführen wollten, wurde uns das zwischen Generalprobe und Showtime auch schon mal untersagt. Da gab’s mal einen Vorfall in einer Sendung mit Günther Jauch. Wir wollten „Burli“ spielen, das war dem Sender aber zu heikel, der wünschte sich „Tarzan und Jane“. Dann haben wir das eben improvisiert. Als uns dann aber Günther Jauch in der Anmoderation gefragt hat: „Ihr seid ja so eine Blödelkombo – nervt euch das nicht?“, habe ich ganz kleine Augen bekommen und live gesagt: „Aber du weißt doch, dass wir eine andere Nummer hatten, eine gegen Atomkraft, die ihr abgelehnt habt.“ Ab dann gab es von gewissen Redaktionen keine Einladung mehr. Man muss sich in dieser Branche zwar oft genug prostituieren, aber man muss sich nicht ficken lassen.
Rührt daher auch euer Wunsch, das Kapitel E.A.V. nach 41 Jahren jetzt zu beenden?
Ich habe die Abschiedstour in den Ring geworfen. Die vergangenen acht Jahre hatte ich die Band live eh allein auf der Bühne getragen, Thomas Spitzer hatte sich 2010 vom Livegeschäft zurückgezogen. Verständlich, als Gitarrist war er da einfach unterbeschäftigt, ihm war langweilig. Er wollte lieber zeichnen und malen, neue Sachen machen. Also wurde er live ersetzt, was ihm auch weh getan hat. Für mich war es aber eigentlich fast angenehmer, weil er manchmal auch ein komplizierter Zeitgenosse sein kann.
Wir durchleben gerade eine der turbulentesten politischen Zeiten. Reizt es euch nicht, da weiterhin die Finger in die Wunden zu legen?
Es ist ja nicht so, dass wir komplett mit allem aufhören würden. Man äußert sich dann eben anders. Spitzer und ich werden einander ja auch wieder über den Weg laufen. Momentan sind wir aber ein altes Ehepaar in getrennten Schlafzimmern. Das liegt auch an verschiedenen Lebensstilen: Ich bin wieder auf die gesunde, gerade Laufbahn gekommen und er meint eben immer noch, seine Organe prüfen zu müssen.
Thomas Spitzer hat all eure Songs geschrieben. Wie geht er da vor?
Er kommt nie mit einem Text daher, er hat ein Wort im Kopf, eine Idee, die er aber nicht preisgeben will. Bei „Küss die Hand, schöne Frau“ war es so: Da sagte er zu unserem damaligen Keyboarder Nino Holm: „Pass auf, spiel mal so eine Achtelfigur“, und mich wies er an, einfach „Dadada dadada“ zu singen. Darauf meinte ich: „Weißt‘ was? Leck mich am Arsch! Überleg dir was und komm dann wieder. Was soll die Scheiße?“ Nach zwei Tagen kam er dann und sagte: „Dideldum, Dideldei, ist da noch ein Platzerl frei?“ Und ich so: „Ja, warum denn nicht gleich so?“ (lacht) Aber ich durfte nie einen Textvorschlag machen – das ist immer ein Stachel in sein Dichterfleisch. So haben wir eben unsere Arbeitsteilung: Ich bin das Rampenschwein, der Schauspieler, der auf die Bühne geht.
Wann wurde dir klar, dass du dafür geeignet bist? Du wurdest ohne jegliche Gesangs- oder musikalische Ausbildung zum Sänger der Band. Vor deinem ersten Auftritt sollst du legendäres Lampenfieber gehabt haben.
Das habe ich immer noch! Eine halbe Stunde vor einem Auftritt ziehe ich mich ganz zurück. Ich war früher Leichtathlet, Sprinter, die Zeit vor dem Start war für mich die schlimmste. Das „Auf die Plätze, fertig“ war für mich wie eine Erlösung. Beim „Go!“ bin ich explodiert. Ich war auch gut – Jugendstaatsmeister in Österreich (ein Staatsmeister ist der Sieger in der allgemeinen Klasse bei Mannschafts- oder Einzelwettkämpfen bei nationalen Sportwettbewerben in Österreich – Anm.). Schnell, aber auch klein. Mit 1,76 m Körpergröße wird man kein Sprinter – sondern Sänger, unfreiwillig! 1981 hat mich Thomas Spitzer nach dem Selbstmord des damaligen Sängers Walter Hammerl überredet, dessen Rolle als Conférencier zu übernehmen. Die Band hat überhaupt nicht an mich geglaubt – ich auch nicht, aber ich war neugierig! Und kaum war ich vor dem Vorhang, fiel alle Anspannung von mir ab. Thomas war erleichtert, da er mich ja gegen Widerstand durchgedrückt hat. Die Band hat sich danach bei mir entschuldigt.
Siehst du denn dein Erbe in aktuellen Frontmännern? Ich denke da etwa an Marco Wanda …
Das ist ein schräger Typ!
Beim „Nova Rock“-Festival 2016 habt ihr als „Special Late Night Act“ nach den Headlinern Wanda gespielt …
Dazu habe ich mich von meiner Band überreden lassen – ich sah da erst keinen Sinn drin, um 1 Uhr früh nach einer jungen Gruppe auf dem Zenit vor 500 betrunkenen Hardrockfans aufzutreten. Aber schon in den Schlussapplaus für Wanda mischten sich die „E.A.V.“-Chöre, die immer lauter wurden. Hinter der Bühne ging’s da aber zu…
Anders als bei euch?
Wir alle haben ja diese Erfahrungen gemacht, weil wir neugierig waren, aber ich habe auch meine Lektionen gelernt. Du willst die Droge so lange reiten, bis dich die Droge reitet. Ich konnte Gott sei Dank nie im Rausch auf die Bühne, ich war immer nüchtern. Bei Koks verlierst du die Wärme und wirst größenwahnsinnig. Das ist die Gefahr.
Wie stehst du zu Bilderbuch?
Der Typ, Maurice, ist toll!
Erinnert dich deren Glamshow an euch?
Musik und Theater sind ja nicht unverwandt. Wir kommen ja auch vom Zappa.
Obwohl ihr ein neues Album habt, werdet ihr nicht umhinkommen, auf der neuen Tour auch die alten Hits herauszukramen. Gibt es Songs aus eurem Repertoire, die du nicht mehr spielst, egal wie stark die Nachfrage ist?
Es gibt Nummern, die habe ich nie gemocht habe, wie „Hallo“ oder „Es fährt kein Zug“. Schrecklich, die habe ich gehasst. Oder „Flugzeug“, das sind Nummern, die ich Thomas zuliebe gemacht habe. Thematisch war mir das zu scheiße. Mit „Flugzeug“ hat Spitzer wohl auf den Regionalfunk spekuliert, obwohl er ja nie Schlager sein wollte … Aber er schreibt halt auch Zeilen wie „In einer Pizzeria in Palermo City kaut ein dubioser Mafioso traurig seine Calamari Fritti“ – da hätte ich ihn küssen wollen!
Angesichts des schwindelerregenden Erfolgs von Deutschrap dieser Tage: Denkt ihr euch nach Zeilen wie „I only need you heut tonight, I don’t care about Ewigkeit! Sei g’scheit and feel alright zu zweit and hold me tight, bis dass der Wecker läut’“ nicht manchmal, dass ihr in puncto Wortakrobatik den ganzen MCs nicht eh schon längst die Hosen ausgezogen habt?
Der Rap ist leider zu spät gekommen für uns. Ich wollte zwar in die Richtung, aber Thomas nicht. Ich bin aber auch der größere Groover von uns beiden. Als in meiner Kindheit alle Peter Kraus geliebt haben, war für mich als Achtjährigen „My Girl Josephine“ von Fats Domino das Größte, und ich habe nicht begriffen, warum das sonst niemand geil findet.
Am 14. September endet eure Karriere nach einem letzten Konzert in der Wiener Stadthalle. Wie wird dein Leben danach aussehen?
Ich verbringe ja einen Großteil meines Lebens seit den 90er-Jahren in Kenia und besitze ein leeres Grundstück am Meer, wohne aber nebenan zur Miete, weil ich es nie geschafft habe, dort ein Haus zu bauen. Ich möchte gewissen NGOs in Afrika zu mehr Öffentlichkeit verhelfen, vielleicht mit einem TV-Format. Ich kann mir auch eine Infotainmentsendung im Fernsehen vorstellen. Außerdem muss ich mal richtig Kitesurfen lernen. Das hatte ich schon mal begonnen, aber gleich einen schlimmen Unfall gehabt – Everhurtinger. Ich gehe nicht in Ruhestand, eher in Unruhestand.
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