ESC 2018: Die drängendsten Fragen nach dem ersten Halbfinale (und unsere Antworten)
Mehr Schatten als Licht: Das erste Halbfinale des Eurovision Song Contest 2018 ist vorbei – zum Glück! Hier die High- und Lowlights und die ersten Finalteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Es ist wieder diese Zeit des Jahres, in der zwischen schlechtem Geschmack und noch schlechteren Geschmack abgewogen werden darf, NDR-Mitarbeiter einwöchigen Betriebsurlaub kriegen und Trickkleiddesigner den großen Wurf landen können. Kurz gesagt: Es ist ESC-Woche.
Am Samstag, dem 12. Mai, findet das diesjährige Finale des Eurovision Song Contest in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon statt. Vorab gibt es die bereits lieb gewonnenen zwei Semifinals, die uns genügend Aufschluss bereiten, dass wir uns das große Finale auch in diesem Jahr getrost sparen können – und schließlich haben wir Euch im vergangenen Jahr den Sieger auch bereits nach dem ersten Halbfinale vorausgesagt.Wir fassen für Euch das erste Halbfinale des Eurovision Song Contest 2018 zusammen, das neben viel schrecklicher Musik vor allem einen Peter Urban in Bestleistung bereit hielt. #urbanlove
ESC 2018: Was machten die Favoriten der Buchmacher?
Israel und Zypern wechseln sich seit einigen Tagen beständig bei den Buchmachern an der Favoritenspitze ab. Informiert man sich vor dem Hören (und sehen!) der beiden Sängerinnen etwas über ihren jeweiligen Beitrag, lässt sich ihre jeweilige Favoritenrolle auf folgende Formeln herunterbrechen: Israels Netta tritt mit dem Titel „Toy“ an, der dem #metoo-Zeitgeist gerecht wird und die Selbstbestimmung der Frauen preist. Logisch, dass solch gesellschaftsrelevanter Stoff beim ESC-Publikum gut ankommt, wir erinnern uns nur an Ukraines siegreiche Geschichtsvorlesung „1944“ aus dem Jahr 2016.
Schaltet man dann das TV-Gerät an, merkt man schnell, dass das wohl auch das Hauptargument für einen möglichen Sieg Israels beim ESC bleiben wird. Auf der Bühne sehen wir Netta, die sich im Björk-Stil der HOMOGENIC-Phase gekleidet hat und: gackert. Ja, richtig gelesen. Die israelische Sängern plärrt wie ein wildgewordenes Hühnchen ins Mikro und macht dazu den Ententanz. Zwischendrin erzählt sie uns zu Ethno-Discobeats, dass sie sich von keinem „motherfucker“ verarschen lässt. Netta wird allein deshalb schon unter die Top 3 kommen, weil es ihr gelingt, neben dem Zeitgeist auch noch den allgegenwärtigen Wahnsinn des ESC in einen dreiminütigen Popsong zu kleiden.Zypern, in Person der Sängerin Eleni Foureira, setzt hingegen alles auf die Karte „Sex Sells“. Den Titel ihres Songs „Fuego“ nimmt sie dabei so wörtlich wie möglich und versucht, mit ihren übersexualisierten Verrenkungen und verruchten Blicken aus dem Basic-Instinct-Volkshochschulkurs dem Publikum einzuheizen. Der Song: Wen interessiert da noch der Song? Der ist nämlich nicht mehr als Dorfdisco-Stangenware. Die Kombination erschafft jedoch ein explosives Gemisch, das die Favoritenrolle erklärbar macht.
Was hatten unsere Nachbarn zu bieten?
Mehr als Deutschland auf jeden Fall. Zum hiesigen Vertreter mit dem Max-Mustermann-Namen Michael Schulte fällt „ESC-Urgestein“ Peter Urban nämlich nichts Weiteres ein, als dass er „super“ Pressekonferenzen gäbe. „Da hat er auch einfach mal Lenas ‚Satellite‘ auf der Akustikgitarre gespielt!“ Potzblitz! 12 Punkte für Deutschland sind ein Muss! Wie kann ein Musiker ernsthaft im Vorfeld des ESC Musik machen? Was für eine geniale Strategie!
Deutschland hofft ja bereits traditionell, dass sich in diesem Jahr seine Nachbarländer erbarmen und ihnen nun endlich die in Osteuropa arrivierten Sympathiepunkte zuschustern. Da schaut ESC-Sheriff Urban auch gerne mal drüber hinweg, dass auch Österreich am diesjährigen Plagiatsfestival teilnehmen und einfach mal die Gesangsharmonie aus Marlon Roudettes zugegebenermaßen schrecklichem Popsong „New Age“ kopiert haben. Der Cesár Simpson, äh Sampson (Urban O-Ton) ist doch so ein sympathischer Kerl – und kann mit seinem Outfit direkt eine Komparsenrolle im nächsten „Star Wars“-Film annehmen, um die fällig werdenden Tantiemen zu zahlen.
Die Schweiz bediente sich textilem Plagiat: Sängerin Co des Geschwisterduos Zibbz (ist das nicht eine Polit-Show im ORF?) ließ sich scheinbar von Shakiras Outfit aus dem „Whenever, Wherever“-Video „inspirieren“ und lief in einem Leder-Fetzen mit lässig um die Taille gebundenem Bandana über die Bühne, während ihr Bruder das gefühlte 15. Discopiano unter die einfallslose Popnummer „Stones“ legte, in der seine Schwester Cybermobbing anprangerte. Doch die sonst so neutralen Schweizer bezogen gleich ein weiteres Mal Stellung – und zündeten auf der Bühne eine Leuchtfackel. Pyro ist kein Verbrechen, dürften Fußballultras in ganz Europa in diesem Moment hyperventiliert haben. Doch anscheinend hatten sie gerade kein Telefon parat, um die Anwälte für ihre Sache ins Finale zu hieven. Die Schweiz schied, im Gegensatz zu Österreich, aus.
Hat es denn auch irgendjemand Brauchbares in Finale geschafft?
Nun, „brauchbar“ ist ein sehr dehnbarer Begriff. Beispiel Litauen: Ieva Zasimauskaites Nummer „When We’re Old“ hat in etwa die Dynamik eines Mäusefiepsens und eignet sich daher super, um während des Auftritts die Toilette zu besuchen und sich im Anschluss ein neues Bier aufzumachen. Hände waschen nicht vergessen!
„Aber so wirklich musikalisch brauchbar?“, mag man nun fragen. Und da lautet die Antwort: nicht wirklich. Mit Albanien hat es zumindest ein in Landessprache gesungener Song, der bereits aufgrund dieser Seltenheit Pluspunkte verdient, ins Finale geschafft. Noch dazu ist Eugent Bushpepas „Mall“ eine klasse WDR2-Pop/Rock-Ballade, die sich im ESC-Schreckensfeld aus IKEA-Pop nett absetzt. Überdies verfügt Bushpepa – der bereits im Vorprogramm von Guns N‘ Roses auftrat, wie uns Lexikon-Urban aufklärt – über einen beträchtlichen Stimmumfang – oder wie Peter Urban sagt: „Da wird sogar Axl Rose blass.“
Gab es denn auch Trickkleider?
So ähnlich. Estlands Elina Nechayeva tritt in einem über 50 Quadratmeter großen Kleid auf, das ihr auch als Videobildschirm nutzt. Aufgrund des Gewichts der verarbeiteten Technik muss das Kleid (samt Sängerin) von elf (11!) Helfern auf die Bühne gehievt werden. Doch der Aufwand hat sich ausgezahlt. Estland steht im Finale – auch wenn das Lied „La forza“ eine grausige Opernpop-Nummer ist, die einen Carl Orffs „Carmina Burana“ auflegen lassen will, um das Gehörte schnellstmöglich vergessen zu können.
Wer hat sich ins Finale gemogelt?
Mogeln ist vielleicht ein zu harter Ausdruck. Sagen wir lieber, Irland hat dem Publikum gegeben, was es will – und das nicht im musikalischen Sinne.
Es ist ja bekannt, dass der ESC in der LGBTQ+-Community einen hohen Stellenwert hat. Da Ryan O’Shaughnessys Folk-Ballade „Together“ zu weinerlich und schwach ist, um sich über diese Parameter fürs Finale zu qualifizieren, kamen kluge irische Köpfe auf eine geniale Idee: Sie lassen zwei Männer innig (aber etwas zu hektisch; ist selbst Peter Urban aufgefallen) zu dem Song tanzen. Die Halle tobt, der Lärmpegel erreicht das Hoch des Abends, die Stimmen der Gay-Community sind in der Tasche. Da achtet auch niemand mehr auf das Shawn-Mendez-Klon hinter der Akustik-Gitarre.
Wie sind die Songs der bereits qualifizierten Länder?
Wie in jedem Jahr sind die Top-5-Geldgeber und der Gastgeber bereits fürs Finale qualifiziert. Beim ersten Halbfinale wurden dabei drei der sechs Songs vorab vorgestellt. Das Fazit kann nach der Begutachtung der Beiträge aus Portugal, Spanien und dem Vereinigten Königreich nur wie folgt lauten: Portugal schickt sich an, den ESC-Titel zu verteidigen.
Cláudia Pascoals „O jardim“ schält sich aus einer einfach Pianobegleitung in ein minimalistisches The-xx-Gewand, das zeigt, dass der Aufruf von Vorjahressieger Salvador Sobral, Musik nicht als „Fast Food“ zu entwerten, verstanden wurde. Die Gefahr, dass auf die Sensation im vergangenen Jahr der Hunger nach schnellem, leicht zu konsumierendem Pop den Sieg für einen so feingliedrigen wie schönen Beitrag wie den Portugals torpedieren wird, ist jedoch groß.
Welche Zoten hat Peter Urban rausgehauen?
Die wichtigste aller Fragen: Wie hat sich unser Lieblings-Peter geschlagen? Ziemlich gut, um ehrlich zu sein. Kaum hat der Gesangswettstreit begonnen, zerstört er mit zwei Sätzen die Karriere des Isländers Air Ólafsson: „Toni Kroos für Island. Da werden es die isländischen Fußballer bei ihrer ersten WM im Sommer einfacher haben, Punkte zu sammeln.“ Shots fired! Klar, dass es Island nach dieser verbalen Backpfeife Urbans nicht ins Finale geschafft hat.
Nach dieser Glanzleistung ließ das „ESC-Urgestein“ jedoch nach: Das Kleid der belgischen Vertreterin Sennek kommentierte er etwas wirr als „ein verirrter Regenschirm eines Kleids“, den offiziellen Hashtag, #allaboard, stellte er phonetisch abenteuerlich als „ohl-ä-bouuhd“ vor. Aber „Big Peter“ wärmt sich ja nur auf. Donnerstag gibt es für ihn beim zweiten Halbfinale noch einen Probelauf, bevor er im großen Finale sicher wieder mit Höchstleistung glänzen wird.
Diese Acts haben es ins Finale des ESC 2018 geschafft
- Österreich: Cesár Sampson – „Nobody But You“
- Estland: Elina Nechayeva – „La forza“
- Zypern: Eleni Foureira – „Fuego“
- Litauen: Ieva Zasimauskaitė – „When We’re Old“
- Israel: Netta – „Toy“
- Tschechische Republik: Mikolas Josef – „Lie To Me“
- Bulgarien: Equinox – „Bones“
- Albanien: Eugent Bushpepa – „Mall“
- Finnland: Saara Aalto – „Monsters“
- Irland: Ryan O’Shaughnessy – „Together“
Das zweite Halbfinale findet am Donnerstag, 10. Mai, statt und wird ab 21 Uhr live beim ARD-Spartensender ONE ausgestrahlt.