Iron & Wine


Lauter als gedacht: Sam Beam zelebriert im Berliner Berghain einen dicht arrangierten Progfolk-Gottesdienst.

Eine Woche vorher redete William Fitzsimmons in einem anderen Raum des Berghain-Komplexes zwischen den Liedern über seine Pobehaarung und das Dschungelcamp. Und auch Iron-&-Wine-Mann Sam Beam, der seinen Bart und sein Haupthaar etwas gekürzt hat und im cremefarbenen Sakko ein wenig wie ein Mathelehrer aus den frühen 90ern aussieht, hat keine Angst vor der onkeligen Zote. Dass das Berghain eigentlich ein Technoclub ist, in dem, hihi, Geschlechtsverkehr zumindest am Rande und vor allem im Keller vorkommt und angeblich Gratiskondome verteilt werden, ist ihm an jenem Abend mehr als nur einen Kommentar wert. Aber das geht schon in Ordnung, weil diese etwas läppische Interaktion mit dem Publikum im schönen Gegensatz zur musikalischen Formsprache steht.

Zwar reicht Beam in der ersten Viertelstunde eine kleine Besetzung mit Klavier, Backgroundgesang und Banjo, um Songs wie „He Lays In The Reins“ von der (fast) gleichnamigen EP mit Calexico und „Walking Far From Home“ nah am Ursprung stattfinden zu lassen. Später übersetzt er sein Material aber in eine geradezu heilig anmutende Ernsthaftigkeit. Die zeigt das, was das unlängst erschienene Großwerk Kiss Each Other Clean vermuten ließ: Iron & Wine ist kein Songwriterprojekt mehr, sondern ein Ensemble, das seinen Reiz vor allem aus dem Zusammenspiel zieht. Da zählt der Percussionist präzise sowohl mit als auch gegen das Schlagzeug, da interagiert der Mann an Querflöte, Klarinette und Saxofon mit seinem Kollegen an den Tasten. Man hört Jazz, progressiven Vintage-Rock, man fühlt sich an große 70er-Jahre-Konzertalben wie Bob Dylans Live At The Budokan erinnert. Die Soli werden von Teilen des Publikums zu Recht mit Einzelapplaus bedacht, Folk nur noch benutzt, um Luft in die Stücke zu lassen und eben jene zu holen. Ein Gewand, das bisweilen die Grenze zum Lärm überschreitet und auch älteren Songs gut steht, nachzuhören etwa bei den ordentlich gestreckten „Flightless Bird, American Mouth“ und „Cinder & Smoke“. Ein in jeder Hinsicht zeitlos wirkender Abend.