Boom Tschak
Die Electro-Kolumne von Albert Koch
The New Romantics
Ungefähr in der Mitte des ersten Tracks auf dem Debütalbum Space Is Only Noise des New Yorkers Nicolas Jaar passiert es. Die Musik – impressionistisches Pianospiel zu Clicks’n’Cuts – wird von einer Art Field Recording begleitet. Eine Sequenz, die offensichtlich auf einem Kinderspielplatz aufgenommen worden ist. Man hört Stimmengewirr, spielende Kinder, Eltern, die sich unterhalten. Auf dem Coverfoto des Albums ist im linken oberen Eck an dem nicht sehr einladend wirkenden Rand einer Straße ein schlafendes Baby in einem Kinderwagen zu sehen. Babys und Kinderspielplätze waren bisher nicht unbedingt die ersten naheliegenden Assoziationen beim Gedanken an zeitgenössische elektronische Musik.
Der Londoner James Blake verstört seine durch drei mehr oder weniger experimentelle EPs herangezogene Anhängerschaft mit seiner Debüt-LP, die weitgehend vokale Tracks enthält, darunter einen generationen- und lagerübergreifenden Konsens-Song: das Cover von „Limit To Your Love“ von Feist. Der Kalifornier Will Wiesenfeld veröffentlicht unter dem Namen Baths eine hochgradig organische Musik.
Nicolas Jaar (20 Jahre alt), James Blake (22) und Baths (21) stehen für eine junge Generation neuer Romantiker in der elektronischen Musik. Ihre Romantik ist befreit vom Kitsch, weil sie gebrochen wird durch das Umfeld, in das sie eingebettet wird. Wie das Baby auf dem Cover des Nicolas-Jaar-Albums. Diese Musik, die kein Pop im herkömmlichen Sinne ist und das auch gar nicht sein will, lebt vom Kontrast zwischen einer heraufbeschworenen potenziellen Schönheit der Dinge und den Widersprüchen, Schieflagen, Atonalitäten und Ungeradheiten, die sich in ihr verbergen. Seht her, so schön könnte alles sein, ist es aber nicht.
Die neuen Romantiker beziehen sich auf Spielarten, die keine direkte Verbindung zum Mainstream der elektronischen Musik haben und seinen aktuellen Einflüssen. Bei Jaar ist es der Hip-Hop, bei Blake Soul und bei Baths die Clicks’n’Cuts-Ästhetik der frühen bis mittleren 90er-Jahre – Stile, deren Zeit als Richtungsgeber in der Musik schon lange vorbei ist, werden dekonstruiert, chiffriert und eingebettet in einen neuen Kontext. Allen gemeinsam ist der Gebrauch des Pianos, des vielleicht romantischsten Musikinstruments schlechthin.
Es ist dieser neue elektronische Impressionismus, der nach Jahren der grellen, mitunter stumpfen Four-to-the-floor-Expressivität der Clubmusik entstanden ist und ganz leise und unspektakulär in den Mittelpunkt des Interesses rückt.