Rufus Wainwright – „Das ist ein großes Loch in meinem leben“


Der Todseiner Mutter markiert eine Zäsur in seinem Leben, die zusammenfällt mit dem Abschluss einer fruchtbaren experimentierfreudigen Schaffensphase. Doch Rufus Wainwright blickt nach vornauf der Agenda steht nun mittelfristig: Popstartum.

Rufus Wainwright bewahrt Haltung. Drei Monate nach dem Tod seiner Mutter reist der 36-Jährige um die Welt, um sein kommendes Album, das entschieden unpompöse Piano-Solo-Werk ALL DAYS ARE NICHTS: SONGS FOR LULU-, zu promoten. Er sei froh, sagt Wainwright, gerade jetzt etwas Geregeltes zu tun zu haben. So offen und ernst er über Abgründe und Persönliches spricht, so sehr bemüht sich Wainwright auch, ein amüsanter Gastgeber zu sein – auch wenn sein berühmtes famos hervorbrechendes Lachen vielleicht noch einen Tick theatralischer klingt als sonst. Wir sitzen in einem teuren Hotelzimmer in Berlin-Mitte, während Wainwright casual in Pulli und Jeans gekleidet – mit seinen feinen Pianistenhänden an einem bereits halbierten Schokohasen herumknapst und, offen gesagt, das Sofa vollsaut.

Du kommst gerade von einem Treffen mit dem Künstler Douglas Gordon hier in Berlin.

Ja, genau. Douglas ist großartig. Er hat diesen tollen Film gemacht, der bei meinen Solo-Liveshows jetzt im Frühjahr hinter mich projiziert wird, zwölf Meter hoch, wenn’s klappt. Man sieht, wie auf dem Albumcover, mein Auge mit Make-Up in Großaufnahme, meistens in extremer Zeitlupe. Er hat mit einer Kamera gefilmt, die an die 1000 Bilder pro Sekunde macht – so eine, wie sie offenbar auch Lars von Trier für „Antichrist“ benutzt hat.

Den hab ich mir noch nicht getraut anzuschauen.

Haha! Nein, ich hab den auch noch nicht gesehen. Ich habe ja schon so viele Soloshows gespielt, und darum wollte ich diesmal nicht einfach ein paar Songs schreiben und damit das Gleiche wieder machen, ich musste eine irgendwie neue künstlerische Perspektive anbieten. Der Abend wird zwei Teile haben. Zuerst spiele ich das neue Album ALL DAYS ARE N1GHTS: SONGS FOR LULU, alle zwölf Songs als Liederzyklus, mit der Bitte, dass es keinen Zwischenapplaus gibt. Ein bisschen so wie „Die Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert. Und dazu wird Douglas‘ Film gezeigt und ich trage am Piano ein unglaubliches Outfit von meinem Freund Zaldy (Modedesigner aus Brooklyn, Anm. d. Red.), der auch schon Kostüme für Michael Jackson und Lady Gaga gemacht hat. Ein fünf Meter langes, schwarzes Kleid mit Federn … denk mal in die Richtung: Dracula meets Liberace. Und hoffentlich bleiben die Leute dann für die zweite Hälfte, da gibt’s dann die alten Favountes.

Deine Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, mit der Du ein sehr enges und tiefes Verhältnis hattest, ist im Januar nach langer Krankheit gestorben. Würdest Du Dir wünschen, dass diese neue Platte nicht ausgerechnet jetzt zur Veröffentlichung anstünde?

Um ehrlich zu sein, bin ich sehr dankbar, dass sie jetzt kommt, dass das jetzt alles läuft. Es ist ein Segen, dass für die nächsten Monate alles festgelegt ist für mich – Promotion, Tour etcetera. Ein Teil von mir braucht gerade jetzt diese Disziplin, diese Ordnung, so eine Pacman-hafte Existenz, einfach um weiterzumachen. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Hai, der auf den Grund sinken und sterben würde, sobald er aufhört zu schwimmen. Es ist gut, jetzt da rauszugehen. Andererseits ist es auch wichtig, dass ich dann tatsächlich mal Pause mache. Im Juli werde ich mir den Monat freinehmen und mit meinem Freund am Meer in New York State abhängen.

Würde es sich vielleicht sogar eigenartig anfühlen, sich jetzt völlig zurückzuziehen?

Ja, es hat auch was zu tun mit meiner Mutter und dem Andenken an sie. Sie war eine sehr bekannte Person – nicht unbedingt in Deutschland, aber in England, Kanada, in den USA, in den Niederlanden. Und meine Fans haben sie geliebt. Darum habe ich das Gefühl, dass es an mir ist, jetzt um die Welt zu reisen und irgendwie … Danke zu sagen für all die Unterstützung und die Wertschätzung, die wir in den letzten Jahren erfahren haben. Ich fühle mich ein wenig wie ein Botschafter in ihrem Namen.

Die Krankheit Deiner Mutter wurde vor dreieinhalb Jahren diagnostiziert, in dieser Zeit warst Du enorm produktiv, hast ein Pop-Album gemacht nebst Welttournee, eine Oper geschrieben und inszenieren geholfen, Deine Judy-Garland-Show auf die Beine gestellt, mit Robert Wilson am „Berliner Ensemble“ Shakespeare-Sonnette vertont … Gab es da auch mal eine Phase, in der Du Dich wie gelähmt gefühlt hast?

Nein, nicht wirklich. Ich kann mir vorstellen, dass es einem auch so gehen könnte. Aber mich hat die Sache, wenn überhaupt, nur noch mit mehr kreativer Energie erfüllt. Mit der Oper war’s zum Beispiel so, dass ich dachte: Ich will die fertig kriegen, damit meine Mutter sie noch zu sehen bekommt. Ich bin da ein bisschen so ein künstlerischer Krieger, haha! Ich habe meine Kunst immer als eine Art Waffe gesehen, um voranzukommen. So setze ich diese Energie ein. Und es hat auch viel mit der Generation zu tun, der ich angehöre – speziell als schwuler Mann -, die sich sehr früh mit dem Tod auseinandersetzen musste. Als ich 14 war und in die Pubertät kam, starben einfach sehr viele Schwule an AIDS. So war ich schon in diesem Alter direkt mit dem Tod konfrontiert. Als dann das mit meiner Mutter passierte, war es dadurch zwar nicht einfacher, aber es war … es war nicht unvertraut. Es war nicht etwas, mit dem ich mich noch nie beschäftigt hätte. Ich habe ja selber zehn Jahre lange gedacht, ich würde sterben. Weil ich Sex gehabt hatte und es damals wirklich alles sehr angsteinflößend war.

Du dachtest zehn Jahre lang, du seist todgeweiht?

So ist es vielen Leuten genau in meinem Alter gegangen, die jetzt 36, 37 sind. Die so mit 14 ihre ersten sexuellen Erfahrungen hatten, und danach löste jeder kleine Pickel im Gesicht, jeder Ausschlag Panik aus: Mein Gott, ist das ein Kaposi-Sarkom? Ich hab zehn Jahre lang keinen Test gemacht, weil ich sicher war, ich bin positiv. War ich dann am Ende nicht-aber so war mein Leben in dieser Zeit. Und darum war ich unseligerweise in gewisser Hinsicht in meinem Element, als meine Mutter erkrankte. Ich kannte dieses Universum. Ich konnte irgendwie damit umgehen zumindest besser als etwa meine Schwester. Martha hat da noch mal etwas ganz anderes durchgemacht. Mit dem Baby und allem. Es war sehr intensiv.

Haben sich die Dynamiken in der Wainwright-Familie verändert?

Ja, durchaus brutal verändert. Ich habe Martha das Album gewidmet und nenne sie in der Widmung die bright lady, im Gegensatz zur dark lady, mit der ich mich auf der Platte auseinandersetze. Sie hat ihren Sohn bekommen und ihre Mutter verloren, ziemlich zur gleichen Zeit. Und am Ende war sie noch dazu so lange von Mutter getrennt, weil ihr Baby als Frühgeburt in England zur Welt gekommen war und sie dort bleiben musste. Was allerdings auch ein Wunder war, weil allein durch die Tatsache, dass Arcangelo zu früh kam, meine Mutter letztlich noch die Gelegenheit bekam, ihren Enkel kennenzulernen. Es hat wohl sollen sein. Dieses ganze Debakel hat Martha sehr verändert – es war extrem heftig für sie, noch mehr als für mich, und ich habe einiges durchgemacht in dieser Zeit, glaub mir. Andererseits könnte man meinen, dass ich jetzt mehr in Gefahr bin, weil meine Mutter nun mal wirklich mein bester Freund war. We were in love. Und meine Schwester hat jetzt ihren Sohn, auf den sie sich konzentrieren kann und, klar, ich habe meinen Freund, Jörn. Aber da ist ein

großes Loch in meinem Leben. Aber zurück zu Martha: Sie hat recht nahtlos ihre neue Rolle als Matriarchin übernommen, als stärkste Frau in der Familie, so: Die Königin ist tot – lang lebe die Königin! Haha! Und das brauchten wir auch. Und wer fällt alles unter „wir“? Die ganze Familie – Cousins, Cousinen, Tanten. Wir stehen uns alle recht nahe.

Du hast die „dark lady“ angesprochen, die mysteriöse „Lulu“ aus deinem Albumtitel. Wie darf man sich diese Lulu vorstellen – als Personifizierung Deiner dunklen Seite?

Mehr als … einen verlängerten Teil meiner Persönlichkeit, heute. Wohingegen ich früher Lulu war. Je älter ich werde, desto mehr glaube ich daran, dass mehrere Individuen in einem leben. Wir sind nicht nur eine einzige Person. Die erste Person, die ich in mir weiß, ist dieser „Little Lord Fauntlerov“-Typ („Der kleine Lord“, rührseliger Film von 1980, Anm. d. Red.): Der kleine Rufus, das Kind mit den geschiedenen Eltern, das ein bisschen einsam in Montreal mit Steppschuhen am Klavier sitzt. Und dann kam die Pubertät und ich wurde zu Lulu. Aber der kleine Rufus ist immer noch da drin? Ich sehe ihn noch in mir. Und jetzt ist da Lulu, die ich auch hinter mir gelassen habe. Es ist ein bisschen wie mit Blaubarts Burg – noch eine Oper, „Lulu“ ist ja auch eine großartige Oper (von Alban Berg; „Herzog Blaubarts Burg“ von Bèla Bartok; Anm.) -, mit dem Zimmer, in dem Blaubart seine Ex-Ehefrauen hält: Wenn man fertig ist mit ihnen, kommen sie in dieses Hinterstübchen, haha! Lulu wäre also meine zweite Ehefrau. Und jetzt, seit ich mein Leben aufgeräumt habe und verantwortlicher geworden bin, gibt es drei von uns. Das Album ist also so etwas wie ein Opfer an und ein Bekenntnis zu Lulu. Weil ich sie verehre, weil ich besessen bin von ihr und weil ich gern wieder sie wäre – aber das geht einfach nicht.

Siehst Du Dich denn in Gefahr, wieder „in sie“ zurückzufallen?

Es wäre dumm von mir, zu glauben, dass ich nicht zurückfallen könnte in die Dunkelheit. Speziell, weil man als Songwriter ja ständig das Schicksal herausfordert, weil man ständig gräbt nach Ideen und Texten und Melodien, die vom Publikum Reaktionen provozieren. Und dunkle Energie ist nun mal einfach die kraftvollste, die schwärzeste Tinte, in der man schreiben kann, haha!

Aber Du fühlst Dich im Moment sicher.

Ich fühle mich sicherer, weil ich das Dunkle identifiziert habe, deswegen nenne ich es Lulu. Ich weiß, dass es da ist und so kann ich… davor weglaufen, haha!

Know your enemy. Ja, genau.

Ich fand die Message auf Deiner Website beeindruckend, in der Du nach dem Tod Deiner Mutter den behandelnden Ärzte und Pflegern und dem kanadischen Gesundheitssystem dankst. Du lebst in den USA – mit welchen Gefühlen verfolgst du die Vorgänge um Obamas Gesundheitsreform? Oh, das ist alles so ein Debakel… Ich habe natürlich Obama gewählt, und ich glaube auch immer noch an ihn. Und ich halte es sogar für möglich, dass er strategisch das Richtige macht, indem er mit so vorsichtigem Druck vorgeht und alles so anfassst, dass auch Konservative sich damit anfreunden können, wenn sie wollen. Viele Leute macht das wütend und ich würde mir selbst auch wünschen, dass er viel linker und radikaler vorgehen würde.

Aber die Realität ist nun mal, dass das die Vereinigten Staaten sind und dass acht Jahre Verrat hinter uns liegen – es wird sich also nicht alles einfach so (schnippt mit dem Finger) umdrehen lassen. Und in der Gesetzesvorlage für die Gesundsheitsreform ist zwar mittlerweile nicht mehr mal die Hälfte von dem drin, was ich mir wünschen würde, aber sie ist trotzdem noch extrem wichtig. Es tut sich also was. Ich würde aber auch sagen, dass Obama jetzt nicht mehr viel Zeit hat, endlich Ergebnisse vorzuweisen. Die Dominos sind lange genug aufgestellt worden, jetzt ist es langsam an der Zeit, sie umzustoßen, (am Tag nach diesem Gespräch passiert die Gesetzcsvorlage den Koneress; uff; Anm. d. Red.) Es ist ja für Außenstehende schwer zu begreifen, was da abgeht in den USA mit dieser extrem feindseligen Opposition gegen Obama. Das Faszinierende daran ist ja… Ich muss diese Schokolade jetzt mal von mir wegtun (steht auf und stellt den halbgegessenen Schokohasen auf eine Kommode). Diese Kämpfe haben die ganze böse, bigotte, xenophobe Natur der Rechten in Amerika ans Tageslicht gebracht. Diese Seite der USA hat es immer gegeben – und jetzt kann jeder seine hässhche Fratze sehen. Und dann ist es wie mit Lulu: Der Feind ist identifiziert, haha!

Du bist ja selber politisch aktiv, wenn man so will. Du rufst alljährlich zum „Blackout Sabbath“ auf, einem Tag des Verzichts auf elektrischen Strom, der zum Energiesparen anregen soll. Das mach ich ja auch in erster Linie, um mir selbst was Gutes zu tun, haha! Ich finde einfach, dass Energiesparen und Nachhaltigkeit erbaulich und spirituell erfüllend sein können. Zum Wochenmarkt zu gehen statt in den Supermarkt. Oder aus deiner eigenen Thermosflasche zu trinken statt Wegwerfflaschen zu kaufen. Kleine Dinge, die einem ein gutes Gefühl geben. Diese ganze Vorstellung von exzessiver Ressourcenverschwendung und Rücksichtslosigkeit gegenüber unserem Planeten – das ist ja direkt eine Form von Depression. Gegen die man mit ein bisschen Einsatz arbeiten kann.

Vor ein paar Jahren gab es in New York diesen großen Stromausfall, fast zwei Tage lang. Und es war so ein wundervolles Erlebnis! Der ganze Stress der Stadt war wie verflogen, die Leute liefen den ganzen Tag draußen rum, unterhielten sich, trieben sich im Dunkeln rum… Man konnte die Freiheit schmecken, einfach am Leben zu sein. Da kam mir die Idee, jedes Jahr einen Tag anzusetzen, an dem die Leute, die mitmachen wollen, von Mittag bis Mitternacht keine elektrischen Geräte, kein elektrisches Licht benutzen und sich ein paar Gedanken machen. Die Idee: Wir können uns selber unsere Stromausfälle bescheren, weil sie was Tolles sind.

Wer ist eigentlich „Zebuion“, den Du in dem letzten Song auf dem Album ansprichst? Zebuion war ein Junge in Montreal, den ich früher kannte. Man kann sagen, ich war in ihn verliebt. Ich war erst zwölf, ich bin mir also nicht sicher, ob ich schon richtig verstand, was los war. Aber wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Ich schrieb den Song … genauer gesagt habe ich ihn gar nicht „geschrieben“, weil er einfach zu mir kam, auf dem Fußweg vom Krankenhaus, in dem meine Mutter lag, zurück zu unserem Haus, über diesen Berg bei Montreal mitten im Winter. Als ich daheim ankam, war der Song komplett fertig in meinem Kopf. Geht das öfter so?

Manchmal, ja. Bei „Going To A Town“ (von RELEASE THE STARS, 2007, Anm. d. Red.) war es genauso, einfach BOOM, der Song war komplett da. „Zebuion“ dreht sich um verlorene Unschuld und die Sehnsucht, etwas von der Reinheit der Jugend zurückzuerlangen. Letztens war ich in Montreal – warte: War das gestern? Das war gestern, haha. Ich lief die Straße runter und sah Schüler aus einer Highschool strömen und war richtig geschockt, positiv schockiert und erfreut darüber, wie glücklich sie wirkten und wie ungetrübt von Sorgen. Und mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, diesen reinen Spirit junger Menschen zu bewahren und zu beschützen. Wie heilig diese Lebensphase ist, und wie erfrischend es ist, jungen Leute zuzusehen, wie sie sorglos rumblödeln. Ich fand das sehr anrührend, vor allem weil ich spätestens seit dem Tod meiner Mutter dieses Universum verlassen habe, ich bin jetzt in einer anderen Welt.

Dabei endet diese Sorglosigkeit der Kindheiten heutzutage immer früher, hat man den Eindruck.

Hm. Ich glaube schon, dass es ernste Gefahren gibt für junge Leute, was etwa moderne Technik angeht, oder Erziehung oder Drogen – und ich rede nicht von Straßendrogen, sondern von pharmazeutischen Drogen, Medikamenten, die von Ärzten verschrieben werden. Aber ich glaube auch, dass Kids weitaus schlauer sind, als man ihnen oft zutraut. Kids sind ziemlich verblüffend. Für mich hat sich da viel verändert, seit Martha ihr Kind hat. Wir Menschen sind eine ziemlich zähe Spezies, das sage ich dir! Stimmt es, dass Du selbst über Kinder nachdenkst? Adoption und dergleichen? Ich habe da was gelesen in einem Interview mit dem Guardian, ihr seid dabei „Optionen zu checken“…

Aaah … (stöhnt/lacht). Ja, stimmt schon: Ich denke darüber nach. Wer würde das nicht, mit 36? Ich weiß nicht … Wenn es passieren soll, wird es passieren. Aber es könnte schön sein. Vielleicht. Es ist auch etwas angsteinflößend, haha!

Gleichzeitig mit dem Album kommt ein Dokumentarfilm auf DVD über die Entstehung deiner Oper „Prima Donna“, an der Du jahrelang gearbeitet hast und die letztes Jahr in Manchester Premiere hatte. Darin wird offensichtlich, dass die Arbeit nicht gerade spannungsfrei ablief… Ach du meine Güte, ja. Da ist es wirklich ziemlich crazy zugegangen. Und dass wir überhaupt Bildmaterial von den Proben bekommen haben, ist ein kleines Wunder, weil Daniel Krämer (32, gefeierter Jung-Regisseur in London; Anm.), der Regisseur des Stückes, absolut keine Kameras wollte. Im Nachhinein verstehe ich auch, warum. Es hat teilweise wirklich lächerliche Szenen gegeben. Daniel war einfach der falsche Regisseur für die Oper. Für die Aufführungen in London jetzt haben wir jemand anderen, wir brauchten jemanden, der das Stück liebt. Daniel ist ein toller Regisseur, aber er wollte das Stück nehmen, um seine eigenen Ideen von Oper umzusetzen. Aber darum ging es nicht. Es geht um meine Musik und meine Figuren. Nur ein Beispiel: Ich habe in dem ganzen Stück einen einzigen Szenenwechsel vorgesehen, im zweiten Akt. In Daniels Inszenierung gab es dann schon allein im ersten Akt fünf Szenenwechsel. Er wollte das Stück in so eine Art riesiges Musical verwandeln … Was zur Folge hatte, dass einige Opernhäuser, mit denen wir in Verhandlungen standen, meinten: Wir kriegen das so bei uns nicht auf die Bühne, es ist zu groß! „Prima Donna“ hat viele Rückschläge einstecken müssen, und dass es überlebt hat, spricht für das Stück, denke ich. Im Film sagt der Dirigent, er halt es für eine „nachgerade verrückte Idee“ von jemandem, der noch nie für Orchester komponiert hat, als erstes gleich eine Oper zu schreiben. Und man möchte meinen: Vielleicht ist da was dran?

Na ja (lacht leicht abfällig). Er war übrigens auch der falsche Dirigent, wir haben mittlerweile einen neuen, haha! Ich glaube, was diesen Leuten nicht klar war, ist, wie tief und intensiv meine Passion für die Oper ist. Ich meine: Ich gehe seit meinem vierzehnten Lebensjahr in die Oper. Alleine, aus eigenem Antrieb. Wenn meine Mutter mir 200 Dollar gab, um meinem Vater übers Wochenende in New York zu besuchen, gab ich 95 davon für ein Opernticket aus, so lief das. Und ich habe die ganze Zeit gelernt, ich wollte schon mit 14 eine Oper schreiben, das ist immer meine Ambition gewesen.

Wie verfällt ein 14-Jähriger derartig der Oper?

Nun, ich würde sagen , ich habe ein sehr starkes musikalisches Ohr, das anspricht auf große Harmonien, Vielfalt, große Akkorde – ich liebe große Akkorde! Und die größten Akkorde gibt es nun mal in der Oper, haha! Und dann muss man auch sehen, was los war, als ich in die Pubertät kam. AIDS ging los, die 80er gingen zu Ende und die Musik in Amerika war wirklich derartig schlecht … Huey Lewis & The News und ZZ Top, solches Zeug – das konnte einem alles vorkommen wie die Zerstörung der Popkultur. Viele Kids wandten sich in der Folge Bands wie Nirvana zu, weil sie so eine Art harte, dunkle Energie suchten. Und ich ging zur Oper, die eine ähnliche Ästhetik hat, finde ich.

Gab es ein bestimmtes Erweckungserlebnis, an das Du Dich erinnerst?

Meine Mutter war kein Opernfan, aber sie mochte bestimmte Tenöre. Und eines Tages brachte sie ein Album nach Hause, eine Aufnahme von Verdis Requiem mit dem schwedischen Tenor Jussi Björling. Wir hörten uns diese Platte zusammen an, und während wir zuhörten, wurde mir klar, dass das tatsächlich gerade eine Totenmesse war für mein bisheriges Leben. Während diese Musik lief, wurde mir bewusst: This is killing my childhood. Wenn dieses Stück vorbei ist, werde ich ein anderer Mensch sein das hatte auch etwas Furchteinflößendes, weil diese Veränderung so total wirkte. Und genau so war’s. Alles, was ich danach noch hören wollte, war Oper, Oper, Oper. Ich war vollkommen infiziert. Was hattest Du denn davor so gehört? Du weißt schon, Cindy Lauper, Eurythmics, Prince – die ja toll sind. Aber für mich gab es kein Zurück mehr. Verdis Requiem war schuld. Aber „die Opernleute“ haben Dich als Novizen betrachtet.

Sie haben es mir wirklich schwer gemacht. Aber das war irgendwie auch gut, so musste ich mehr kämpfen. Und hin und wieder hatten sie auch Recht mit ihrer Kritik, und ich verbesserte etwas an dem Stück. Wenn sie alle nur nett gewesen wären und mir Honig ums Maul geschmiert hätten, wäre es am Ende wohl nicht so gut geworden. Ich bin ja viel angegriffen worden in meinem Leben-sei es wegen meiner Sexualität, wegen meiner „nasalen Stimme“, weil ich ein Egoist bin, dieses oder jenes. Aber das ist gut so, weil es mich zur Arbeit antreibt. Und immer wieder zu überprüfen, was ich mache. „Finde ich das wirklich gut? -Ja, eigentlich doch.“ Und alle großen Komponisten und Künstlern hatten immer Kritiker, die sie schwer angegriffen haben. Es ist ein Gütezeichen, wenn ein paar das hassen, was du machst. Es hilft aber auch, wenn viele andere es total super finden, oder?

Oh! Oh ja, natürlich. You need to fill the room. You gotta seil those tickets. Haha!

Siehst Du deine Ausflüge in die klassischen Felder auch ein wenig als musikalische Bildungsreisen für Deine Fans?

Hm, nein. Ich mach das alles wirklich für mich. Ich wollte wissen, ob ich eine Oper schreiben kann, ob das überhaupt eine Option für mich ist – weil ich ja doch irgendwann mehr in der Art machen will – also schrieb ich eine Oper. Okay, ich kann eine Oper schreiben! Und dann wollte ich wissen: Kann ich eigentlich wirklich Klavier spielen? Ich tue es seit Jahren und hatte ab und zu brillante Momente-aber ich bin Autodidakt und war mir nie ganz sicher, wie weit meine Fähigkeiten überhaupt gehen. Drum wollte ich dieses Stück Pianomusik machen. Das waren die Hauptgründe für diese Projekte: Ich wollte meine Möglichkeiten kennenlernen – damit ich weiß, was ich dann in meinen 40ern machen kann! Aber jetzt (klopft zur Bekräftigung auf den Tisch) würd ich doch gern mal wieder hingehen und eine Popplatte machen. Und den Leuten geben, was sie wirklich wollen, haha! Ich will ins Herz der Musikindustrie vorstoßen, weil es das wert ist. Ich las, Du hegst sogar Ambitionen in Richtung Stadiontour…

Ja! Ich denke, die Zeit ist reif, jetzt, wo es – wie heißt er gleich – Adam Lambert gibt. Der ist schwul und ist über „American Idol“ ein riesiger Popstar geworden. So die Abteilung Mika, Scissor Sisters, solche Leute – da wär’s doch für mich jetzt auch mal an der Zeit, dass ich Popstar werde, komm schon! (H6.

Albumkritik S. 86: Interview 12/09

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