Hirnflimmern The Beach II


Jetzt bauen sie das Soundsystem auf und ich befürchte das Schlimmste. Gestern noch ruhten die dicken Bassboxen hinter dem Küchenverschlag, aufgebahrtauf Holzböcken, und der Geruch von Farbe lag in der warmen Abendluft: Sie haben die Bassboxen frisch gestrichen fürdie große Sause heute abend. Die Symbolik dieser Aktion… macht mirSorgen. Es war ja doch gestern mit den kleinen, nicht frisch gestrichenen Bassboxen schon donnernd genug, zumindest für unsere Geschmäcker und wohl ob der des Jetlags eigenartig gewordenen Schlafgewohnheiten. Ja, es ist wahr: Ich habe mich aus der nasskalten Winterlichkeit Bayerns für ein paar Wochen in Äquatornähe abgesetzt. Obwohl ich eigentlich gar nichts gegen die nasskalte Winterlichkeit Bayerns habe. Im Grunde kann Ihnen das eh wurst sein, es sei denn, Sie ziehen einen gewissen exotischen Pep daraus, dass diese Kolumne in einem Internet-Cafe mit Blick auf den Golf von Thailand entstanden ist (ich würde gern ein Papierschirmchen und ein Ananasscheibchen oben auf den Text draufpieksen, wenn das ginge). Aber bevor Sie allzu neidisch werden, sag ich mal so: Wenn ich die Kolumne jetzt auf dem Trottoir im nasskalten München mit Blickauf den Golf von meinem Freund Matthias geschrieben hätte, war’ich hinterher auch nicht mehr oder weniger erkältet als nach anderthalb Stunden in dieser lebensfeindlichen Air-Condition-Eishölle. Abends hat man hier am Strand gleich zwei Musiken auf einmal: An unserer Strandbar reüssiert dann der DJ (und das tut er, wie wir gestern in unserer Hütte direkt hinter der Barfeststellen durften, bis Mitternacht bei zunehmend boom bastischer Lautstärke auch dann, wenn seit ca. halb 9 nur noch drei betrunkene Australierander Bar hängen). Und vom lauschig beleuchteten, eher sophisticated Nachbarstrand tönt der Alleinunterhalter herüber, der neben Strandabendstimmungsklassikern wie „Massachussetts“, „Oye Como Va“, dem unvermeidlichen „No Woman No Cry“ und dem seltsamerweise noch unvermeidlicheren „Wonderful Tonight“ auch eine recht, äh, abenteuerlustige Version von „AnotherBrick In The Wall Part II“ im Programm führt. Hauptsache es trällert irgendwo was. Vorhin am Strand, von der Kaffeebar herüber: Boys II Men Best-Of. Dazwischen plötzlich, ohne Vorwarnung und sehr willkommen: Creedence („Have You Ever Seen The Rain“) und America („Horse With No Name“, eh klar). Dann wieder weiter mitGlenn Medeiros, Kenny G und/oder Michael Bolton-Hauptsache Sopransaxophon. Ich glaube ja, die große Pauschalverurteilung des Saxophons, die irgendwann mal modern wurde und die immernoch Leute vor sich hertragen wie eine Monstranz-ganz so, alsobsich irgendein Distinktionsgewinn ableiten ließe aus dem Statement „Saxophon geht ja GAR nicht“ -ich glaube, dieses Missverständnis rührt daher, dass viele Leute das Saxphon als solches gleich setzen mit dem Sopransaxophon. Was ungefähr so ist, als würde man sagen, dass man Hunde nicht mag, aber Pekinesen und Chihuahuas meint. „Massive Sound“ steht auf den Tafeln, die sie draußen am Stand aufbauen. Eingutgelaunter Engländersetztsich neben mich und fängtan, in seinem Facebook-Account herumzufuhrwerken. Heute gehe hier die fette Party los, lässt er mich wissen. „They go crazy with thepartys here“, aber das sei schon in Ordnung, er gehe auch immer crazy bei den Partys. Bis sechs Uhr früh könne das gehen. Ich deute nach hinten: Das da ist unsere Hütte. Er schaut mich mitleidig an: „You’re fucked.“