Sigur Ros Köln, Palladium


Sigur Ros präsentieren gewohnt majestätisch ihre in Musik gemeißelten Soundlandschaften - und entdecken neuerdings den Pop in sich.

Man kann mit der Musik von Sigur Ros allerhand anstellen. Man kann ihr zum Vorwurf machen, dass die Musiker für sie sämtliche esoterische Setzkästen dieser Welt geplündert haben. Man kann die Falsett-Stimme von Jonsi Thor Birgisson auf Dauer eindimensional finden. Und man kann auch darüber diskutieren, ob Männer in weißen Anzügen, die weiße Melonen tragen und aussehen wie ein Crossover aus Circus Roncalli und Pan Tau, im Kontext eines Konzerts ein gutes Bild abgeben. Eines aber kann man nicht in Bezug auf die Musik von Sigur Ros: Man kann sich ihr nicht entziehen, wenn sie einem mit sanfter Wucht entgegenprallt. Vom ersten Moment ist das so an diesem Abend im Palladium, Sigur Ros spielen „Svefn-C-Englar“ und von jetzt auf gleich ist alles vorrätig, was die Musik der Isländer so besonders macht. Das Rehäugige, aber keinesfalls durch und durch Naive ist da, die Weite, die elegischen und einlullenden Momente, die Art und Weise, wie Jon Thor Birgisson seine Gitarre behandelt: auf die behutsame Tour, indem er mit dem Cello-Bogen über die Saiten streicht. Dazu singt er. entrückt von allem und jedem, weit weg von Fassbarem. Kleine Teile mancher Lieder sind in Isländisch, der größere Rest ist nach wie vor reine Lautmalerei, eben „Hopelandish“

Selbst an einem unwirtlichen Ort wie dem Palladium mag man gern zusammen mit Sigur Rös auf ihren lyrisch Undefinierten Gewässern schippern. Weil ihre Stücke an Intensität schwerlich zu überbietende Klangvöllerei sind, weil ihre Songs in Musik gemeißelte Soundlandschaften sind, ausgestattet mit Keyboardflächen, größer als der Baikalsee. Kjartan Sveinsson schichtet mit unglaublicher Stringenz Klangwall auf Klangwall, majestätische Langsamkeit ist oft oberstes Gebot, die Streicherinnen der Amiina Strmings tun alles, um Eskapismus in seiner besten Form – als Flucht nach vorn – herzustellen. Hin und wieder plinkert ein Glockenspiel, bei „Hoppipolla“ werden auch große Steine weich, und dann sind auf einmal die Männer in den weißen Anzügen wieder da. Mit Posaune, Trompete, Tuba und Pauke marschieren sie über die Bühne, ihr Auftritt ist so kurz wie früher auf der Kirmes beim Karussell das flüchtige Vorbeiflitzen des Feuerwehrautos – und wirkt ebenso nachhaltig. Konzerte von Sigur Ros sind und bleiben eine sakrale Angelegenheit mit symphonischem Charakter und haben etwas von einer Messe ohne Kirche. Bei „Gobbledigook“, einem Stück des aktuellen Albums, aber entdecken Sigur Rös die neue Lockerheit. Und lassen den Pop in sich, darin Architecture In Helsinki nicht unähnlich, beschwingt auch raus. Mit einem rhythmisch-kniffligen Stück, und auch mit in der Popmusik relevantem Bespaßungsmaterial: Einer der Männer in den weißen Anzügen feuert doch tatsächlich Miniatur-Papierschnipsel ins Publikum. Eine Andacht mit Konfettikanone, wer hätte das gedacht‘! Und so kann man am Ende das sagen, was man bei Sigur Ros schon öfter sagen konnte. Auf Isländisch: Takk. Auf Deutsch: Danke.

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